Bisher war Fernsehwerbung vor allem ein Fall für Markenartikler mit großen Werbeetats. Mit Addressable TV, der haushaltsgenauen Ausspielung von TV-Werbung, wird sie nun regional möglich und damit auch für Mittelständler interessant. Die Zuwachsraten sind gigantisch. Eine Einordung von Maximilian Balbach, Geschäftsführer der Online-Werbebuchungsplattform crossvertise.
Das Vorurteil hält sich hartnäckig: TV-Werbung, das ist allein ein Fall für Big Spender. Automobilmarken, Finanzdienstleister oder die großen Telekommunikationsdienstleister beispielsweise. 10,35 Milliarden Euro (brutto) investierte die Werbewirtschaft im vergangenen Jahr in die Schaltung von Fernsehspots, womit das Medium immer noch der mit Abstand reichweitenstärkste Werbekanal ist.
Aber eben einer für Unternehmen mit Werbeetats in Millionenhöhe und dem nötigen Budget für aufwändige Spotproduktionen, oder?
Tatsächlich findet im Bereich der TV-Werbung gerade ein großer Paradigmenwechsel statt, der von der digitalisierten Mediennutzung vorangetrieben wird und das Medium komplett umkrempelt: Zum einen ist On-Demand auf dem Vormarsch. Immer mehr Zuschauer sehen Sendungen wann sie wollen. Mit Streaming-Anbietern wie Netflix, Amazon Prime oder auch Dazn erwächst den klassischen Sendern dadurch mächtige Konkurrenz. Aber auch Mediatheken und Dienste wie Joyn und Sky Go liegen im Trend.
Zum anderen ändert sich die Ausspielung von Werbung im normalen TV-Programm auf dem Fernsehbildschirm: Addressable TV bedeutet, verschiedenen Haushalten unterschiedliche Werbung auszuspielen, während sie dieselbe Sendung schauen. So wird Werbung für den Zuschauer relevanter und interessanter.
Mit Addressable TV dringen die Vorteile sowie die Logik der Online-Werbung auf den Fernsehbildschirm vor.
Maximilian Balbach, crossvertise
Die Folge: Gerade für Unternehmen mit kleineren Budgets wird das Medium nicht nur interessant – es wird zum echten Shootingstar! Auswertungen unserer Plattform belegen: die Buchungen im Bereich Addressable TV stiegen von 2018/2019 bei kleinen und mittleren Unternehmen kometenhaft um über 500 Prozent. Kein anderes Medium kann annähernd ein solches Wachstum verzeichnen.
Mittelständler haben jetzt endlich die Chance, Fernsehwerbung in ihren Media-Mix aufzunehmen und damit eine Vorreiterrolle in ihrem Wettbewerbsumfeld einzunehmen.
Wie ist das zu erklären? Bislang musste ein Werbungtreibender TV-Sender immer im gesamten Bundesgebiet buchen und mit den hohen Reichweiten auch große Streuverluste einkalkulieren – regionale Programme spielten für die Fernsehwerbung keine wesentliche Rolle. Für kleinere Werbungtreibende schlecht, denn das führt zu hohen Preisen und bedeutet unnötige Auslieferungen.
Doch damit ist es dank Addressable TV vorbei: Erstmals wird eine gezielte Ausspielung von TV-Werbung auf bestimmte Fernsehgeräte möglich. Das lässt sich umsetzen, weil seit einigen Jahren fast nur noch Smart-TV-Geräte verkauft werden, die direkt an das Internet angeschlossen werden können.
Somit werden detailliertere Informationen über die Zuschauer nutzbar: Die Commercials können bis auf Postleitzahlen-Ebene adressiert und nach verschiedenen demografischen Kriterien wie Alter, Geschlecht, aber auch Interessen der Zielgruppe ausgesteuert werden. Selbst ein Targeting nach Wetter ist möglich. Ein ideales Medium also für mittelständische Unternehmen, die vor allem im lokalen oder regionalen Bereich tätig sind.
Hinzu kommt: Addressable TV ist kein Nischenphänomen mehr. Der ProSiebenSat.1-Vermarkter SevenOne Media etwa geht davon aus, dass in Deutschland inzwischen mehr als 15 Millionen Haushalte Addressable TV nutzen.
Zwar liegt der Tausender-Kontakt-Preis (TKP) bei Addressable TV höher als bei einem Spot im klassischen Fernsehen, doch dafür werden Streuverluste hier weitgehend vermieden. So lassen sich via Addressable TV bereits mit einem Betrag im fünfstelligen Bereich höchst effiziente Kampagnen realisieren.
Ein weiteres Plus: die niedrigen Produktionskosten. Statt teuer inszenierter Spots können statische Banner ausgespielt werden oder animierte Werbeformen, die mit niedrigem Aufwand aus vorliegendem Werbematerial hergestellt werden. Auch vorhandene Werbemittel für andere Medien lassen sich relativ mühelos zu stimmigen Anzeigen für Addressable TV anpassen.
Alle großen Privatsender haben schon auf den neuen Markt eingestellt und bieten unterschiedliche Formate an: Das beliebte "Switch XXL" zum Beispiel. Hier legt sich die Werbebotschaft als L-förmiges Banner für 10 Sekunden um das Bild der laufenden Sendung; Ein "Bumper-Spot" überdeckt kurz das laufende Programm; möglich sind auch Target-Spots, die das volle Bildschirm-Format einnehmen. Zudem kann der User über die Integration des Red Button auf eine eigene Microsite weitergeleitet werden, wo er zusätzliche Informationen zum beworbenen Produkt oder der Dienstleistung erhält.
Addressable-TV-Kampagnen haben aber noch einen weiteren Vorteil: Sie profitieren vom hochwertigen redaktionellen Fernsehumfeld, da die Werbung außerhalb des klassischen Werbeblocks laufen kann – egal, ob es sich dabei um Kampagnen zum Markenaufbau oder zum Abverkauf handelt.
Jeder Werbetreibende, für den das Werbeumfeld Fernsehen ausgeschieden ist, sollte sich also fragen, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Chancen digitaler TV-Werbung zu nutzen.
Der Themenbereich "Smart TV, Connected TV, Addressable TV" wird das Programm der Medientage München digital vom 24. bis 30. Oktober 2020 prägen.