Der Bewegtbildmarkt bleibt massiv in Bewegung: Zwischen großem und kleinem Bildschirm hat das Publikum von heute viel Auswahlmöglichkeiten. Die veränderte Nutzungssituation stellt die Anbieter vor große Herausforderungen – und wirft die zentrale Frage auf: Mit welchen Inhalten können wo die meisten Menschen erreicht werden und wie wird dabei sichergestellt, dass der Content refinanziert werden kann? Diverse Sessions im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN griffen die Aspekte auf, die Medienschaffende an der Schnittstelle zwischen TV und Streaming bewegen.
Nur Fernsehen zu machen, das können sich Anbieter im Bewegtbildmarkt nicht mehr leisten. „Lineares TV ist zwar nach wie vor der wichtigste Bewegtbildlieferant, doch das Wachstum kommt aus non-linearen und Streaming-Angeboten“, machte Christoph Freier, Director Media & Entertainment bei Panel Services GfK, bei den #MTM24 stellvertretend für viele Diskussionen bei einer Session rund um werbefinanziertes Streaming deutlich.
Will heißen: Die Nachfrage des Publikums nach Abrufinhalten aus dem Internet wächst weiter und das Angebot zieht mit. Erst recht, wenn im über Jahrzehnte eingespielten deutschen Markt aus kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Marken der Verteilungskampf durch Neustarts weltweit populärer Angebote zusätzlich befeuert wird.
So kam die Ankündigung von Clement Schwebig, Präsident und Managing Director von Warner Bros. Discovery für Westeuropa und Afrika, den Streaming-Dienst Max 2026 in Deutschland an den Start zu bringen, einem Paukenschlag gleich. Beim TV-Gipfel (Foto oben: Medien.Bayern GmbH) der diesjährigen MEDIENTAGE stellte er Exklusivinhalte von Fiction-Schwergewicht HBO, die Filmschätze von Warner Bros. und die Unterhaltungs- und Reality-Inhalte von Discovery+ für den hiesigen Markt in Aussicht. Schwebig war sich sicher, auch in Deutschland mit Streaming zu reüssieren – trotz knapper Kassen der Abonnent:innen und steigender Preise bei Produktionen.
Marcus Wolter, Geschäftsführer beim Formatentwickler Banijay Germany und bei der brainpool TV GmbH, bestätigte das Gefühl von „wahnsinnig viel Bewegung im Markt“. Der Druck auf die deutschen Absender von TV und Streaming wächst: Henrik Pabst, Chief Content Officer bei ProSiebenSat.1, räumte ein, dass alles, was linear funktioniere, immer mehr daraufhin abgeklopft werde, ob es auch Streaming-tauglich sei. Und Inga Leschek, Chief Content Officer von RTL Deutschland, ergänzte, dass ihr Haus natürlich „wahnsinnig viel“ in die Transformation ins Streaming von RTL+ investiere.
Aus gutem Grund, wenn man die Haupteinnahmequelle vieler Bewegtbild-Anbieter ins Visier nimmt: Werbung. Die Erlöse aus TV und Streaming addieren sich nicht, sie sortieren sich eher neu, wie auch die Zielgruppen. „Die Menschen schauen nicht doppelt so viel TV, die Nutzungszeit bleibt konstant“, erklärte etwa Katharina Baumann bei den #MTM24. Die Geschäftsführerin bei der Mediaagentur Pilot betonte, die Reichweiten seien aber weiterhin für die Werbekunden relevant, und zwar für alle damit verbundenen Connected-TV-Angebote. Connected TV umfasst alle Inhalte, die in digitaler Form auf dem TV-Gerät abgespielt werden.
„Wir planen Bewegtbild holistisch“, erklärte Baumann. Pilot kombiniere sämtliche Sehmöglichkeiten für die gewünschte Zielgruppe und spiele diese via Targeting und Device-abhängig aus. „Reichweite ist für uns der entscheidende Planungsparameter“, sagte Baumann. Insgesamt ergäben sich durch die zusätzlichen Angebote keine neuen Werbegelder, sondern die Budgets würden eher umverteilt – raus aus dem linearen und rein ins digitale TV.
Klar wurde bei den MEDIENTAGEN: Der Wettbewerb wird härter – und die Marktteilnehmenden haken sich unter, statt die Konfrontation zu suchen. Ob Freely eine Blaupause sein könnte, um die Interessen der Zuschauenden von morgen mit jenen der Anbieter und der Werbungtreibenden unter einen Hut zu bringen? Jonathan Thompson, Geschäftsführer von Everyone TV, stellte bei der Konferenz im House of Communication die britische App vor, die er als Fallbeispiel für eine gelungene Partnerschaft im Streaming-Zeitalter darstellt.
Zur Erklärung: Freely gehört den vier britischen Sendern BBC, itv, Channel 4 und Channel 5. Das Angebot bringt Live TV und Video on Demand, Übertragungswege von Satellit bis IPTV, diverse TV-Gerätehersteller und die Zugangswege über verschiedene digitale Geräte zusammen – und das mit zahlreichen verschiedenen Programmanbietern auf einer Plattform. „Nationale Sender müssen zusammenarbeiten“, sagte Thompson.
Malte Hildebrandt von der Gattungsinitiative Screenforce deutete eine Zusammenarbeit „Made in Europe“ zunächst auf der Ebene der Vermarkter an. Nicht zuletzt, um den großen Konzernen aus den USA etwas entgegensetzen zu können. Der Screenforce-Chef hatte bei den #MTM24 gute Nachrichten für Podium und Fachpublikum dabei. Die Erhebungsmethoden der AGF zur Reichweitenmessung hätten sich, so erklärte Hildebrandt, verbessert.
Ein „Crossreach-Standard“ zur Erhebung vergleichbarer Daten für alle Angebote, selbst von Amazon Prime, Netflix oder DAZN, sei inzwischen technisch möglich. Zur „echten Vergleichbarkeit“ fehlten nur noch die Daten der öffentlich-rechtlichen Mediatheken – und die von YouTube. Eines Tages sollte es dann auch möglich sein, Werbung über Sender hinweg zu buchen. Aber: „Kartellrechtlich muss das alles sauber sein.“
In diese Runde passte – typisch für den Markt von heute – Andreas Briese als Country Director von YouTube Germany. Er hob hervor, wie sehr die Grenzen verschwimmen: „Alle denken heute ‚multiscreen‘ und ‚multidevice‘.“ Vom TV-Format zur Streaming-Plattform YouTube und umgekehrt sei es heute nur noch ein kleiner Schritt.
Joyn-Chefin Katharina Frömsdorf bestätigte das neue Nebeneinander von Stream und TV, von großem und kleinem Screen. Auf dem Videoportal von Google liefen vornehmlich Shortforms, also kurze Clips. Zum einen bringe das zusätzliche Einnahmen, zum anderen „hilft die Shortform-Strategie, User zu Joyn zu holen“. Dort fänden sie dann die Longforms, also die längeren Formate, Eigenproduktionen, lineare und On-Demand-Inhalte sowie im Bezahlbereich Joyn+ auch exklusiven Zusatz-Content.
Gerade für das wichtige Bewegtbild-Genre Sport, eines der letzten „Lagerfeuer“ auf dem großen Bildschirm, sind Medienkooperationen inzwischen der Schrittmacher schlechthin. Es gilt, teure TV-Übertragungsrechte für sportliche Großereignisse wie Olympische Spiele oder Fußball-Europameisterschaften zu finanzieren. Frank Robens, Bereichsleiter Sport von RTL Deutschland, lobte bei den MEDIENTAGEN etwa die Zusammenarbeit mit Magenta TV bei der Fußball-EM, die trotz Anfangshürden sehr erfolgreich gewesen sei. Bei den Öffentlich-Rechtlichen vermisse er jedoch die Bereitschaft für solche Kooperationen.
Wir müssen uns von den Denkweisen von gestern frei machen.
Frank Robens, RTL
Jochen Gundel, Director Sport für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Warner Bros. Discovery, berichtete über die Olympischen Spiele in Paris, deren Berichterstattung von dem US-Medienkonzern in Kooperation mit anderen Anbietern produziert und vermarktet wurde. Insgesamt kamen so 3800 Stunden Live-Sportprogramm und sieben Milliarden Streaming-Minuten zustande. Gundel betonte, dass diese Online-Übertragung aller olympischen Wettbewerbe als „Grundversorgung“ entscheidend für den Erfolg des Rechteinhabers sei: „Jeder Sport hat seine Community.“ Zugleich müsse entschieden werden, welche Inhalte in linearen TV-Programmen gezeigt werden.
Bernd Reichart, Geschäftsführer des Sportprojektentwicklers A22 Sports Management, befürwortet die Gründung einer europäischen Super League in Konkurrenz zur etablieren Champions League im Fußball. Er berichtete bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN über den aktuellen Entwicklungsstand. Dabei soll zusammen mit den Clubs das finanzielle Ungleichgewicht im europäischen Fußball ausgeglichen werden, während kostenlose Online-Übertragungen die Fans begeistern sollen.
Zur Erinnerung: Ein erster Gründungsversuch war im April 2021 vornehmlich am Widerstand der UEFA gescheitert. Rückenwind für die neue Liga gab jedoch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Ende 2023, das zu dem Schluss kam, dass die Verbände ihre Monopolstellung im Fußball ausnutzen würden. Die ehemalige Profifußballerin Valentina Maceri appellierte an die Anbieter, sich auf die Bedürfnisse der jungen Zielgruppen einzustellen. Im Bereich Social Media beispielsweise könne experimentiert werden, auch wenn die Monetarisierung dort schwierig sei.
Egal, wo die Inhalte ausgespielt werden: Sie können viel bewegen. Filme und Serien haben das Potenzial, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, Perspektiven zu erweitern und Sensibilität zu schaffen. Das war das Resümee der Teilnehmenden einer Diskussion über den Einfluss von Film auf die Gesellschaft, das vom Forum Filmwirtschaft im Rahmen der #MTM24 organisiert wurde. Beispiele sowohl aus Deutschland als auch aus Hollywood gibt es zur Genüge. Aus der jüngeren Geschichte wurden beispielsweise die deutsche Serie „Sam, ein Sachse“ oder der US-Film „Oppenheimer“ genannt.
Auch die Serie „Der Schwarm“ zum gleichnamigen Bestseller von Frank Schätzing fällt in die Kategorie von Produktionen, die zum Nachdenken anregen. Im Mittelpunkt der Serie stehen geopolitische Konflikte sowie die Umwelt- und Klimakrise. Zugleich sei diese Serie auch ein Beispiel dafür, dass anspruchsvolle Stoffe großen wirtschaftlichen Erfolg haben können, betonte Caroline Meichsner-Sertl, Geschäftsführerin von ZDF Studios. Doch wirtschaftlich angespannte Lage in Deutschland hat Auswirkung.
Es ist schwieriger geworden, so hoch budgetierte Stoffe umzusetzen und zu finanzieren.
Caroline Meichsner-Sertl, ZDF Studios
Was ihr ebenfalls Sorge bereite, sei der aktuelle Rechtsruck in den Ländern, die das Projekt mitfinanziert haben. „Wenn Regierungen nach rechts rücken, wird es schwieriger, Budgets zusammenzubringen“, berichtete auch Nina Peters, Geschäftsführerin der Produktionsfirma ndf Hamburg.
Claudia Lehmann, Geschäftsführerin von Maz&Movie und Moderatorin der Panel-Diskussion, fragte in die Runde, ob man glaube, dass in den Bundesländern mit starker AfD-Präsenz künftig bestimmte Geschichten nicht mehr erzählt werden könnten. „Wer die Anhörungen im Bundestag zum Filmfördergesetz verfolgt, kommt nicht umhin, die Stellungnahmen der AfD zu hören“, sagte Christian Sommer, deutscher Vertreter der Motion Picture Association. Aktuell kommt keine Diskussionsrunde zum Thema Filmwirtschaft um die geplante Reform der Filmförderung herum, für die es immer noch keinen konkreten Termin gibt. Dabei hätten Film-Projekte aus Deutschland die Kraft, einen Blick auf eine plurale Gesellschaft zu werfen und zu zeigen, welchen Reichtum eine diverse Gesellschaft in vielen Lebensbereichen darstelle.
Dass selbst Trash-TV sinnvolle Botschaften verbreiten kann, wurde bei einer Session mit Reality-TV-Verantwortlichen und -Teilhabenden deutlich. „Tabubrüche wie Mobbing oder Diskriminierung haben in Reality-Shows keinen Platz“, betonte Fabian Tobias, Chef von EndemolShine Germany. Sein Unternehmen, das unter anderem die Formate „Promi Big Brother“ sowie „Beauty & the Nerd“ realisiert, schreibt in den Verträgen beispielsweise fest, dass Äußerungen in Richtung Homophobie und Rassismus zum Ausschluss führen.
Die Autorin und Moderatorin der Diskussionsrunde, Anja Rützel, hob positiv hervor, dass Reality-Stars inzwischen auch schwierige Themen ansprechen. So habe Elena Miras über ihre Depressionen berichtet und Kader Loth über ihre Diagnose Endometriose – mit dem klaren Signal: Falls ihr auch betroffen seid, holt euch Hilfe. „Es liegt auch in der Verantwortung der Macher, dass solche Themen in einem lockeren Kontext Platz finden, da man damit Menschen erreicht, die man sonst nicht erreichen würde“, sagte Lars Tönsfeuerborn, Podcaster und Gewinner der ersten Staffel von Prince Charming.
Natürlich mischt KI inzwischen bei TV, Streaming und Produktion mit. Mit vielen Fragezeichen, vor allem im Rechtlichen, aber auch mit erstaunlichen Neuentwicklungen. Albert Bozesan von Storybook stellte bei den #MTM24 die weltweit erste originäre KI-Serie aus München vor. Animationsserie „Space Vets“ handelt von Tierärzt:innen und Wissenschaftler:innen, die mit einem Raumschiff unterwegs sind, um außerirdische Lebewesen zu entdecken – und auch mal ein Kätzchen im All zu retten, wie der Trailer zeigt.
Bozesan betonte, dass Drehbücher und Charaktere von Menschen ausgedacht wurden, denn „nur Kreative wissen, wie Storytelling geht“. Im Anschluss wurde die „KI da eingesetzt, wo sie nützlich ist, also beim Design“.
Die Produktion der ersten Folge habe mit sechs Personen 60 Tage lang gedauert. Üblich waren bisher 30 Mitarbeitende, die neun bis zwölf Monate tätig waren. „Space Vets“, so kündigte Bozesan hat, werde 2025 in Vollproduktion gehen – zu 20 Prozent weniger Kosten und viermal so schnell wie eine klassische Animationsserie.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im MTM-Blog bereit. Dort kann auch der wöchentliche Blog-Newsletter abonniert werden.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.