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Beim Streaming liegen US-Inhalte im Trend

Geschrieben von Petra Schwegler | 25. Januar 2022

Da helfen auch Quoten für europäische Produktionen wenig: Es läuft gut für jene VoD-Plattformen, die viele Inhalte US-amerikanischen Ursprungs liefern können. Wie ein erster Einblick in eine neue Goldmedia-Studie offenbart, gibt es aber Tendenzen bei Angebot und Nachfrage hin zu lokalen Produktionen – und auch gute Gründe für Streaming-Marken, sich im globalen Hype um Inhalte mit Eigenproduktionen aus heimischen Märkten anzugrenzen.

Immer mehr eigenständige Streaming-Portale wollen auch im deutschen Markt Fuß fassen und müssen, um attraktiv zu bleiben, immer wieder frischen Content anbieten. Dabei regelt die EU-Quote, dass auch bei Plattformen mit Sitz in den USA wie Netflix oder Amazon Prime Video 30 Prozent des Contents in der EU produziert werden muss. Die Identifikation mit regionalen Inhalten gilt immerhin als größer. Netflix zum Beispiel will bis 2023 satte 500 Millionen Euro in deutschsprachige Eigenproduktionen investieren.

 

Wie steht es um Produktionsanteile und Abrufe der VoD-User?

Ende Februar will das Marktforschungsunternehmen Goldmedia auf Basis ihrer kontinuierlichen VoD Ratings in einer Studie Aussagen darüber treffen, wie sich das Verhältnis von lokalem zu globalem Content auf den Streaming-Plattformen entwickelt hat. Erste Einblicke hat Geschäftsführer Florian Kerkau jetzt in einem Digitalevent aus der Reihe Tasting Talks gegeben. So viel vorweg: "Ein Angebot mit sehr aktuellen und sehr attraktiven US-Titeln ist das Angebot, das immer extrem erfolgreich sein wird", verrät der Goldmedia-Geschäftsführer.

Passend dazu startet gerade eben mit Peacock der Streamingdienst von NBC Universal – mit einem bunten Strauß an US-Inhalten bei Sky. Kund:innen von Sky Q und Sky Ticket erhalten kostenfreien Zugriff auf insgesamt "über 7000 Stunden Serien und Filme", wie der Anbieter zum deutschsprachigen Launch verkündet.

Doch es sind im europäischen Raum Veränderungen zu spüren, wie auch die VoD Ratings registrieren. Im französischen Streaming-Markt etwa liegt der Anteil lokaler Produktionen aktuell (Zahlen aus 2021) auf VoD-Plattformen bei gut 20 Prozent. Abgerufen wird der heimische Content in Frankreich dagegen im Schnitt nur zu 12,1 Prozent. In Spanien ist das Verhältnis umgekehrt: Nur knapp jede zehnte Film- oder Serienproduktion im VoD-Segment stammt von der iberischen Halbinsel. Dafür ist knapp jeder fünfte abgerufene Inhalt spanischen Ursprungs.

Kerkau erklärt die überproportionale Performance heimischer Inhalte in Spanien mit teils sehr hochwertigen und beliebten Produktionen wie "Haus des Geldes"; ein Fakt, den Wolf Osthaus, Director Public Policy DACH bei Netflix, in der Diskussionsrunde bestätigt. Großartiges Storytelling habe der spanische Markt immer schon im Filmbereich bewiesen, nun eben bei VoD-Angeboten, so der Manager. Kerkau nennt Eigenproduktionen "als Thema für jede Plattform unverzichtbar" und beschreibt den besonderen Reiz der Angebote in der räumlichen und emotionalen Nähe zu den Zuschauern: "Wenn man deutsche Titel hat, hat man auch deutsche Gesichter." 

 

Der deutsche Streaming-Markt rangiert beim Verhältnis US- vs. EU-Produktion "im europäischen Mittelfeld", erläutert Kerkau. Vorhanden sind demnach 11,4 Prozent lokale Inhalte, gestreamt werden deutsche Filme und Serien laut den VoD Ratings zu 8,2 Prozent. In der Entwicklung der vergangenen beiden Corona-Jahre, geprägt von einem Mehr an Nutzungsdauer und dem Einstieg neuer Player, haben die Goldmedia-Forscher eine Art Zäsur registriert: Mit dem gelungenen Eintritt von Disney+ hat die Vorliebe für die ohnehin dominierenden US-Inhalte im deutschen VoD-Gesamtmarkt zugenommen. Details sollen Ende Februar veröffentlich werden.

Florian Kerkau rät den Anbietern aber dennoch zu Eigenproduktionen aus der Region – ebenso wie Netflix-Manager Osthaus und Marco Hellberg, Geschäftsführer des Canal+-Unternehmens M7, das Sender-Pakete für Kabel- und IP-Netzbetreiber anbietet und in Kooperation mit A1 in Österreich im Frühjahr eine Plattform mit lokalen Inhalten starten wird. Gut sei das fürs Profil und die Unterscheidbarkeit, aber auch für die Bindung zum User, die Vermarktung im zunehmend spannenden Segment des werbefinanzierten Streamings AVoD und auch für den jeweiligen Produktionsmarkt. Europäischer Content habe bereits einen enormen Anteil am Markt: "Wenn man die Werte zusammenzählt, ist man schon bei etwa 30 bis 40 Prozent", so Hellberg. Der M7-Chef sieht zudem die Entwicklung, dass "ein Konsument vier oder fünf Abos" besitzt. Er rechnet daher auch neuen Anbietern noch gute Chancen aus, sich am umkämpften Markt zu behaupten. 

Wolf Osthaus hebt zudem die Chance für regionale Produktionen auf dem globalen Markt hervor; die bisher erfolgreichste Netflix-Serie "Squid Game" sei eigentlich für den koreanischen Markt gedacht gewesen.

 

Das deutsche Produktionsgeschäft brummt

Den weltweiten Boom auf Produktionsseite spüren deutsche Player auf jeden Fall. Die Nachfrage nach frischem Content steigt rasant und die Produktionen laufen auf Hochtouren. Die erfahrene Produzentin Nanni Erben, Geschäftsführerin und Produzentin von MadeFor Film aus der Banijay-Familie, sprach im Rahmen der Medientage München 2021 von einer "inspirierenden Zeit". Und: "Wir alle spüren den Boom, den Aufbruch und Wandel." Dies gelte vor allem auch für die Inhalte, die sich im Laufe der vergangenen Jahre mit dem Verhalten der Zuschauer:innen verändert hätten. "Wir produzieren heute fast nur noch Reihen und Serien und fast keine 90-Minüter mehr", so Erben.

Auch die Konzeption der Serien habe sich gewandelt. So würden heute statt wöchentlich ausgestrahlter Episoden vorwiegend horizontal konzipierte Reihen produziert. "Schließlich bietet sich mit dem Streaming die Möglichkeit, viele Stunden am Stück in die Charaktere und Geschichten einzutauchen", erläuterte die Produzentin.

Lena Wickert im Austausch mit Nanni Erben (l.). Foto: MTM

Das noch vergleichsweise junge Streaming-Portal Joyn der ProSiebenSat.1-Gruppe setzt gezielt auf Eigenproduktionen. "Durch das breite Portfolio von Free bis Premium können wir unterschiedliche Zielgruppen adressieren", erklärte Lena Wickert, die als Executive Producer & Team Lead Original Production bei Joyn arbeitet. Im Free-Bereich liege die Kernzielgruppe beim Publikum im Alter von etwa 20 Jahren: "Für dieses junge Segment ist es uns mit Joyn gelungen, die Lücke zwischen YouTube und linearem TV durch wertigen Content mit Video-Charakter zu schließen", schilderte Wickert das Joyn-Konzept.

Der Vorteil von Streaming-Produktionen sei die größere Flexibilität bei Formaten oder deren Längen, denn die Angebote müssten im non-linearen Bereich nicht in ein festes Programmschema passen, so Wickert. Auch bei Joyn werde mit unterschiedlichen Kanälen experimentiert. So kann eine Serie im Free-Bereich als Stacking (gestaffelt) ausgestrahlt und im Premium-Bereich als Binge (alle Folgen auf einmal) angeboten werden.

Hier der Mitschnitt der #MTM21-Diskussionsrunde mit Kreativen aus TV, Streaming und Produktion: 

 

 

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