Es waren besondere MEDIENTAGE MÜNCHEN. Erstmals ausschließlich digital, geprägt von vielen Diskussionsbeiträgen zu den Folgen der Corona-Krise für klassische wie neue Medien. Mehr als 350 Referent*innen – zu 38 Prozent weiblich – aus Medienwirtschaft und -politik, aus Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft brachten Nachdenkliches, Inspirierendes, Kritisches und Innovatives ins Gespräch. Über 100 Sessions wurden eine Woche lang aus sieben Studios in München übertragen. Ein Überblick.
Die zentralen Themen, mit denen sich fast alle Vorträge, Talk- und Gesprächsrunden auseinandersetzten waren: digitale Transformation und Disruption, Strukturwandel einer fragmentierten und diversen Öffentlichkeit, Nachhaltigkeit und Wertewandel sowie Folgen der Corona-Pandemie.
Die Woche wurde mit einem wichtigen Impuls eröffnet: Wolfgang Blau, Visiting Fellow am Reuters Institute for the Study of Journalism, skizzierte in seiner Keynote eine „journalistischen Bewährungsprobe“. Angesichts der zunehmenden Fragmentierung der Öffentlichkeit beginne sich auch die Idee einer öffentlichen Meinung aufzulösen. Blau nannte als Beispiel das polarisierte politische Meinungsklima in den USA oder in Großbritannien. Journalismus müsse sich um einen „gesellschaftlichen Mindest-Zusammenhalt“ bemühen, der eine Spaltung der Mediensphäre verhindern könne, so der Ex-Condé-Nast-Manager. Blau stellte die Frage in den Raum, ob es noch verantwortbar sei, an journalistischen Formaten festzuhalten, deren Wirkung messbar nachlasse.
Das MTM20-Motto lautete „This is Media NOW“. Passend dazu war die ganze Bandbreite an Medien präsent während der digitalen Konferenz und Expo. Dem trug der medienpolitische Part der MEDIENTAGE Rechnung, der den neuen Medienstaatsvertrag durchleuchtete. Das Werk berücksichtigt zusätzlich zum klassischen Rundfunk innerhalb des digitalisierten Medienmarktes stärker als zuvor auch Plattformanbieter und so genannte Intermediäre, falls diese meinungsbildende Inhalte anbieten. Dazu zählen soziale Online-Netzwerke, Instant Messenger, Suchmaschinen oder Videoportale.
Heike Raab, die als Staatssekretärin der Landesregierung von Rheinland-Pfalz für die Koordination der Medienpolitik der Bundesländer zuständig ist, verwies auf Studien, wonach die Desinformation der Nutzer von Mediendiensten zugenommen habe. Indem Anbieter von Inhalten mit meinungsbildender Wirkung in Zukunft alle drei Jahre dahingehend kontrolliert würden, ob sie die journalistische Sorgfaltspflicht einhielten, solle der wachsenden Desinformation entgegengewirkt werden.
Hinzu kam der Wunsch nach mehr Fairplay zwischen traditionellen und digitalen Inhalteanbietern. Mehr Transparenz der großen Plattformen, eine maßvolle Regulierung sowie die Sichtbarkeit für alle Player, um den Erhalt einer pluralistischen Medienlandschaft zu garantieren: Diese Punkte sollten in eine überarbeitete EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) einfließen, forderten die Teilnehmer*innen einer VAUNET-Expertendiskussion während der #MTM20.
Besonders viel Optimismus verströmten die Vertreter der Bewegtbildbranche in diversen Diskussionsrunden während der MEDIENTAGE MÜNCHEN, allen voran beim TV-Gipfel. Laut dem 16. Digitalisierungsbericht Video der Landesmedienanstalten, der zum Auftakt der Konferenz am Montag präsentiert wurde, entwickelt sich der Bewegtbildmarkt in Deutschland und Europa weiter in Richtung Streaming und Mediatheken – auch wenn die Corona-Pandemie gleichzeitig ebenso den klassischen Fernsehkonsum gesteigert hat. Jeder dritte Deutsche nutzt dem Werk zufolge Netflix, jeder vierte Amazon Prime. Nationale Anbieter wie Joyn oder die ARD Mediathek zeigten sich dennoch zuversichtlich, dass es für alle ausreichend Platz im künftigen deutschen Online-Bewegtbildmarkt geben werde.
Einblicke in ein Zukunftsmodell, das vielen Verlagsmanagern als vielversprechend gilt, gewährte während der MTM20 Christian Bäsler. Er ist in seiner Funktion als President seit 2018 für das operative Geschäft der US-Entertainment-Company Complex Networks verantwortlich. Das Unternehmen wurde um die Jahrtausendwende als Zeitschrift gegründet und nach und nach zu einem Entertainment-Imperium für Jugendkultur ausgebaut. Heute werden einige hundert Millionen US-Dollar jährlich erwirtschaftet - mit Shows auf Social-Media-Kanälen wie Snapchat, Serien auf den Streaming-Portalen Netflix und Hulu, Festivals mit tausenden Besuchern sowie eigens entwickelte Produkte, die über Marktplätze verkauft werden. Bäsler gab an, mit Complex Networks inzwischen mehr als 50 Prozent der Einnahmen außerhalb des Werbe- und Anzeigengeschäfts zu erlösen.
Audio bleibt im Trend. Auch das war ein Tenor der erstmals digitalen MEDIENTAGE. Der Audio-Gipfel widmete sich der wichtigen Frage: Was prägt zurzeit den digitalen Transformationsprozess der Audio-Branche? Neue Plattformen, andere Spielarten der Mediennutzung, automatisierte Vermarktung von Werbung, Phänomene wie Sprachsteuerung, individualisierbare Inhalte oder Datenanalyse – und dann auch noch die Folgen der Corona-Pandemie. Sowohl in der Produktion als auch in der Vermarktung von Audioangeboten sei es sehr wichtig, so urteilten Expert*innen, dass öffentlich-rechtliche und kommerzielle Anbieter auf nationaler Ebene Kooperationen eingehen.
Und das Thema Werbung spielte eine zentrale Rolle.: Aufgrund der Corona-Pandemie verzeichne der Markt für Audioangebote ein starkes Wachstum an Reichweite. Das habe zeitversetzt die Nachfrage von Werbungtreibenden nach Werbeplätzen im Audiobereich erhöht, zeigten sich Branchen-Vertreter*innen einig.
Live-Hörfunk und Podcasts seien die Formate, die die Bedürfnisse der Menschen nach aktuellen und fundierten Informationen im Zusammenhang mit der Pandemie erfüllen würden und daher begehrte Werbeträger. Parallel werde der Markt für Audioangebote weiterhin wachsen, so die einhellige Meinung.
Zusätzlich zum Medientage-Gipfel, zum Audio-Gipfel, zu TV-Gipfel, Sportgipfel, Europatag und Journalism Summit wurden in diesem Jahr Kongress-Akzente mit Schwerpunkten zu den Themen Diversität und Desinformation gesetzt. Zentrales Thema, das Medienunternehmen jenseits der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und dem anschwellenden Bewegtbild-Konsum zurzeit besonders beschäftigt, ist das Phänomen Social Media. Die Entwicklung, so urteilten Branchenvertreter*innen, seien durch die Covid-19-Folgen enorm forciert worden. Positiv wie negativ.
Darüber hinaus wurde während der zahlreichen Diskussionen immer wieder deutlich, dass Gesellschaft und Medien heute vielfältiger sind als je zuvor und dass die Herausforderung für Medien und Journalismus daraus besteht, möglichst viele gesellschaftlichen Strömungen verantwortungsbewusst aufzunehmen und abzubilden. Das bildete das Konferenzprogramm mit Veranstaltungen in den Bereichen Politik & Gesellschaft, Diversity, TV & Streaming, Smart TV, Journalismus & Publishing, Audio & Radio, Podcast, Werbung & Marketing, lokaler Rundfunk und Europa ab. Parallel dazu bestand bei der Media Lab Innovation Week die Möglichkeit, online On-Demand-Kurse abzurufen.
Die Bilanz: Die 34. MEDIENTAGE MÜNCHEN erreichten online innerhalb von sieben Tagen mehr als 10.000 Besucher*innen. Die Verweildauer lag durchschnittlich bei über 4 Stunden. „Ich bin überwältigt von der guten Akzeptanz der ersten digitalen Medientage München“, zeigte sich Stefan Sutor, Geschäftsführer der Medien.Bayern GmbH, am letzten Kongresstag sehr zufrieden. „Wir hatten ein umfangreiches Konferenzangebot, volle Masterclasses, spannende Debatten und trotz der Ablenkungen im Homeoffice eine lange Verweildauer auf unserer Plattform MEDIENTAGE MÜNCHEN digital.“
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN werden von der Medien.Bayern GmbH veranstaltet und von der Bayerischen Staatskanzlei und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) gefördert. BLM-Präsident Siegfried Schneider, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Medien.Bayern GmbH, betonte, mit Blick auf den Teil-Lockdown: „In dieser besonderen Phase mit drastischen Maßnahmen werden die Medien erneut extrem gefordert sein. Die Menschen brauchen fundierte, gut recherchierte Informationen – die Branche in unserem Land macht dabei einen hervorragenden Job“, sagte Schneider und verwies auf eine „Renaissance der Inhalte, des Public Value und des Qualitätsjournalismus“.
Schneider: „Die Herausforderung ist es mehr denn je, auch diejenigen zu erreichen, deren Vertrauen in die Medien sinkt und die anfällig sind für Fake News, Verschwörungstheorien und Hassbotschaften im Netz. Hier dürfen wir nicht aufgeben, wir müssen den Dialog suchen und die demokratische Debatte schützen!“
Die Plattform für die digitalen Medientage München 2020 wurde mit Arvato Systems, Fabrik19 und Google umgesetzt. Die Video-Aufzeichnungen vieler Sessions sind noch vier Wochen on Demand über den folgenden Link verfügbar: https://medientage-digital.de. Außerdem stehen Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial auf der Medientage-Homepage in der Mediathek und auf https://medientage.de/pressemitteilungen/
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