Auch schon wieder "Kevin – Allein zu Haus“ in der Adventszeit geguckt? Oder den Klassiker "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel"? Diese Art der Alltagsflucht in Filmklassiker funktioniert nicht nur zur Weihnachtszeit. Die Auszeit von schlechten Schlagzeilen vor Filmen, Serien, Comedy oder auch Koch-Shows hat Sinn. Noch dazu schließen sich Unterhaltung und Haltung nicht aus.
Es wird vielen schlicht zu viel: Konsumieren wir regelmäßig aktuelle Schlagzeilen rund um globale Krisen, Krieg, Inflation und Wahlkampfgetöse, dann wächst in uns vielfach der Wunsch, dieser zunehmend düsteren Wirklichkeit zu entkommen. Stichwort "News Avoidance“.
Laut dem Reuters Institute Digital News Report 2024 versuchen 14 Prozent der erwachsenen Internetnutzer in Deutschland oftmals aktiv, Nachrichten zu vermeiden; 69 Prozent versuchen dies im Jahr 2024 gelegentlich. Im Vergleich zum Vorjahr sind beide Anteile um vier Prozentpunkte angestiegen. Gleichzeitig haben 41 Prozent der Befragten angegeben, dass sie sich von der Menge an verfügbaren Nachrichten erschöpft fühlen. 2019, als die Frage zuletzt erhoben wurde, war noch rund jede vierte Person (26 Prozent) dieser Ansicht. In der jüngsten Altersgruppe empfindet mittlerweile die Hälfte (51 Prozent) eine gewisse Erschöpfung aufgrund der Menge an verfügbaren Nachrichten.
Da bleibt für viele nur noch Realitätsflucht. Diese Form von Rückzug wird oftmals als "Eskapismus“ bezeichnet, häufig auch in Zusammenhang mit dessen Gefahren. Und ja, es gibt sie, diese Kehrseiten des Ausklinkens – wie etwa die Videospielsucht. Doch in den meisten Fällen handelt es sich bei Eskapismus um eine zeitlich begrenzte Flucht. Die Person wählt sich dabei gezielt ein Medium aus und lässt sich nicht einfach berieseln. Glaubt man Psychologen, dann hat diese Form des Zurücklehnens sogar sehr positive Aspekte.
Vielen Menschen suchen sich für ihren Rückzug aus der Realität das TV-Gerät aus. Der Streaming-Binge-Marathon mit einer Serie oder das gute alte Fernsehen liefern reichlich Material zum Zurücklehnen.
Vor allem die Menschen hinter dem TV werben ganz offensiv mit dem, was das Medium neben Informationsvermittlung zu bieten hat. Und siehe da: "Lean back“ dominiert, wie es die Vermarktungsinitiative Screenforce für die Gattung zusammenfasst.
Quelle: Screenforce
Nase rümpfen, weil sich Menschen unterhalten lassen wollen? Da wird der bunte Strang des Bewegtbilds durchaus unterschätzt.
Selbst "Trash TV“ kann konstruktive Botschaften vermitteln. Im Rahmen einer Session der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2024 rund um die Stars und Macher:innen von Reality Shows hob Autorin Anja Rützel als Moderatorin der Diskussionsrunde positiv hervor, dass Reality-Stars inzwischen auch schwierige Themen ansprechen. So habe Elena Miras über ihre Depressionen berichtet und Kader Loth über ihre Diagnose Endometriose – mit dem klaren Signal: Falls Ihr auch betroffen seid, holt Euch Hilfe.
"Es liegt auch in der Verantwortung der Macher, dass solche Themen in einem lockeren Kontext Platz finden, da man damit Menschen erreicht, die man sonst nicht erreichen würde“, sagte Lars Tönsfeuerborn, Podcaster und Gewinner der ersten Staffel von "Prince Charming", bei der Diskussion der #MTM24.
Für den Kurzurlaub vor dem TV-Gerät gibt es reichlich Stoff mit Niveau und viel Material fürs Herz. Fiktionales, Quiz-Shows, Comedy, Musiksendungen, Naturdokumentationen: Das Angebot ist riesig und wächst weiter. Gerade in der Weihnachtszeit füllen sich Mediatheken und Senderlisten mit familientauglichen Märchenfilmen. Die Öffentlich-Rechtlichen feiern regelmäßig Quotenerfolge mit dem Alltime-Klassiker "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", "Hans im Glück“ oder "Rotkäppchen“.
Passend zum Höhepunkt der Bewegtbildnutzung in der dunklen Jahreszeit und speziell in der Adventszeit boomt das ansonsten verschmähte Genre der Weihnachtsfilme. Sender, Mediatheken und Streamer polieren ihren Archiv auf oder ergänzen jährlich ihren Fundus an besonders herzzerreißendem Videomaterial. Aus dem Umstand hat JustWatch, Film- und Serienguide für Streaming-Inhalte, jetzt einen Service geformt: eine Übersicht, auf welcher Plattform mit einem Abo das Weihnachtssoll am besten erfüllt wird.
Aktuell liegen laut JustWatch "The Guardians of the Galaxy Holiday Special“, "Schöne Bescherung“ und "Kevin – Allein zu Haus“ im Ranking des deutschen Weihnachts-Streaming-Angebots ganz vorne.
Wenn vor der Kamera der Wert von Antikem geschätzt, Quizkandidat:innen zum Grübeln gebracht oder der Kochlöffel geschwungen wird, versammeln sich sehr treue Communities vor den Bildschirmen. Auch die kommerziellen Sender schwören auf das Rezept Koch-Show oder Küchen-Duell; "The Taste“ läuft gerade in der 13. Staffel bei Sat.1, mit Höhen und Tiefen, aber immer mit treuen Fans von Frank Rosin.
Da "Mein Lokal, dein Lokal“ bei Kabel eins seit nunmehr elf Jahren der fürs Fernsehen so wichtige "Anker am Vorabend“ ist, wie es Senderchef Felix von Mengden kürzlich bei Präsentation diverser Neuerungen in München nannte, lädt der ProSiebenSat.1-Kanal das Format nochmals auf: Mit den Topf-Promis Ali Güngörmüs, Robin Pietsch und Christian Henze als neue Köche. Sie werden ab 6. Januar im Wechsel als Hosts montags bis freitags ab 17.55 Uhr oder auf der Streaming-Plattform Joyn zu sehen sein.
Eskapismus vor dem Big Screen funktioniert besonders gut. Doch sind natürlich auch Bücher oder Podcasts fürs Abtauchen aus dem Krisenmodus geeignet. Mit dem Social-Media-Trend #BookTok befeuern aktuell Lese-Influencer:innen Auror:innen wie Rebecca Yarros, Colleen Hoover und Lilly Lucas sowie Fantasy-, Romance- und Young-Adult-Titel, Stücke zum Abtauchen in heile Welten.
Wo und wie auch immer abgeschaltet wird: Medien können Menschen richtig gut tun.
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