In Iran gehen seit fast zwei Monaten Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten auf die Straßen, um ein Ende des brutalen Mullah-Regimes zu fordern. Sie protestieren trotz der Gefahr, inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet zu werden. Wie soziale Online-Netzwerke die Informationen der iranischen Protestbewegung verbreiten, wie deutsche Medien die Vorgänge in Iran schildern und was sich dabei ändern muss – darüber wurde im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert.
Sowohl Chance als auch Gefahr für kritische Berichterstatter:innen stellen die soziale Netzwerke in Iran dar. Denn auch das autoritäre Regime und der iranische Geheimdienst nutzen heute Social Media als Mittel für Propaganda und Repression. Doch die Unterscheidung für westliche Journalist:innen, die Informationen aus dem Netz für ihre Recherche nutzen, ist schwer.
Shahrzad Eden Osterer (Foto oben rechts, mit Moderatorin Ninia LaGrande), Netzjournalistin beim Bayerischen Rundfunk (BR), und ihre Kolleg:innen hätten wiederholt feststellen müssen, dass deutsche Redaktionen im Rahmen der Berichterstattung über die Proteste Lobbyisten des iranischen Regimes als authentische Quellen und Experten präsentierten.
Osterer und Aktivist:innen aus ihrem Netzwerk hätten die Redaktionen wiederholt über verschiedene Kanäle darauf aufmerksam gemacht und sie aufgefordert, Quellen gründlich zu recherchieren und zu verifizieren, berichtete Osterer bei den #MTM22. Die europäische Politik reagiere ebenfalls verhalten.
Osterer verließ mit 19 Jahren den Iran und kam nach Deutschland. Obwohl sie aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung selbst nicht mehr in ihre Heimat reisen dürfe, sei sie Teil eines intensiven Netzwerks, das sich über soziale Online-Netzwerke und Messenger-Dienste austausche, Informationen verifiziere und sich gegenseitig mental unterstütze. Im Rahmen dieses Netzwerks sehe sie es als ihre Aufgabe an, die Stimmen der Betroffenen unverfälscht in die deutsche Öffentlichkeit zu tragen, sagte die engagierte BR-Journalistin.
Soziale Online-Netzwerke und Messenger-Dienste ermöglichten es engagierten Publizist:innen, unzensiert aus dem Land zu berichten, erklärte die im Iran geborene Journalistin. Sie könnten auf Erfahrungen aus dem so genannten Arabischen Frühling zurückgreifen, der im Dezember 2010 in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens begonnen hatte.
Doch die Regierungen in der Region hätten ebenfalls aus dem arabischen Frühling gelernt und würden nun alles tun, um Social Media zu unterdrücken. Das iranische Regime nutze zudem heute selbst soziale Online-Netzwerke für gezielte Desinformation oder um Regimekritiker:innen auszuspionieren und zu verfolgen.
Niemand, der kritisch berichtet, kann noch arbeiten. Viele wurden prophylaktisch verhaftet.
Shahrzad Eden Osterer
Der iranische Geheimdienst bedrohe Regimekritiker:innen nicht nur im Land, sondern auch im Exil. Dass Hassbotschaften und Gewaltandrohungen in sozialen Online-Netzwerken dabei auch als Waffe eingesetzt werden, müssen Shahrzad Eden Osterer und ihre Familie auch hier in Deutschland immer wieder erfahren.
Wie deutsche Medien über den Iran berichten – das thematisierte im Oktober auch eine Folge von "quoted. der medienpodcast", eine Kooperation der CIVIS-Medienstiftung für Integration und kulturelle Vielfalt in Europa und der Süddeutschen Zeitung, gefördert von der Stiftung Mercator. Zu Gast war die WDR-Journalistin Isabel Schayani. Sie leitet WDRforyou, ein Online- Angebot des Westdeutschen Rundfunks für Geflüchtete in den Sprachen Deutsch, Farsi, Arabisch und Ukrainisch.
Ihr geht es auch darum, wie Berichte über die Lage im Heimatland bei der iranischen Community in Deutschland ankommen. Zu dem Vorwurf, in deutschen Medien gebe es "Mullah-Versteher", sagte Schayani, es schade dem Thema, wenn in Lagern gedacht werde statt darüber zu diskutieren, wie die Menschen in Iran von ihrer Regierung behandelt werden.
Auslöser der Proteste in Iran ist der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei. Videos der Proteste sind vor allem auf Instagram geteilt worden. Auch wurden viele Protestaktionen mit Hilfe des Meta-Networks angekündigt und organisiert — zumal Instagram bis vor wenigen Wochen die einzige große Social-Media-Plattform war, die das Mullah-Regime in Teheran nicht grundsätzlich gesperrt hatte. 45 Millionen Iraner:innen waren zuletzt dort aktiv.
Doch die iranische Regierung riegelte in der Folge auch Instagram wegen der Unruhen ab und schränkte generell den Zugang zum Internet für viele noch mehr ein.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.