Fernsehprogrammanbieter unter Druck: Die Werbeinnahmen sinken, Marktmacht und Wettbewerb durch Big-Tech-Unternehmen steigen und Journalismus hat seinen Preis. Wie kann in diesem Umfeld die Finanzierung privater Medienhäuser ebenso wie die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Angebote gesichert werden, die sich auf Rundfunkbeiträge stützen können? Für diese Fragen suchten Expert:innen aus Politik und Wirtschaft im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN nach Antworten.
Die Ausgangslage hat sich massiv verändert. Dr. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, sieht ihre Branche aktuell vor drei großen Herausforderungen:
Bei der Veranstaltung im House of Communication standen die Weichenstellungen für die Öffentlich-Rechtlichen im Mittelpunkt. Der Anlass: Seit diesem Frühjahr ist der Zukunftsrat im Einsatz. Dessen acht Mitglieder erarbeiten im Auftrag der Rundfunkkommission Vorschläge mit dem Ziel, eine langfristige Perspektive für ARD, ZDF und Deutschlandfunk sowie deren Akzeptanz auch über das Jahr 2030 hinaus zu entwickeln.
Prof. Bettina Reitz, Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film München (FFH) und Mitglied des Zukunftsrats, zeigte sich bei den MEDIENTAGE MÜNCHEN zuversichtlich, ein gutes Ergebnis für das Fortbestehen des dualen Rundfunksystems zu erzielen. „Es wurde auf diesem Weg Zeit verloren, aber man kann noch die richtigen Weichen stellen“, resümierte Reitz.
Dr. Florian Herrmann, dem bayerischen Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien, lag bei der MEDIENTAGE-Diskussion die Entwicklung der Medien und damit einhergehend der Demokratie sehr am Herzen. Er sah die freie Meinung und offene Gesellschaften weltweit unter Druck, beispielsweise durch gezielte Desinformationskampagnen. „Deshalb muss es unser Ziel sein, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk über Jahrzehnte hinaus zu stützen oder aufrechtzuerhalten“, so der CSU-Politiker.
An der schwindenden Akzeptanz sehe man, dass es Handlungsbedarf gebe. Allerdings dürfe man sich auch nicht verrückt machen lassen. „Bestimmt sind einige Dinge nicht mehr zeitgerecht, aber wir dürfen nicht in die Falle tapsen, ständig das gesamte System madig machen zu lassen“, erklärte der Staatsminister. Die wichtigste Währung der Medien sei Vertrauen - und dies sei über Qualität zu erlangen.
Daneben machte sich Herrmann, ebenso wie BLM-Geschäftsführerin Dr. Annette Schumacher, bei einer Session zur Zukunft des Dualen Rundfunksystems für mehr Miteinander stark. Auf mittlere Sicht könne angesichts des Wettbewerbs durch die so genannten Big Techs und sinkende Werbeerlöse die Vielfalt der Medien verloren gehen und das duale System sei gefährdet. Der Staatskanzleichef betonte: „Kooperation ist also das Gebot der Stunde. Die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen haben bislang erfolgreich in einem sich ergänzenden System gelebt. In der Zukunft müssen wir mehr kooperieren.“ Ihm schwebt vor: „Weg vom Säulendenken im dualen System und hin zu einem symbiotischeren System zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen.“
Die andere Seite des dualen Systems, die der werbefinanzierten Privatsender, zeigte sich bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN einer Kooperation der Systeme gegenüber aufgeschlossen. Der Wunsch von Dr. Michael Müller, Chief Distribution Officer – Legal & Regulatory von ProSiebenSat.1 Media: Es sollten im dualen Rundfunksystem faire Wettbewerbsbedingungen für privatwirtschaftliche Anbieter herrschen.
Müller nannte die Lage „wahrlich herausfordernd“. Der Werbekuchen werde kleiner und auch von amerikanischen Unternehmen abgegriffen, es stünden Werbeverbote im Raum und darüber hinaus werde privater Rundfunk durch Regulierung eingeschränkt. Müller appellierte an die Branche: „Wir sollten mehr out of the Box denken. Warum probieren wir Dinge nicht einfach aus und nehmen beispielsweise ARD und ZDF einfach mal mit auf unsere Plattform Joyn?“, schlug Müller für die Joyn-Mediathek vor. Er widerholte damit ein Angebot seines CEOs Bert Habets aus dem Frühjahr 2022. Diskussionen wie diese müssten stärker gefördert und geführt werden.
In Österreich ist diese Form von Symbiose bereits Realität. Und zwar beim österreichischen Zweig der Unterföhringer TV-Familie. Dort finden sich seit Mai nicht nur private Sender und der öffentlich-rechtliche ORF vereint auf der Streaming-Plattform Joyn, sondern auch mehr als 15 Mediatheken der öffentlich-rechtlichen und privaten Anbieter. Markus Breitenecker, Geschäftsführer von ProSiebenSat.1 PULS 4 und Joyn Österreich, berichtete bei den #MTM23: „Wir haben dieselbe Situation: Rezession und Wettbewerb durch die Giganten bringen das duale System in Bedrängnis“.
Mit dem ersten gemeinsamen „Super-Streamer“ gehe man weg von Konkurrenz hin zu mehr Kooperationen, resümierte der österreichische Joyn-Geschäftsführer. Das sei eine Win-Win-Situation für beide: Joyn werde von den Zuschauer:innen als Super-Streamer wahrgenommen, und die Partner würden von steigenden Reichweiten profitieren.
Der Vorschlag von Rudi Hoogvliet, Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund, eine Bürgerbefragung für mehr Akzeptanz des Rundfunkbeitrags zu überdenken, traf bei seinem bayerischen Kollegen Herrmann auf wenig Gegenliebe: „Dialog kann Führung nicht ersetzen, es muss eine klare Vorstellung geben, wo man hinwill.“
Wie auch immer: Ein wesentlicher Punkt in der Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems sind die Finanzen. Hoogvliet plädierte dafür, diese stärker von den politischen Prozessen abzukoppeln. Zwar sei die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) eine bewährte Institution, allerdings gebe es schon im Vorfeld politische Stimmen zum künftigen Finanzbedarf der Anstalten.
„Das Verfahren zur Ermittlung des Rundfunkbeitrags muss dringend entpolitisiert werden!“, spielte WDR-Intendant Tom Buhrow den Ball bei den MEDIENTAGEN weiter und forderte, dass die letzte Stufe innerhalb des dreigliedrigen Verfahrens zur Festlegung des Rundfunkbeitrags außerhalb der Parlamente umgesetzt werden müsse. Immer wieder sind über die Jahrzehnte die geplanten Beitragserhöhungen in den Länderparlamenten ausgebremst und wiederholt vor das Bundesverfassungsgericht gebracht worden (Rundfunkurteile).
Der WDR-Intendant machte deutlich, dass dieser Weg wohl auch dieses Mal unausweichlich sein dürfte; selbst eine nur sehr geringe Anpassung nach oben sei in mindestens fünf Länderparlamenten nicht durchsetzbar. „Es wird daraufhin zu einem Verfassungsbruch kommen und das Bundesverfassungsgericht muss entscheiden. Ich hoffe, dass das Gericht diese Chance wahrnimmt, und die Entpolitisierung des gesamten Beitragsverfahren einleitet“, kommentierte Buhrow.
Inzwischen ist der für Januar geplante KEF-Vorschlag für die neue, vier Jahre andauernde Beitragsrunde ab 2025 durchgesickert; er sieht vor, dass beim Rundfunkbeitrag künftig 58 Cent mehr pro Haushalt und Monat fällig werden sollen. In der zweiten Stufe des Verfahrens beraten und entscheiden dann auf Grundlage des KEF-Berichts die Länder über die Höhe des Rundfunkbeitrags ab dem übernächsten Jahr. Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder griff bereits vor und sprach sich gegen eine Erhöhung dieser „GEZ-Gebühren“ auf 18,94 Euro aus.
Auch wenn die GEZ seit Ende 2012 und der Begriff „Gebühr“ seit 2012 Geschichte sind: Das Problem bleibt das alte. Der KEF-Vorschlag bringt eine politische Lawine ins Rollen. Und hier soll nun der oben erwähnte Zukunftsrat verschiedene Lösungen diskutieren, beispielsweise eine Indexierung.
Wildermuth betonte bei den MEDIENTAGEN: Der Zukunftsrat hätte nun die Chance, „out of the Box“ zu denken – unbeeinflusst von föderalen Strukturen. Und Ratsmitglied Bettina Reitz war sich bei den #MTM23 sicher, dass „von uns Impulse ausgehen werden, mit denen man sich intensiv befassen muss“. Dabei sei ihr besonders wichtig, junge Menschen beispielsweise über attraktive Einstiegspakete besser an das System heranzuführen und nicht über einen zu hohen Rundfunkbeitrag abzuschrecken.
Später bei den #MTM23 ergänzte Rainer Robra (CDU), Leiter der Staatskanzlei und Minister für Kultur in Sachsen-Anhalt, dass man bei der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zwar nicht vor einer „Stunde Null“ stehe, der neu eingesetzte Zukunftsrat jedoch dafür sorgen solle, Utopien zu entwickeln und völlig neue Ansätze in der Struktur- und Programmpolitik zu verfolgen. Er, Robra, warne jedoch davor, dass im Zuge dieser Neuausrichtung der regionale Bezug der ARD-Angebote vernachlässigt werde.
Mit der Einrichtung so genannter Kompetenzzentren habe die ARD bereits wichtige Weichen gestellt, um zukunftsfähiger zu werden, parierte WDR-Intendant Buhrow bei dem Gespräch zwischen Senderverantwortlichem und Medienpolitik. Robra hofft, dass dort Themen wie Informationen für Verbraucher:innen, Klimawandel oder Gesundheit über einzelne Sender hinweg gebündelt werden können, was zu signifikanten Einsparungen im Produktionsprozess führen werde. „Die Programme müssen besser, aber nicht teurer werden“, forderte der CDU-Politiker.
Sparen: ja. Alle anderen derzeit diskutierten Optionen – etwa die Zusammenlegung von ARD und ZDF – seien im Übrigen unrealistisch und in der Sache nicht zielführend, mahnte Buhrow bei den #MTM23. Sparen und mehr Menschen erreichen – das ist der Spagat, den auch das ZDF nach Angaben von Intendant Dr. Norbert Himmler leisten muss. Staats- sowie politikfern zu bleiben und trotz erhöhter Kosten – verursacht unter anderem durch inflationsbedingte Preissteigerungen – alle soziodemografischen Gruppen mit bedarfsgerechten Programminhalten zu erreichen, bezeichnete Himmler bei den MEDIENTAGEN als die wichtigsten Aufgaben des Mainzer Senders bis Ende des Jahres 2026.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.