Wahrheit oder Fake News? Mit dieser Frage befassen sich zahlreiche Faktenchecks, die unter anderem von klassischen Medienanbietern, Nachrichtenagenturen oder Recherchenetzwerken angeboten werden. Doch wie können Jugendliche und junge Erwachsene bei der Navigation durch die Informationsflut in den digitalen Medien unterstützt werden? Können sie überhaupt noch mit Medien erreicht und überzeugt werden? Eine Veranstaltung der MEDIENTAGE MÜNCHEN in Kooperation mit der Vodafone Stiftung zeigte einen Lösungsansatz.
Deshalb hat die Vodafone Stiftung Deutschland im Rahmen der Initiative Klickwinkel und in Zusammenarbeit mit der Jugendbildungsinitiative MESH Collective die Awareness-Kampagne #TrueStory ins Leben gerufen, die noch bis Anfang 2022 läuft.
Um auf Augenhöhe mit den Jugendlichen zu kommunizieren, setzt die Organisation dabei auf drei Wege:
Zwei von ihnen, Nils Leonik, der den Youtube-Kanal Why Nils betreut, und @Vikykid, die auf Tiktok und Instagram aktiv ist, berichteten bei den #MTM21 über ihre Erfahrungen und gaben Tipps, wie man junge Zielgruppen erreichen könne. Hier der Mitschnitt:
Die sozialen Netzwerke wurden allerdings nicht nur als Quell der falschen Meldungen dargestellt. Um Millennials zu erreichen, beschreiten Anbieter ebenfalls diesen Weg. Bei einer Diskussionsrunde des Fachmagazins Meedia diskutierten Claudia Riesmeyer, Kommunikationswissenschaftlerin an der LMU München, Lara Thiede, Redaktionsleiterin von jetzt.de aus dem Süddeutschen Verlag und Lina Timm, Geschäftsführerin des Media Lab Bayern.
Sie stimmten darin überein, dass die junge Generation mehr als Katzenvideos wolle und sich politisch interessiere und engagiere. Die Wege und die Art und Weise, wie Informationen geteilt würden, seien allerdings andere als früher. YouTube, Instagram, TikTok oder WhatsApp seien die Kanäle der Wahl. Diese eigneten sich auch für „seriöse“ Inhalte. Als Beispiel nannte Wissenschaftlerin Riesmeyer die Tagesschau auf TikTok: „Hier kann man wunderbar nachverfolgen, wie junge Menschen erfolgreich mit Informationen erreicht werden.“ So habe die Tagesschau auf TikTok mehr als eine Million Follower:innen. Die Inhalte seien prägnant, verständlich und würden die Lebenswelten der Ziel-Generation berühren. Insgesamt waren sich die Teilnehmerinnen darüber einig, dass die persönlichen Lebenswelten junger Menschen im Zentrum der Bemühungen stehen müssten.
Jetzt.de-Redaktionsleiterin Thiede nannte als Beispiele die WhatsApp- wie auch die Job-Kolumne, die eingebunden im Online-Angebot sueddeutsche.de hervorragend funktionieren würden.. Junge Menschen könnten durch Integration der speziellen Inhalte in die etablierten Medienmarken an diese herangeführt werden.
Bedrohen Fake News, Hassbotschaften und globale Vernetzung die Meinungsfreiheit in unserer Welt? Dieser Frage ging der Münchner Filmemacher Emanuel Rotstein bei einer Veranstaltung der Medientage München 2021 nach. Rotstein diskutierte mit der philippinischen Journalistin Ellen Tordesillas (Foto oben) und der belarussischen Fotojournalistin Tatsiana Tkachova. Beide leben aktuell in Deutschland bei der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, die Kooperationspartner der Veranstaltung war.
Ellen Tordesillas hat bereits zwei autoritäre Regime auf den Philippinen erlebt. Die preisgekrönte Fotojournalistin Tkachova hatte nach der Wahl im August 2020 in Belarus statt der bestellten regimefreundlichen Bilder Fotos von den Demonstrationen gegen Alexander Lukaschenko gemacht. Ihr damaliger Arbeitgeber, die staatliche Tageszeitung Zvyazda veröffentlichte dennoch geschönte Bilder und Berichte über den Ausgang der Wahl zugunsten Lukaschenkos. Tkachova konnte die Manipulation der Zvyazda -Berichterstattung nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren und verließ schließlich das Blatt.
Die Rolle von sozialen Online-Netzwerken beurteilten beide Journalist:innen ambivalent. Sowohl in Belarus als auch auf den Philippinen würden soziale Online-Netzwerke von den jeweiligen Regimes für Propaganda und die Verdrehung von Tatsachen missbraucht. Andererseits würden sie auch wichtige Kanäle für die Verständigung innerhalb der Opposition darstellen. „Es kommt ganz darauf an, wie man sie nutzt", stellte Ellen Tordesillas fest. Nach Ansicht von Tatsiana Tkachova kommt es weniger darauf an, über welche Kanäle berichtet wird, sondern dass überhaupt Aufklärung und objektive Berichterstattung stattfindet.
Hier das Video zur Diskussion:
Die Ambivalenz sozialer Medien hob auch Ilse Aigner, Präsidentin des Bayerischen Landtages, während der MEDIENTAGE MÜNCHEN hervor. Im Interview mit Dr. Alexandra Föderl-Schmid, der stellvertretenden Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, hob die CSU-Politikerin hervor, dass sie auf professionelle Medienvertreter:innen weiterhin angewiesen sei.
„Journalisten müssen filtern, hinterfragen, einordnen“, erklärte Aigner, ungefilterte Twitter-Botschaften seien gut, um Bürger direkt zu erreichen, aber „kein Qualitätsjournalismus“. Sie setze daher auf die „Einordnungsfunktion der Medien“, die den kurzen Inhalt journalistisch aufbereiten müssten.
Sie könne über soziale Online-Netzwerke den Nutzer:innen schnell vermitteln, was sie „in ihrem Leben bereits alles gemacht habe“. Gleichzeitig sei es bei solchen Posts auch möglich, „eine politische Botschaft anzuhängen“. Der Einsatz von Social Media in der Politik sei „Fluch und Segen“, führte Aigner weiter aus. Zum einen komme man nah an die Menschen heran, zum anderen sei man direkt angreifbar. Um die Kontrolle über die Verbreitung von Inhalten zu behalten, sei „jeder Post, der rausgeht“, mit ihr abgestimmt.
Hier das Gespräch zwischen Ilse Aigner und Dr. Alexandra Föderl-Schmid:
Klassische Medien unterliegen der Kontrolle von Rundfunkaufsicht, Presse- oder auch Werberat. Anders soziale Medien, deren Online-Attacken auf die Demokratie ebenfalls ein Thema der 35. Medientage waren. Heute werden viele politische Schlachten im Internet geschlagen – doch Microtargeting, Bots, Algorithmen oder Fake-Accounts können dabei eine freie und öffentliche Meinungsbildung beschädigen und das Meinungsklima verzerren.
Felix Kartte, Senior Advisor der zivilgesellschaftlichen Organisation Reset.Tech, plädierte für eine starke europäische Plattform-Aufsicht. Die Forderungen seiner Organisation nach mehr Regulierung sieht er durch die jüngsten Veröffentlichungen der Whistleblowerin Frances Haugen zu Facebooks Geschäftsgebaren in einer Art „Realitycheck“ bestätigt.
So seien Facebook & Co. keine neutralen Kommunikationsplattformen, vielmehr sei es deren Geschäftsmodell, Stimmungen zu kuratieren und zu verstärken. Dabei stünden nicht das Gemeinwohl oder demokratische Werte wie etwa die Meinungsfreiheit im Fokus, sondern einzig das Profitinteresse des Konzerns, so Kartte bei den #MTM21.
Unter anderem habe Facebook intern anerkannt, dass die eingesetzte Künstliche Intelligenz nur in der Lage sei, drei bis fünf Prozent aller Hass-Postings zu entdecken und zu moderieren. Dies habe sich auch im Bundestagswahlkampf niedergeschlagen, als die sozialen Online-Netzwerke voll gewesen seien von Hasskommentaren. Dabei hätten im Bundestagswahlkampf die Facebook-Algorithmen AfD-Inhalte drei Mal häufiger empfohlen als die Botschaften anderer Parteien. Kartte warnte, es bestehe die Gefahr, dass sich Menschen aus Furcht vor Angriffen vollkommen aus demokratischen Debatten zurückzögen. Gerade eben hat die Organisation Reset eine Studie zu Instagram veröffentlicht, wonach das Facebook-Unternehmen mit seiner Empfehlungslogik der Magersucht den Weg weisen kann.
Auch Markus Blume sprach in der Diskussion auf Einladung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) von einer Demokratie „unter Attacke“. Alle großen deutschen demokratischen Parteien würden täglich aus dem Internet heraus angegriffen. Nach Meinung des CSU-Generalsekretärs haben „die Wirkweisen der sozialen Netzwerke den Boden für die Saat des Populismus“ bereitet. Deswegen gebe es Handlungsbedarf, vonnöten sei „ein starkes europäisches Framework“. Auch bei Direct-Messaging-Kanälen wie WhatsApp.
Die Landesmedienanstalten von Bayern und NRW haben in einer gemeinsamen Studie versucht, den Bundestagswahlkampf im Internet zu analysieren. Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der BLM, verwies auf die Schwierigkeiten bei der Durchführung der Studie: „Wir bekommen von den Plattformen nicht die Daten, die wir bräuchten, um das Problem fassen zu können.“ Schmiege bezeichnete Verbote als verfrüht, vielmehr gelte es, Transparenz für die Nutzer:innen zu schaffen. Der BLM-Präsident und Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, sehen aber auch die deutsche Politik gefordert.
Die Debatte im Video:
Doch wie als Betroffener umgehen mit Hass im Netz? Unternimmt die Politik genug dagegen? Letzteres beantwortete Nicole Diekmann mit einem klaren Nein. Die Journalistin wurde 2019 Opfer eines Shitstorms für ihren Twitter-Tweet „Nazis raus“. Der Kenntnisstand der Politik sei im Umgang mit und bei der Regulierung von großen sozialen Online-Netzwerken nicht auf der Höhe der Zeit, kritisierte Diekmann bei einem Interview im Rahmen der erstmals hybrid organisierten Medientage.
Man versuche mit Instrumentarien aus den vergangenen 100 Jahren mit den Plattformen umzugehen, „was natürlich nicht funktioniert“. Erst langsam würden neue Maßnahmen entwickelt, um die digitalen Giganten der Neuzeit „einzufangen“.
Moderator Richard Gutjahr stellte die Frage in den Raum: „Warum behandeln wir die Plattformen nicht wie Publisher? Schließlich kuratieren sie Inhalte und bezahlen Publisher für Inhalte – also sind sie Publisher und könnten nach deutschem Recht reguliert werden.“
Das Interview im Video:
Das Klima im Netz ist streckenweise vergiftet. Wie leicht ist es heute überhaupt noch für Comedians, Satiriker:innen, TikToker:innen und Comedy-Autor:innen, lustig zu sein? Über was macht man (im Netz) Witze und was lässt man besser bleiben? Schränkt die Angst vor Cancel Culture möglicherweise den kreativen Prozess ein? Darüber diskutierten im Rahmen der #MTM21 Shahak Shapira und Irina alias @toxische_pommes:
Zu Gast waren bei den Medientagen München auch zahlreiche Autoren, die mit ihren Werken drängendenFragen und Probleme im Bereich Social Media, Regulierung und Fake News aufgegriffen haben.
So stellte der Kulturwissenschaftler Michael Seemann „Die Macht der Plattformen – Politik in Zeiten der Internetgiganten“ vor:
Und Katharina Nocun, Publizistin sowie Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin, sprach über „True Facts – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“:
Des Weiteren enthüllte die KI-Expertin und politische Beraterin Nina Schick im Gespräch über ihr Buch „Deep Fakes“ schockierende Beispiele und erläuterte die politischen Konsequenzen einer drohenden Infokalypse:
Die Zusammenfassungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sowie Bildmaterial stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.