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Impfen gegen Hass und Lüge

Geschrieben von Cathrin Hegner // BLM | 24. Mai 2022

In Krisenzeiten haben Verschwörungstheorien und Fake News Konjunktur. Wie können wir gegensteuern? Mit dieser Frage befasste sich die Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM): „Da stimmt doch was nicht – Verschwörungs­theorien, Fake News und was wir dagegen tun können.“

Immer öfter werden wir im Alltag mit Verschwörungstheorien konfrontiert – auf der Straße, im Bekanntenkreis und im Internet. 51 Prozent der Jugendlichen haben in der JIM-Studie 2021 angegeben, dass ihnen im letzten Monat Verschwörungstheorien im Netz begegnet sind. Als vermeintlich einfache Welterklärungen nach dem Gut-Böse-Prinzip verbreiten sie sich rasant über soziale Medien und gefährden den demokratischen Diskurs. Nutzt die Finanzelite Corona als Vorwand für eine neue Weltordnung? Hat die Nato den Ukrainekrieg angezettelt?

„Der Verschwörungsglaube wird durch vermeintlich alternative Nachrichtenmedien und in sozialen Netzwerken effektiv kanalisiert und mit Wucht verbreitet“, warnte Dr. Tobias Jaecker, Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur, auf der Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz der BLM am 18. Mai. Weil die Verschwörungserzählungen an ein diffuses gesellschaftliches Unbehagen anknüpften, seien sie breit anschlussfähig. „Fake News und Verschwörungstheorien können uns immer und überall begegnen“, betonte BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege: „Sie greifen das Fundament unserer Informationsgesellschaft und damit unsere Demokratie an.“

BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege (Foto: Stefan Heigl)

 

Welterklärung nach Gut-Böse-Prinzip

Terroranschläge, Kriege, Finanzkrise, Klimawandel, Corona-Pandemie – wann immer es zu tiefgreifenden Umbrüchen in der Gesellschaft kommt und die Verunsicherung groß ist, haben Verschwörungstheorien leichtes Spiel. Denn sie liefern scheinbar einfache Erklärungen und reduzieren Komplexität. Schon im Mittelalter gab es die ideologischen Welterklärungen nach dem Gut-Böse-Prinzip. Mal wurden die Hexen für Seuchen, Hungersnöte und Kriege verantwortlich gemacht, dann die Juden, später die Freimaurer.

Der Aufbau der Verschwörungserzählungen ist bis heute gleich: Eine Gruppe von Mächtigen will im Geheimen einen großen Plan umsetzen, um noch mehr Macht zu bekommen und das Volk dabei über den Tisch ziehen. In einer repräsentativen Umfrage des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) stimmten 32 Prozent der Befragten der Aussage „Putin geht gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht“ ganz oder teilweise zu.

Die neuen Feindbilder: USA, Nato, Weltwirtschaftsforum und die „Lügenpresse“. Reale oder vermeintliche Eliten aus Politik, Wirtschaft und Medien werden als Übeltäter an den Pranger gestellt. Dabei suggerieren die Verschwörungstheoretiker gern, dass alles mit allem zusammenhängt, erklärte Jaecker: „Die Milieus, die sich vormals Corona gewidmet haben, schwenken jetzt auf den Krieg um. Alles wird als Teil einer großen Weltverschwörung verbunden und imaginiert.“ Zunehmend werden dabei antisemitische Ressentiments reaktiviert.

 

Fake News als Bestandteil von Verschwörungstheorien

Fakten werden dagegen ausgeblendet oder als Lügen abgetan. Gezielt gefälschte Nachrichten, dienen als vermeintliche Belege für eine geschlossene Weltsicht. Desinformation, Hassrede, Onlinepropaganda und Verschwörungstheorien seien überlappende Phänomene, betonte Prof. Dr. Diana Rieger vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der Begriff Fake News werde als Label verwendet, um etablierte Nachrichtenmedien zu delegitimieren, stehe aber auch für pseudo-journalistische Desinformation. Im Alltag verschwimmen die Grenzen: Viele verwenden „Fake News“ stellvertretend für schlechten Journalismus, Falschbehauptungen und alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht. Rieger: „Es fällt den Menschen sehr schwer zu differenzieren, wo ein Fehler vorliegt und wo Absicht.“

Das legen auch Studienergebnisse nahe: Laut „Quelle:Internet? Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test“ erkennen 41 Prozent der Befragten eine Falschinformation auf Facebook nicht – trotz Faktencheck-Hinweis. Fehlt der Hinweis, fällt die Einordnung noch schwerer: 57 Prozent liegen daneben.

Information und Prävention tut not. (Foto: Stefan Heigl)

 

Gegenstrategien entwickeln und Kompetenzen fördern

Umso wichtiger ist es, die Medienkompetenz und die kritische Auseinandersetzung mit Ressentiments frühzeitig zu fördern. „Wir müssen Jugendliche besser darauf vorbereiten, was sie im Internet finden und wie sie damit umgehen können“, so Rieger. „Es gibt verschiedene Strategien, um zur demokratischen Resilienz im Netz beizutragen.“

Dazu gehören zum Beispiel die Schülermedientage, an denen sich auch die Bayerische Landeszentrale für neue Medien beteiligt, sowie die zahlreichen Medienkompetenzprojekte der BLM und ihrer Stiftung Medienpädagogik Bayern. Gemeinsam mit der Aktion Jugendschutz hat die BLM die Broschüre „Von der flachen Erde bis zur Lügenpresse“ aufgelegt, die Eltern und Fachkräfte mit Fachwissen und Praxistipps unterstützt. 

Beim Umgang mit Verschwörungstheoretikern will Bienz Hammer vom Netzwerk Gegenargument helfen. Die Argumentations- und Haltungstrainings gehen von persönlichen Erfahrungen der Teilnehmenden aus. „Verschiedene Handlungsstrategien entstehen aus verschiedenen Ressourcen“, erklärte Hammer. Nicht immer habe man alle sachlichen Argumente zu einem Thema parat, manchmal komme man auf der persönlichen Ebene oder durch Einbeziehung Dritter weiter.

Diese Erfahrung haben auch Pädagogen wie BLM-Medienrat Michael Schwägerl gemacht: „In bestimmten Situationen kommt man argumentativ nicht weiter“, so der Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands. Änderungen in der Einstellung seien nur über die Beziehungsebene zu erreichen.

 

Altersgerechte Prävention notwendig

„Am besten beginnt die Prävention schon vor der Konfrontation“, betonte Verena Weigand, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Stiftung Medienpädagogik Bayern auf der BLM-Tagung. Bereits in der Grundschule könne man mit altersgerechten Szenarien auf falsche oder aufgebauschte Aussagen aufmerksam machen.

Für eine „altersgerechte Prävention“ setzte sich auch Thomas Keller, Leiter des Referats Radikalisierungsprävention im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, ein: „Bei Kindern geht es eher um Vorurteile, bei Jugendlichen stehen Identität und Gruppendynamik im Vordergrund.“ In jedem Fall sei „Vertrauen der Grundpfeiler der Präventions­arbeit“.

Wenn die gemeinsame Basis stimmt, kann man Jugendliche auch durch „Inokulation“ schützen, erklärte die Kommunikationswissenschaftlerin Rieger. Analog zur Immunantwort des menschlichen Körpers gehe man davon aus, dass viele kleine Dosen von Überzeugungsversuchen die Abwehr gegen Desinformation und Verschwörungsideologien stärken: Impfen gegen Hass und Lüge.

Im Diskurs bleiben will u.a. Katharina Geiger. (Foto: Stefan Heigl)

Über Verschwörungstheorien und Fake News aufgeklärt werden müssten aber nicht nur Kinder und Jugendliche, warnte Katharina Geiger, die stellvertretende Vorsitzende des BLM-Medienrats (Foto oben): „Es ist elementar wichtig, im Bereich Medienbildung die Erwachsenen nicht zu vergessen.“

Nicht nachlassen, hinsehen, zuhören und im Gespräch bleiben – darin sahen alle Referentinnen und Referenten eine Herausforderung für die Zukunft. Fake News und Verschwörungstheorien müssten klar benannt, durch Faktenchecks widerlegt, kritisch kommentiert und gelöscht werden, forderte Jaecker, der auch Fachbücher über Hass und Hetze in Medien schreibt: „Nur so können wir einer Entwicklung entgegenwirken, bei der verschwörungsideologische Positionen immer öfter im Mainstream aufgegriffen werden und so genannte alternative Fakten Eingang in den politischen Diskurs finden.“

 

Die Veranstaltung fand in den Räumen der BLM statt. (Foto: Stefan Heigl)

 

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