Die Medienfreiheit bezeichnet Liudmyla Opryshko als „wichtigste Freiheit“ ihrer Heimat. Sie sei Basis gewesen für den ukrainischen Demokratieprozess, blickte die Medienanwältin im Rahmen des Europatags der #MTM22 bedauernd auf die Zeit vor dem 24. Februar 2022 und den Beginn der russischen Invasion zurück.
Liudmylla Opryshko (Foto oben) ist Medienanwältin mit ukrainischen Wurzeln, mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im Bereich der Meinungsfreiheit, einschließlich der Vertretung der Interessen von Journalisten und Medien vor ukrainischen Gerichten sowie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.. Sie wirkt als Senior Fellow am ITM – Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster. Opryshko ist auch Autorin und Mitautorin einer Reihe von Handbüchern, Büchern, Empfehlungen und analytischen Berichten, darunter „Meinungsfreiheit in bewaffneten Konflikten“ aus dem Jahr 2019. Wie sehr die Meinungsfreiheit in ihrer Heimat unter der russischen Invasion leidet, schilderte sie in einem Impulsreferat im Rahmen des diesjährigen Europatags der Medientage München.
Liudmylla Opryshko: „Der Krieg findet nicht nur an der Front statt, sondern auch im Medienraum.“ Neben massiver Desinformation im Netz zählte sie unter anderem auch Angriffe auf die mediale Infrastruktur wie Fernsehtürme auf, daneben Cyberangriffe auf Telekommunikationsnetze und sogar auf Elon Musks Starlink-Satellitennetz. Der Traffic ukrainischer Seiten würde teils auf russische umgeleitet.
„In der Ukraine findet auch umfassende informative Besatzung statt“, betont diee Anwältin. Deshalb sei die Frage nach der Zuverlässigkeit der journalistischen Quellen eine der relevantesten. Gerade russische Nachrichtenagenturen als Speerspitze der Propagandamaschinerie lieferten keine verlässlichen Nachrichten. Opryshko appellierte an die Medien, diese Quellen nicht zu nutzen.
Daneben würde das ukrainische Volk geradezu vom Aggressor Wladimir Putin verhöhnt. Berichte über die Massengräber von Butscha, über den Tod von Zivilisten und über Folter seien von russischen Medien als Fake News dargestellt worden. „Seien Sie wachsam und vertrauen Sie nicht der russischen Darstellung der ‚Realität‘, forderte die geflüchtete renommierte Medienrechtlerin aus der Ukraine im Rahmen der #MTM22.
Im Anschluss bewegte sich ein Gespräch „zwischen staatlicher Propaganda und staatlichen Verboten“. Unter anderem stand bei Prof. Dr. Mark Cole, wissenschaftlicher Direktor am Institut für europäisches Medienrecht, EMR, und Dr. Frederik Ferreau vom Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht an der Uni Köln das Urteil „RT France“ des Europäischen Gerichts zur Debatte.
Die juristische Einordnung aus medienrechtlicher Perspektive gelte als herausfordernd, wurde bei der Diskussion auf der Europatag-Bühne deutlich. Denn: Einerseits soll Kriegspropaganda nicht den Schutz der Kommunikationsfreiheiten genießen. Andererseits darf der Staat in Berichterstattung nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingreifen.
Dass die Medienanstalt MABB in einem „strukturellen“ Ansatz zu Beginn der Invasion den russischen Propagandasender aus dem Verkehr gezogen hatte, bezeichnete Ferreau zwar als zunächst effizient und wirksam. Begründet wurde der Schritt damals mit dem Gebot der Staatsferne von Medienanbietern. Doch als nachhaltiger stufte der Rechtskenner den "inhaltlichen Weg" nach deutschem Medienrecht ein, um manipulierende Inhalte auszubremsen. „Wir glauben fest daran, dass von Staaten gelenkte Medien negative Folgen auf den Meinungsbildungsprozess haben,“ so Ferreau.
Es gelte, zu verhindern, dass Minderheiten eine Chance bekommen, die Mehrheiten der Zukunft zu werden. Dahinter stehe ein „tiefes Verständnis für den demokratischen Meinungsbildungsprozess“. Doch es brauche Institutionen, die darüber entscheiden, was manipulierend, was Desinformation sei. Ferreau setzte auf beide rechtlichen Ansätze für die Zukunft, den strukturellen wie den inhaltlichen, um der Manipulation Herr zu werden – auch mit Blick auf die Ambitionen eines italienischen Medienunternehmens bei einem Münchner Konzern, wie er betonte.
Dr. Frederik Ferreau hob hervor: „Wir haben die rechtlichen Instrumente zur Hand, um gegen russische Propaganda vorgehen zu können.“ Prof. Dr. Mark Cole machte sich zudem dafür stark, dass EU-Staaten im Kampf gegen Propagandamedien stärker Hand in Hand gehen sollten. Ungewöhnliche Schritte der EU könnten eine wehrhafte Demokratie stärken, so Cole.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.