Eine gemeinsame digitale Plattform für viele Medien: Diesen Vorschlag macht eine Studie der NRW-Medienanstalt LfM. Das Werk „Coopetition is King“ pickt die Idee wieder auf, über ein übergreifendes digitales Angebot mit Flatrate Abnehmer:innen finden und neue Erlöse erzielen zu können. Wie ist ein Spotify für lokale Medien zu bewerten?
Genau das suggeriert eine Studie der Landesanstalt für Medien NRW unter dem Titel "Coopetition is King". Beschrieben werden in dem Werk die Vorteile kooperativer Journalismus-Plattformen. Durchgeführt wurde die Studie von Christian Wellbrock (Hamburg Media School), Frank Lobigs, Lukas Erbrich (beide TU Dortmund) und Christopher Buschow (Uni Weimar). Das Whitepaper ist hier abrufbar.
Der Vorschlag der Wissenschaftler lautet: Eine Anbieter- und Medien-übergreifende Abo-Plattform für digitalen Journalismus könnte bis zu 40 Prozent mehr Abos verkaufen als einzelne Marken. Die Autoren schlagen einen günstigen Preis von rund zehn Euro pro Monat vor; dennoch könnten so die "Branchenumsätze" erhöht werden.
Begründet wird das Mehr an Erlösen mit der Markterweiterung, mit einer größeren gesellschaftlichen Reichweite für digitalen Journalismus und einer erhöhten publizistischen Vielfalt für einzelne Leser:innen. Ein Paket sei attraktiver als Einzelangebote, so der Tenor. Daneben würden von einer facettenreichen Plattform mit fairer Flatrate auch Bevölkerungsschichten erreicht, die sich von der Presse beziehungsweise von klassischen Medien abwenden.
Als Produkteigenschaften für den Abschluss eines digitaljournalistischen Abonnements sind den Studienautoren zufolge der Preis, das Format (bevorzugt eine Kombination aus Website, App und E-Paper) und eine Bündelung der Inhalte möglichst vieler Medienmarken. Weniger entscheidend sei demnach, ob der Zugang zentral (gemeinsame App) oder dezentral (Login-Allianz) erfolge.
Soweit der wissenschaftliche Vorschlag. Mit gemeinsamen digitalen Plattformen tut sich die deutsche Medienlandschaft bislang eher schwer. Wenn, dann werden gleichartige Inhalte einer Gattung gebündelt. Filme, Serien, Musik und Games – sie werden über Flatrates finanziert. Genres, die vor allem eine junge Zielgruppe ansprechen, die gegenüber Paid Content aufgeschlossen ist.
Positive Beispiele liefert auch das Pay-TV, wo beispielsweise Anbieter Sky unter anderem mit Plattformen wie Magenta aus dem Haus der Deutschen Telekom kooperieren. In diesem Fall summiert sich auf das Magenta-Angebot noch ein Zusatzobulus für Sky-Inhalte. Im Streaming gehört wiederum Sky zu jenen, die nach und nach andere Anbieter wie Netflix im Abo integrieren und so das Angebot erweitern – gegen Aufpreis, doch in der Summe weniger als zwei einzelne Abonnements kosten würden.
Im Bereich der Zeitungen und Zeitschriften sind vorsichtige Marken bei Blendle unterwegs. Dort können User ohne Abo-Bindung für ausgewählte Titel und Texte in digitaler Form bezahlen. Eine Art E-Paper-Börse also.
Anders dagegen Readly, der einzige digitale Kiosk mit Flatrate und nennenswertem Zuwachs: Gerade eben hat sich das Haus Burda dazu entschlossen, nun doch seine digitale Ausgaben von Bunte, Focus, Esquire oder Freundin dort einzuspeisen. Das berichtet das Branchenmagazin Clap. Für 11,99 Euro pro Monat können Leser:innen die E-Paper-Ausgaben von inzwischen über 7000 Titeln auf ihren digitalen Devices abrufen. Readly ist monatlich kündbar. Der digitale Kiosk steht gerade vor einem Eignerwechsel.
Die Studie der LfM zielt auf alle Gattungen klassischer Medien, über Print hinaus. Im Fall des Landes NRW geht es in erster Linie um den Erhalt und eine wirtschaftliche Perspektive des lokalen Journalismus. Schon länger forciert die Düsseldorfer Medienanstalt die Idee der Coopetition.
Ein Testballon für eine kooperative Journalismus-Plattformen wurde in NRW bereits zum Jahresbeginn gestartet: Das Projekt „Yoyager“, das ams Radio & MediaSolutions aus Bielefeld gemeinsam mit der WDR Mediagroup und dem Kölner Technikdienstleister 1pta mit finanzieller Förderung der LfM und der Wiener Verwertungsgesellschaft Rundfunk entwickelt hat.
„Grundidee ist eine offene Audioplattform, die qualitativ hochwertige Inhalte von Quellmedien aus verschiedenen Mediengattungen bündelt, kuratiert, auffindbar macht und entsprechend der Interessen der Nutzerinnen und Nutzer individualisiert ausspielt“, beschreibt ams-Chef Uwe Wollgramm das Projekt. Er appelliert an seine Mitstreiter im Lokalradio in NRW, man müsse „noch enger als bisher miteinander kooperieren und sich nicht gegenseitig als Konkurrenten betrachten“. Ein erster Praxistest läuft über die App vocca in Ostwestfalen-Lippe.
Die Autoren von „Coopetition is King“ empfehlen ebenfalls Kooperationen, auch, um den globalen Tech-Konzernen etwas entgegenzusetzen. Der Politik legt das Werk im Auftrag der LfM nahe, eine "digitale Innovationsförderung" für die Einführung von Plattformen zu schaffen, Anreize für Zusammenarbeit in Förderprogramme einzubauen und ein denkbares Konsortium für eine "offene Infrastruktur" zu unterstützen.
Des Weiteren sollte die Regulierung "das Design kooperativer Plattformen mitgestalten, um möglichst qualitätsvolle und vielfältige Inhalte zu stärken und gleichzeitig Konzentrationstendenzen, Diskriminierung einzelner Anbieter und Auffindbarkeitsprobleme zu vermeiden".
Bisher war vor allem den Verlegern die Marge der digitalen Nebenerlöse noch zu gering. Bezahlung einzelner Artikel oder Beiträge über PayPal wurde von vielen Medienunternehmen wegen anfallender Gebühren abgelehnt. Häuser wie Ippen, die sehr früh und auch erfolgreich auf Paid Content gesetzt haben, entwickeln eigene Modelle. Den Managern ist indes bewusst: Die aktuellen Strategien und Modelle sind Momentaufnahmen, die sich durchaus ändern können. Was heute lohnendes Wirtschaftsmodell ist, kann morgen bereits durch etwas anderes abgelöst sein. So könnte jetzt durchaus die Zeit für kooperative Journalismus-Plattformen gekommen sein. Als Gegenentwurf zu den Großen, als digitales Angebot der klassischen Medien für die User von heute.
Prognosen zum Bereich Digital Publishing & Journalism sind vor einigen Wochen bei einem MedienNetzwerk-Bayern-Event unter dem Titel „Next Level Digital Publishing“ in Nürnberg gemacht worden. Barbara Zinecker, der stellvertretenden Chefredakteurin der Nürnberger Nachrichten, ist bewusst: „Die Verlage stehen an einem historischen Punkt.“
In Sachen Bezahlmodellen bei den Großen im Netz wie Netflix oder Spotify zu spicken – dazu rät André Lutz, CEO der Full-Thinking-Agentur DeFacto Be/One. Er plädiert für mehr Baukastensysteme: Der User zahlt für den Bereich eines großen Digitalangebots, der interessiert. Viele Bausteine ergeben in der Folge einen monatlichen Gesamtpreis, der gern akzeptiert wird.
Für mehr Leser:innennähe die Bürger:innen am Lokaljournalismus zu beteiligen, empfiehlt Maike Körner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit Schwerpunkt Innovation und Transformation.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
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