Kurz, kürzer, Social TV: Der Trend zum Video-Clip hält an, nicht mehr nur die jungen User lassen sich vom Bewegtbild auf YouTube, TikTok oder Twitch fesseln. Wenn der 16-Sekünder das Publikum bindet und eine neue Generation an "Leinwandheld:innen" erschafft: Wie kann das klassische Fernsehen bei der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Publikums mithalten? Einer, der klug an der Schnittstelle der Inhalte für die verschiedensten Kanäle agiert, ist Tobias Schiwek. Der CEO von We Are Era geht im Interview mit dem Blog der MEDIENTAGE MÜNCHEN und als Speaker des #MTM SPECIALS Future Video am 24. April in München auf Social-TV-Strategien für TV-Häuser ein.
Herr Schiwek, wie viel Social TV braucht ein Sender oder Streamer heute?
Es geht nicht mehr ohne! Kein Sender kann es sich noch erlauben, nur im zeitlichen Audience Flow der klassischen Programmplanung zu arbeiten. TV-Anbieter müssen in Communities denken, die sich weniger an Zielgruppen, sondern vielmehr an Themen, Lebenseinstellungen und Interessensgebieten orientieren sollten.
In den Communities lassen sich Inhalte und Gesichter finden, die wiederum aufs originäre TV-Programm einzahlen können.
Welche Plattformen stehen dabei im Vordergrund – und warum?
Das ist sehr unterschiedlich und orientiert sich an den Themen selbst und der Frage, ob die breite Masse erreicht oder in erster Linie auf Geschwindigkeit gesetzt werden soll.
Ein Erfolg ist natürlich, wenn ein Post auf TikTok viral geht. Manche Sachen brauchen indes mehr Tiefe; da kommt dann YouTube in Spiel. Oder ein Sender wünscht sich mehr Interaktion und langfristigere Strategien. Sinnvoll wäre in diesem Fall, Twitch zu bespielen.
Die Wahl der richtigen Plattform ist eine Frage des Formats und der Story, die man erzählen möchte.
Wenn ganz junge Zielgruppen erreicht werden sollen: lieber TikTok oder doch besser YouTube?
Eine Platzierung rein über das Kriterium Alter funktioniert mittlerweile am wenigsten. Inzwischen ist jede Generation auf jeder Plattform vertreten.
Wenn das Social-Media-Team im Sender seinen Job gut macht, schafft man es womöglich am Ende, dass die Community zum linearen Produkt zurückfindet, weil die Menschen den großen Moment und das gemeinsame Erlebnis suchen. Egal, wie alt die User sind.
YouTube hat Shorts eingeführt, im Gegenzug können bei TikTok immer längere Videos hochgeladen werden. Ist die Abgrenzung noch einfach?
Diese Entwicklung sorgt für mehr kreativen Spielraum, die Ästhetik der Plattformen unterscheidet sich aber immer noch. Sehen wir es so: Es gibt heute kein klassisches Musikfernsehen mehr, das den Zeitgeist prägen könnte.
Dafür haben wir nun verschiedene Social-Plattformen, wo ich eigene Inhalte platzieren kann und wiederum frühzeitig entdecke, was Menschen anspricht.
Social TV ist das MTV von heute, aber auch der offene Kanal und ein bisschen Kino.
TikTok und Co dominieren jetzt die Aufmerksamkeitsökonomie. Dort ist der Ort mit Inhalten, die die Menschen in der Masse ansprechen.
Beispiele wie das ORF-ZiB-TikTok-Team oder die Social-Media-Crew der "tagesschau" machen deutlich, dass Nachrichtliches in Social Media sehr gut funktionieren kann. Welche TV-Inhalte haben es schwer?
Jeder Content funktioniert auch in Social Media! Das ist nur eine weitere Oberfläche, um mit Menschen zu sprechen. Ob das ein Stummfilm ist, ein Kinostreifen, lineares Programm oder jetzt halt ein 16-Sekünder: Alles ist nur eine Frage der Darreichungsform. Es gibt bei den Inhalten keine Grenzen – man muss es nur gut machen.
Hat Social TV das Potenzial, das lineare Fernsehen irgendwann beim gesellschaftlichen Lagerfeuer abzulösen?
Das Lagerfeuer ist auf jeden Fall ein deutlich subjektiveres Lagerfeuer geworden. Die Digitalisierung reduziert Hürden und Kosten. Die Menschen kommen schneller überall hin, sie finden umgehend das, was sie interessiert.
Diese enorme Fragmentierung wird bleiben und eher noch zunehmen.
Der hohe Grad an Individualisierung geht allerdings mit dem Grundbedürfnis einher, das wir Menschen seit der Steinzeit haben: Wir wollen uns mit Gleichgesinnten solidarisieren. Zumindest ein kleineres Lagerfeuer finden wir heute im Reddit-Forum, wo es 100.000 Leute gibt, die genauso sind wie ich.
Doch dass es diesen einen Gassenhauer gibt, über den alle sprechen?
Den liefern selbst im TV vielleicht noch Sport-Highlights oder Shows. Aber auch fürs Fernsehen wird es zunehmend schwerer, das gesellschaftliche Lagerfeuer zu entfachen.
Welche Geschäftsmodelle für professionelle Content-Anbieter könnte die Zukunft von Social TV mit sich bringen?
Man sieht ja, dass bereits 14-Jährige erfolgreich sind und sehr gut davon leben können, dass sie ihre Community pflegen – und das teilweise Plattform-übergreifend. In diesem Umfeld können Marken stattfinden. Da kommt Merchandising ins Spiel, gerade wenn Creator eine sehr kohärente und homogene Community bedienen.
Allgemein gilt: Wenn vielen Menschen das Gefühl gegeben wird, gemeinsam geistiges Eigentum zu pflegen und eine Community auf diese Art groß zu machen, dann folgen sie den Urheber:innen überall hin. Das ist die Grundlage für Erfolg in Social Media, der sich sehr unterschiedlich kapitalisieren lässt.
Zur Person:
Tobias Schiwek führt als CEO die internationalen Geschäfte von We Are Era, dem ersten europaweiten Hybrid aus Studio und Talent Agency. Unter seiner Leitung wurde Europas größtes Influencer-Network Divimove nach insgesamt vier erfolgreichen Firmenintegrationen zum pan-europäischen Medienunternehmen We Are Era mit 240 Mitarbeiter:innen an acht Standorten transformiert.
We Are Era bündelt Reichweiten, Talent, Data und Inhalte unter einem Dach. Das Unternehmen versteht sich als Wegbereiter, Strategieberater und Content-Produzent für Marken, Broadcaster, Plattformen und NGOs. Eras internationales Team führt Europas größte Talent Agency mit über 1.500 Social Influencer:innen und Artists in Europa.
Zuvor war Schiwek Chief Digital Officer der UFA und Managing Director des Digitalstudios UFA X, welches heute Teil von We Are Era ist. Vor seinem Einstieg bei der UFA gründete der Digitalstratege verschiedene Startups in der Medienbranche und beriet etablierte Industrien zum digitalen Wandel (Buchbranche, Telekommunikation, Versicherungen). Darüber hinaus war Schiwek als Business Angel und Mentor für diverse internationale Startups aktiv. Als Hochschuldozent spricht er regelmäßig zu den Themen Entrepreneurship und digitale Transformation.
Studiert hat Tobias Schiwek Politikwissenschaften und BWL in Mannheim und Mailand.
Hosentaschenfernsehen vs Big Screen: Wie gucken und streamen wir künftig? Welche Trends setzen sich durch? Welche Media- und Business-Modelle sichern zukunftsfähige Content-Strategien fürs (vernetzte)TV, für den Stream, Video on Demand oder auch für Social Video? Welche Player haben mit ihren Technologien und Anwendungen das Sagen? Und wer sind die Gatekeeper von morgen?
Antworten auf diese Fragen gibt das #MTM SPECIAL FUTURE VIDEO 2024. Die Konferenz findet am 24. April 2024 im House of Communication in München statt und widmet sich der Zukunft von Video: ein Tag mit Insights von Branchenexpert:innen wie Tobias Schiwek und wegweisenden Konzepten von Unternehmen aus der Bewegtbildwelt.