Medientage München - Blog

Lokaljournalismus neu gedacht

Geschrieben von Lisa Priller-Gebhardt | 20. November 2025

Es gibt eine Reihe journalistischer Medienangebote, die sich auf die Region konzentrieren. Von investigativer Einzelkämpfer-Recherche über dialogorientierte Community-Formate bis zu verlagsgetragenen Echtzeit-Angeboten – die Bandbreite ist groß.
Vier Beispiele waren bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2025 vertreten. Sie zeigen, wie regionale Angebote funktionieren.

 

Deutschland wendet sich von den Nachrichten ab. Immer mehr Menschen meiden bewusst Informationsangebote, die Auflagen etablierter Zeitungshäuser sinken kontinuierlich.

Die Folge: In zahlreichen Regionen erscheint nur noch eine einzige Tageszeitung, in manchen Teilen Ostdeutschlands gibt es gar kein gedrucktes Lokalblatt mehr. Online-Angebote, TV und Radio vor Ort können nicht überall den Wegfall kompensieren. 

 

Unterschiedliche Ansätze, ein Ziel

Doch parallel zu diesem Niedergang entwickelt sich seit Jahren eine lebendige Szene alternativer Projekte, die den Lokaljournalismus neu denken. Alternative Angebote, die als Ergänzung der Produkte von etablierten Medienhäusern fungieren. Sie bilden eine Stimme für die Region, leisten ihren Beitrag zur freien Meinungsbildung und decken Missstände auf. So wie die Relevanzreporter aus Nürnberg, Regensburg Digital, RUMS aus Münster und die 24-er Portale aus Oberbayern. Sie alle setzen ausschließlich auf digitale Formate und verzichten bewusst auf Print.

Die journalistischen Konzepte könnten kaum unterschiedlicher sein. Während einige auf ausführliche Recherchen und Tiefenberichterstattung setzen, binden andere ihre Leserschaft aktiv in Redaktionskonferenzen ein oder informieren minutenaktuell im Live-Ticker.

Ebenso vielfältig sind die Geschäftsmodelle: Fördervereine mit freiwilligen Beiträgen, Gesellschafterkreise als Kapitalgeber, Spendenaktionen für Prozesskosten oder Stiftungsgelder – kombiniert mit klassischen Einnahmequellen wie Abonnements, Werbung und Paid-Content.

 

Stefan Aigner: Der investigative Einzelkämpfer

Im Frühjahr 2008 gründete Stefan Aigner (Foto Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) im Alleingang Regensburg Digital, ein unabhängiges lokaljournalistisches Online-Magazin. Sein Fokus liegt auf „kritischem und investigativem Lokaljournalismus“, wie er selbst sagt. Relevante Themen ausführlich zu recherchieren und eine „deutliche Sprache zu sprechen“ – das ist seine journalistische Leitlinie.

Gemeinsam mit einem festen Mitarbeiter sowie unregelmäßig mitarbeitenden Kolumnist:innen und Tageszeitungs-Redakteur:innen recherchiert er aufwändige Geschichten, darunter zu einem großen Möbelhaus oder einem lokalen Bauträger, der in einen Korruptionsskandal involviert war. Die Aufdeckung des Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen brachte dem Projekt „große Aufmerksamkeit in Regensburg und Umgebung“, sagt Aigner.

Investigativer Journalismus bringt allerdings nicht nur Aufmerksamkeit, sondern oftmals auch juristische Auseinandersetzungen, wie beispielsweise eine Klage durch die Diözese Regensburg. Der Anwalt, der ihn vertrete, berechnet einen moderaten Stundensatz, was ihm sehr helfe. „Bisher habe ich noch keinen Prozess verloren“, so der Journalist.

Beim Projekt Regensburg Digital kommen rund 70 Prozent der Einnahmen aus Spenden von Mitgliedern des Fördervereins, der Rest sind Mikro-Payments und Werbeeinnahmen. Für Aigner gehört auch eine Portion Idealismus dazu, das Portal zu betreiben, denn große Gewinne wirft Regensburg Digital nicht ab.

 

Marc-Stefan Andres: Newsletter statt Zeitung

Marc-Stefan Andres (Foto Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) erkannte vor fünf Jahren eine Medienlücke in Münster. Da die Bürger:innen der Stadt „zur Hälfte politisch grün“ seien, sah er die Notwendigkeit, eine „Alternative zu den konservativen Blättern der Stadt“ anzubieten. „Ich wollte einen Neuen Journalismus für Münster“, so Andres.

Als Gründer und Produkt-Manager von RUMS-Medien setzt er vor allem auf gründliche Recherche: „Die Berichterstattung geht tief in die Stadtthemen rein“, erklärt er. Statt sich auf eine Quelle zu verlassen, nutzt sein Team „fünf bis sieben Quellen“. Die Inhalte werden dann „rein digital“ per Newsletter vier Mal pro Woche direkt an die Leser:innen versandt.

Das Bezahlmodell ist dreistufig und reicht von 12,99 bis 39,99 Euro im Monat und macht den ganz überwiegenden Teil des Umsatzes aus. Auch Werbung gehört zum Geschäftsmodell, wobei Verlag und Anzeigenabteilung „strikt getrennt“ (Andres) sind, „um Gefälligkeits- oder Anzeigengetriebenen Journalismus zu vermeiden“.

Unterdessen klafft jeden Monat eine Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben. So gibt es bei RUMS einen Gesellschafterkreis als Kapitalgeber, zu dem prominente Medienschaffende wie Sebastian Turner oder Klaus Brinkbäumer gehören. Sie „schauen, ob das Geschäftsmodell funktioniert, um eventuell Teile in ihre Unternehmen zu übertragen“, erklärt Andres. Er selbst ist bei RUMS nur auf Minijob-Basis angestellt und verdient sein Geld hauptsächlich als freier Medienschaffender im Bereich Corporate Publishing.

 

Alexandra Haderlein: Dialog statt Monolog

Vor fünf Jahren gab Alexandra Haderlein (Foto oben, Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) ihren Job beim Verlag Nürnberger Presse auf, um die Relevanzreporter zu gründen – ein gemeinwohlorientiertes Medienangebot für Nürnberg und die Region.

Ihr Ansatz unterscheidet sich vor allen in einem Punkt: Sie setzt darauf, „Menschen miteinander in Kontakt zu bringen“. Ihr ist es wichtig, einen Lokaljournalismus zu praktizieren, der den Dialog ermöglicht. Dazu lädt sie auch Interessierte zu Redaktionskonferenzen ein, um gemeinsam Themen zu finden. Dadurch erhalten sie ein „Gefühl von Selbstwirksamkeit“, sagt Haderlein.

Die Relevanzreporter sind als gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) organisiert. Diese Rechtsform ermöglicht es, ohne viel Kapital zu starten und Gelder von Stiftungen einzuwerben. Zusätzlich bietet Haderlein Veranstaltungen, Podcasts sowie Workshops und Seminare an, für die teilweise Geld fließt. Ihr mittelfristiges Ziel: die Gelder aus Stiftungen zurückzufahren und „ganz auf eigenen Beinen zu stehen“.


Die Runde bei den #MTM25 (Foto: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN)

 

Florian Schiller: Minutenaktualität aus dem Verlag

Einen anderen Weg ging der Verlag OVB Media. Geschäftsführer Florian Schiller (Foto Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) entschied sich im Frühjahr 2008 für die Gründung der neuen Marke OVB24. Zugeschnitten auf ein junges Publikum, sollten die 24-er-Portale minutenaktuell über das Geschehen in Rosenheim und den umliegenden Landkreisen berichten. Es ging auch darum, die Inhalte aus dem Printbereich nicht eins zu eins ins Digitale zu verlängern.

Seinen Live-Ticker zu Themen versteht er als „Markenpositionierung" gegenüber den übrigen Medien in der Region. Da der Verlag OVB mit dem Haus Ippen gesellschaftsrechtlich verbandelt ist, sind viele Synergien möglich.

Die 24-er-Angebote müssen deshalb nicht permanent ums Überleben kämpfen. Neben Paid Content fließen auch Einnahmen durch weitere Plattformen wie Jobbörsen sowie durch die Vermarktung.

 

"Kompass im Informationsalltag der Menschen"

Daneben gilt es, die bestehenden Häuser zu erhalten: Den hohen Wert des Lokaljournalismus für die Demokratie verdeutlicht eine aktuelle und bevölkerungsrepräsentative Studie der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM).

Unter dem Titel „Lokaljournalismus & Demokratie“ arbeitet das Werk das Medienangebot vor Ort als "zentralen Kompass im Informationsalltag der Menschen" heraus. Mehr als die Hälfte der Menschen nutzt demnach täglich Lokales. Mit direkten Auswirkungen auf unsere Demokratie: "Wer regelmäßig lokale Medien liest, hört oder sieht, vertraut Institutionen stärker, fühlt sich besser informiert und erlebt mehr Zusammenhalt", heißt es von der BLM.

Auch geht es in dem Werk darum, wie sich der Lokaljournalismus für die Zukunft aufstellen sollte: "Gerade jüngere Zielgruppen erwarten digitale Formate, Dialog und Transparenz statt Belehrung. Glaubwürdigkeit heißt für sie offen erklären, einordnen und Beteiligung ermöglichen", so die BLM. Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der BLM, ergänzt: "Wenn der Lokaljournalismus seine gesellschaftliche Leitfunktion behalten will, muss er präsenter, dialogischer und vernetzter werden. Und: Wir müssen lokale Medien als verlässliche Orientierungsanker aktiv verteidigen. Denn wenn keiner mehr hinschaut, ist unsere Demokratie in Gefahr." 

 

Auch wenn die MTM als Konferenz bis zum 21. Oktober 2026 pausieren: Wir bleiben präsent! Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 39. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen im Info-Bereich der MEDIENTAGE-Homepage und auch im MTM-Blog  bereit. Bilder für den Download (Quelle: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) sind in der Mediathek zu finden.


Zudem können zahlreiche MTM-Themen gehört werden: im Podcast "This is Media NOW".