Sich verschärfender Papiermangel, höhere Rohstoffpreise, Anzeigenrückgang, weniger Printabonnements, Bedrohung der Pressefreiheit: Die Printbranche steht vor nie dagewesenen Herausforderungen. Deutlich wurde beim European Publishing Congress in Wien aber auch, dass Redaktionen den notwendigen Wandel annehmen und wirtschaftlich teils sehr erfolgreich umsetzen.
Seit vergangenem Jahr verschärft sich der weltweite Rohstoffmangel im Bereich Zellstoff wegen unterbrochener Lieferketten. Hinzu kommen aufgrund von Corona-Ausfällen ein stagnierender Recyclingkreislauf beim Altpapier und erhöhte Nachfrage nach Verpackungsmateralien aus Karton im E-Commerce-Boom der Pandemie. Die Folge: lange Lieferzeiten, sehr hohe Preise für Papier und Probleme bei nachgelagerten Branchen. Entweder können Werbekampagnen nicht fortgesetzt werden, weil das Produkt nicht mehr vorrätig ist oder weil für Werbe-Beileger in Magazinen schlicht das Papier fehlt. Oder ganze Printprojekte gehen ein.
Die Lage hat sich 2022 weiter verschärft. Philipp Welte brachte es jetzt in Wien auf den Punkt: "Viele Verlage wissen bis heute nicht, auf welchem Papier sie im dritten oder vierten Quartal ihre Zeitschriften drucken sollen", sagte der Vizepräsident des Medienverbandes der freien Presse (vormals VDZ) und Mitglied des Burda-Vorstandes beim European Publishing Congress. Welte macht auch der Werbemarkt Sorgen.
So schlägt sich ihm zufolge die aktuelle Unsicherheit in einem signifikanten Rückgang bei den Anzeigen nieder, den Weltes Haus mit einer Erhöhung der Werbepreise auszugleichen versucht. Zugleich leiden deutsche Medien laut Welte nach wie vor massiv unter der Marktmacht US-amerikanischer Technologieplattformen. Google, Amazon und Facebook würden in diesem Jahr auf dem deutschen Markt über 8,8 Milliarden Euro Werbung abziehen, was einem Marktanteil von 35,9 Prozent entspreche.
Wir haben es zu tun mit einer bisher nie dagewesenen Kombination von strukturellen Veränderungen und massiven aktuellen Bedrohungen. Und im Ergebnis mit einer erschreckenden Erkenntnis: Die einzigartige Vielfalt der freien, journalistischen Medien, die die Verlage in Europa geschaffen haben, ist ökonomisch substanziell bedroht.
Philipp Welte, Hubert Burda Media
Der Münchner Verlagsmanager geht davon aus, dass auf dem deutschen Markt jedes dritte gedruckte Medienangebote in seiner Existenz gefährdet ist.
Daneben fürchtet der Printmacher eine sich breit machende „Bedrohung der Freiheit des Denkens, der Meinungen, eine Bedrohung der Toleranz". Seine Kritik an der Politik. "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Politik die Rolle der freien Presse nicht mehr versteht - oder nicht verstehen will.“
Funke-Verlegerin Julia Becker (Foto oben) ging bei der Eröffnung des European Publishing Congress 2022 in Wien noch weiter und stellte die Forderung an die Politik, bei Medien auf die Mehrwertsteuer zu verzichten. Das sei angesichts der Leistungen, die diese für die Gesellschaft erbrächten, und der enormen Herausforderungen eine "wirkungsvolle Investition in die Demokratie". Wer es schaffe, innerhalb weniger Wochen Steuern auf klimaschädliche Treibstoffe zu reduzieren, werde es "wohl auch hinbekommen, journalistische Produkte als 'Treibstoff der Demokratie' geringer zu besteuern", so die NRW-Verlegerin.
Mehr Druck schafft Probleme, aber auch Lösungen. So zeigte sich in Wien, dass viele Medienhäuser Chancen ergriffen und ihre Digitalstrategien vorangetrieben haben. Marken wie Die Zeit schaffen es, für digitale Produkte immer mehr zahlende Abonnent:innen zu gewinnen. So berichteten Zeit-Chefredakteur Jochen Wegner und Geschäftsführer Christian Röpke beim Publisher-Kongress, dass das Haus 2021 bei den Digitalabos um 43 Prozent zugelegt habe.
Dabei machten sie deutlich, dass in Hamburg der Lernprozess keinesfalls beendet ist: Der Sonntag als stärkster Abo-Tag soll mit einer digitalen Sonntagsausgabe der Zeit besser erschlossen werden. Motto - berichten dann, wenn Menschen Zeit zum Lesen haben.
Andere Publishingmarken setzen gerade zum digitalen Schwung an, wie in Wien deutlich wurde. So will das FAZ-Team bis 2025 bis zu 300.000 digitale Abos einsammeln.
Daneben kritisierte Funke-Verlegerin Becker trotz vieler Digital-Fortschritte die "Klick-Logik" in vielen Redaktionen: Datenorientiert arbeiten sei auf jeden Fall sinnvoll, datengetrieben nicht – wenn exakt gemessen werde, wie viele Menschen einen Text aufrufen, wie lange und bis zu welchem Absatz sie ihn lesen, ob er Abos generiert hat und wie er in den unterschiedlichen Kanälen "trendet". Werde Leserverhalten so transparent und auf den Dashboards sichtbar gemacht, liege darin die "Gefahr der Boulevardisierung, Skandalisierung und Blaulichtisierung".
Apropos Learnings: Julia Becker zeigte sich beim European Publishing Congress selbstkritisch. Die Funke-Verlegerin bemängelte die vergangenen Einsparungen im Lokalen, zu wenig Diversität und eine zu starke Daten-Orientierung in den Redaktionen. Becker: "Die Sparrunden der Verlage in der Vergangenheit haben unverhältnismäßig stark die Redaktionen getroffen und dazu geführt, dass zum Beispiel das Netz der Lokalredaktionen immer mehr ausgedünnt wurde."
Der Deutsche Journalisten-Verband DJV pflichtete dem umgehend bei und forderte Zeitungsverlage auf, in Lokalredaktionen Personal aufzustocken; das sei unbedingt nötig, wenn der Lokaljournalismus eine Zukunft haben solle.
Der DJV-Vorsitzende Frank Überall erinnerte in dem Zusammenhang an den anstehenden Generationenwechsel in den Redaktionen: „Die Babyboomer gehen in den Ruhestand.“ Manche Verlage glaubten offenbar immer noch, freiwerdende Stellen einsparen zu können.
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN 2022 finden vom 18. bis 20. Oktober vor Ort in München statt. Dabei blicken wir im Rahmen des Publishing-Gipfels auf die Herausforderungen in Krisenzeiten und zeigen neue Perspektiven sowie Geschäftsmodelle der Anbieter auf.
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.