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MTM20: Wie sich die Audio-Welt entwickelt

Geschrieben von Petra Schwegler | 05. November 2020

Schon vor der Corona-Pandemie hat sich der Audio-Markt hochdynamisch entwickelt. Mit der Krise, dem Lockdown und dem damit verbundenen vertieften Interesse an Informationen und Unterhaltung hat das Segment einen zusätzlichen Schub erfahren. In verschiedenen Sessions haben die digitalen MEDIENTAGE MÜNCHEN die neuesten Entwicklungen rund um Audio, Radio, Podcast oder Voice aufgegriffen und auch einen Blick in die Zukunft gewagt.

Aufgrund der Corona-Pandemie verzeichnet der Markt für Audio-Angebote ein starkes Wachstum an Reichweite. Das führt zum einen zu mehr Nachfrage nach Werbung im Umfeld von Hörinhalten; ein Umstand, der im 1. Halbjahr wirtschaftlich gebeutelten Anbietern wieder Hoffnung macht. Zum anderen ruft die Entwicklung neue Konkurrenz auf den Plan, weckt Begehrlichkeiten. Beim Audio-Gipfel der #MTM20 wurde deutlich, dass sich Anbieter*innen als Gattung verstehen, die den Zusammenhalt suchen. Sowohl in der Produktion als auch in der Vermarktung von Audioangeboten sei es sehr wichtig, so urteilten Expert*innen, dass öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Anbieter auf nationaler Ebene Kooperationen eingehen.

So unterstrich Katja Marx, Hörfunkdirektorin beim NDR: Um an gute Inhalte zu kommen, seien auch Kooperationen wichtig. Dem pflichtete Benjamin Risom, Vizepräsident des ProSiebenSat.1-Audio-Labels FYEO bei. Er beschrieb die Grundlage der FYEO-Strategie: Damit die Nutzer von Audio-Angeboten alle Inhalte finden, die sie sich wünschen, sei es wichtig, „national mehr in Kooperationen zu denken“. In dem Zusammenhang erwähnte er eine mögliche Zusammenarbeit mit der ARD im Bereich der Audiothek.

 

Wo es zu handeln gilt

Wie sehr das Corona-Jahr der Audiobranche wirtschaftlich zugesetzt hat und wie abhängig die Gattung vom skizzierten Aufschwung bei der Werbung ist, machte Annette Kümmel als Vorstandsvorsitzende von VAUNET in einer Session des Privatfunkverbands deutlich. „Die Werbeeinnahmen beim Radio sind um 75 bis 80 Prozent – bei kleineren Sendern bis zu 90 Prozent – eingebrochen“, so Kümmel. Totalausfälle gebe es vor allem im Event-Bereich. Das könnten kleinere Hörfunk-Programmanbieter kaum mehr auffangen.

„Wir werden übers Jahr bis zu 30 Prozent an Erlösen verlieren“, verdeutlichte Radio-FFH-Geschäftsführer Marco Meier die „existenziellen Sorgen“. Der stellvertretende VAUNET-Vorstandsvorsitzende berichtete, Kurzarbeit habe man sich während des Lockdowns nicht leisten können, denn das wäre auf Kosten der journalistischen Qualität gegangen. Als Lösung brachte der Verband staatliche Hilfen sowie ein Moratorium bei Maßnahmen und Gesetzesvorhaben bezüglich Werbe-Restriktionen und Urheberrechtsreformen ins Spiel.

 

Die Branche wird rasant digitaler

Corona schob die Digitalisierung in vielen Medienhäusern an. So auch bei Antenne Bayern. Felix Kovac, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe, erläuterte, wir er sein Unternehmen auf die Produktion „von digitalem Content“ ausrichte. Bei den Formaten liege der Fokus auf „klassischen Webstreams“ und Podcasts, „um die Digitalreichweite auszubauen“.

Doch bei vielen Anbietern schuf Corona neue Fragen – unter anderem bei der Finanzierung laufender Projekte. DAB+ etwa erlebt in diesem Jahr einen massiven Aufschwung durch die Aufschaltung der zweiten nationalen Plattform und durch den vorgeschriebenen Einbau von digitalen Empfängern in Neuwagen.

Nun gilt es für die Anbieter, in der neuen Vielfalt des digitalen Antennen-Empfangs für ihre Wellen zu trommeln. „Wir haben momentan in Deutschland 270 DAB-Programme in der Luft – in Berlin 70 und in München fast 60“, bilanzierte Willi Schreiner, Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Lokalrundfunk (VBL). Da könne einem schon „schwindelig“ werden. „Wenn Du keine Marke bist, hast Du es schwer, in diesem Audio Wirrwarr zu überleben“, sagte der Radiomanager. Ein gewaltiges Pfund aber seien die lokalen und regionalen Informationen. Das müsse man ausspielen.

Bei Moderator Stefan Assfalg geht es um digitale Chancen für den Lokalfunk (Foto: MTM)

 

Was bleiben wird ...

Während die einen die neue Wirkmacht von Audio in digitale Angebote und Podcasts übersetzen, beschwören andere das „gute alte Radio“. Zu ihnen zählte bei den MEDIENTAGEN Ronan Keating, der vor seiner Hörfunkkarriere als Mitglied der Boygroup Boyzone berühmt wurde. Er sieht es „als ein Privileg, Radio machen zu können“. Er schätze den persönlichen Kontakt zu den Zuhörern, „indem er seine Stimme an sie richte“. An den „Basics“ werde sich auch künftig nichts ändern: „Zu den Leuten reden, ihnen zuhören und ehrlich sein. Das wird weiterhin gutes Radio ausmachen. Nur die Technik entwickelt sich immer weiter.“

Keatings Co-Moderatorin bei Magic Radio, Harriet Scott, stellte fest, wie wichtig im Zuge der Corona-Pandemie Live-Sendungen für die Hörer*innen seien, da sie „unmittelbaren Kontakt zu den Menschen herstellen“ könnten. „Ihre Stimme gibt uns Kraft weiterzumachen, hätten die Zuhörer ihr mitgeteilt“, erzählte die Moderatorin.

 

Wie es um den Podcast steht

Doch weiter zu den Podcasts, die immer wieder im Rahmen der digitalen MEDIENTAGE MÜNCHEN die Diskussionen bestimmten. Tom Webster, Leiter der Audio-Forschungsabteilung bei der US-amerikanischen Firma Edison Research, stellte zu Beginn des MTM-Audio-Gipfels Ergebnisse einer Panel-Befragung zur Podcast-Nutzung in den USA vor. Dabei würden 4000 Personen alle 15 Minuten zu ihrem Hörverhalten befragt.

„Seit 2014 hat sich die Anzahl der Podcast-Nutzer*innen verdreifacht“, stellte Webster als bemerkenswerte US-Entwicklung heraus. Die Audio-Inhalte, die in den USA am meisten konsumiert würden, seien Comedy und Sport. Im Laufe der Erhöhung der Anzahl von Covid-19-Infizierten in den USA habe die Nutzung von Formaten, die religiöse und spirituelle Themen behandeln, stark zugenommen, sagte Webster weiter.

Die Zahl der Podcasts hat sich erhöht, ebenso die Nutzung. Die Frage nach der Refinanzierung beantworteten bei den #MTM20 unter anderem Tina Jürgens, Geschäftsführerin des Audiovermarkters Zebra-Audio.Net, und Sven Bieber, Head of Ad Sales für Deutschland beim Streaming-Dienst Spotify Germany. Um mit Podcasts Geld verdienen zu können, brauche man vor allem gute Inhalte. „Content is king“ stellte Tina Jürgens klar. Das jeweilige Thema müsse über Relevanz verfügen, damit man entsprechend Reichweite aufbauen könne. 10.000 Downloads pro Episode sei eine Marke, mit der man arbeiten könne, erläuterte Jürgens.

Ihr Unternehmen vermarkte Podcasts per TKP (Tausender-Kontakt-Preis). Das bedeute in etwa 100 bis 200 Euro für Spots, die nativ integriert würden, also Werbeclips, die der Host oder ein Presenter aus der Redaktion einspreche. Es gebe natürlich auch andere Erlösmöglichkeiten wie Abos, Spenden oder das Patreon-Modell, bei dem Podcaster von ihren Fans regelmäßig einen selbstbestimmten Geldbetrag erhalten. Ab etwa 5000 Downloads und Streams lohne es sich für Podcaster, sich bei Zebra-Audio.Net zu melden.

 

Der Podcast ist für viele da

Doch vielen Podcaster*innen geht es im ersten Schritt um den Aufbau einer treuen Hörerschaft. Für Matze Knop etwa, der gemeinsam mit dem ehemaligen Fußballmanager Reiner Calmund und dem Kolumnisten Tobias Holtkamp wöchentlich über Fußball plaudert, ist Podcast „Kino im Kopf“. Das gelte natürlich auch für den Hörfunk, sagte der Comedian und Moderator bei den #MTM20. Er plädierte dafür, dass das gesprochene Wort auch im Radio wieder mehr Bedeutung gewinnen müsse. Denn Musik bekomme man heute an jeder Ecke „um die Ohren gehauen“. Knops Rat lautete also: „Radio wäre deshalb gut beraten, wenn es wieder mehr auf Wort hingeht.“ 

Zurück zu Podcasts und zu einem Markt, in dem es die klassischen Audio-Anbieter mit Konkurrenz aus allen Bereichen zu tun bekommen. Darunter sind auch große Printmarken wie die New York Times. Sam Dolnick, stellvertretender Assistant Managing Editor des Unternehmens, bestätigte im Interview den tiefgreifenden Wandel, den die Company durchlaufe, und die hohe Reichweite, die das Unternehmen gerade mit Podcasts erziele. Damit würden auch Menschen erreicht, die die Zeitung nicht lesen würden. Vor allem das Vorzeigeprojekt The Daily sei deshalb so erfolgreich, weil das Podcast-Team als eigene, vom „übrigen Redaktionsbetrieb losgelöste Unit“ arbeiten könne und Qualitätsjournalismus mit leidenschaftlicher Nachrichtenvermittlung sowie der Bereitschaft, täglich dazuzulernen, verbinde.

„Podcasts sind das Eintrittstor in die Welt der FAZ“, postulierte Yamina Grossmann, Leiterin Zentrales Marketing bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als Content House mit langer Tradition, so berichtete die Managerin, richte sich das Audio-Angebot der FAZ einerseits reichweitenstark an das Publikum („Podcast für Deutschland“). Zugleich gebe es die Chance, auch spezielle Zielgruppen mit Nischenthemen anzusprechen.

 

Corporate Media entdeckt Audio

Neue Player kommen auch aus den Unternehmen: Bei der Deutschen Telekom AG wird die Vielzahl von Podcasts sogar in einem Hub gebündelt. Und das Portfolio wächst weiter: Demnächst starte ein neues True-Crime-Angebot mit wahren Fällen, kündigte Head of Podcasts Lina Brinkschulte an.

Die Managerin bezeichnete Podcasts als „optimales Medium“, weil diese Audio-Kommunikation überall und jederzeit genutzt werden könne. Nach ihren Erfahrungen bekämen die Nutzer zudem das Gefühl, „ein Freund“ spreche zu ihnen. Entscheidend für den Erfolg seien die Qualität der Beiträge sowie das Durchhaltevermögen im Unternehmen. Und natürlich: „Podcasts müssen einfach erreichbar sein.“ 

Wie Podcasts mit fiktionalen Inhalten produziert und vermarktet werden, erklärten Daniel Nikolaou, Leiter der Podcast-Produktion beim Audio-Streaming-Dienst Spotify, und Nilz Bokelberg, Inhaltespezialist beim Podcast-Produzenten Pool Artists, am Beispiel der deutschen Produktion des Podcasts Susi. „Die Idee war, den US-amerikanischen Podcast Sandra ihres Geschäftspartners Gimlet Media zu adaptieren und für den deutschen Markt relevant zu machen“, so Nikolaou.

Fiktionale Erzählungen mit abgeschlossenem Content hätten eine „lange Halbwertszeit“ und seien ein „Gateway, um leichter den Zugang zum Podcast zu finden“. Er glaube an das Medium Podcast, „ein junges Medium mit viel Raum“, der noch lange nicht besetzt sei, führte Nikolaou aus.

 

Was sich verändern wird ...

Ein Beispiel hatte Christian Hufnagel bei den MEDIENTAGEN im Gepäck. Der Referent in der Programmdirektion Kultur und Digitalradio-Experte beim Südwestrundfunk, entwickelt im SWR audio lab Zukunftstechnologien für digitale Audio-Plattformen. „Radiohörer sind nicht mehr bereit, auf Inhalte zu warten“, war die Arbeitsthese für das Produkt, das er vorstellte.

Hufnagel hat für die SWR3-App eine neuartige taktile Umgebung geschaffen. Durch das Berühren des Bildschirms kann die „Linearität beim Konsumieren von Audioinhalten“ durchbrochen werden. So wird das Zurückspulen von Liedern möglich oder das Umschalten, wenn Hörer*innen ein Song nicht gefällt. Dann werden drei alternative Titel zugespielt. Ein weiteres Feature ermögliche es, in der App Lieblingssongs und Wortbeiträge in einer Playlist zu sammeln und zu kategorisieren.

Theresa Rentsch, Leiterin des Produktmanagements bei der Nachrichtenagentur dpa, stellte den dpa-Audio Hub vor – ein Angebot für „kleine Podcast-Produzenten“ und Kunden aus der Hörfunk-Branche. Entwickelt wurde ein Baukastensystem, in dem Original-Töne, atmosphärische Töne und historische Töne an einem Ort schnell zu finden seien.

 

Voice bringt viele neue Learnings mit sich

 Ganz klar: Smart Speaker werden die Zukunft der Audio-Branche massiv prägen. Das wurde bei den MEDIENTAGEN deutlich. „Voice ist ein Balance-Akt“, sagte etwa Andy Webb, Head of Voice and AI (Artificial Intelligence) der britischen BBC. Er erläuterte, wie die BBC den neuen Sprachassistenten Beep konzipiert hat. Webb machte deutlich: Digitale Angebote müssen vor allem das ermöglichen, was als Community Building bezeichnet wird. Dabei geht es darum, eine Gemeinschaft zwischen Einzelpersonen innerhalb eines regionalen oder inhaltlichen Bereichs zu schaffen. Die Kernaufgabe liege im Aufbau einer Beziehung zum Nutzer (Conversational Relationship). Dies bedürfe neuer Formen, Inhalte aufzubereiten, ebenso wie einer Universalität und kreativer Kontrolle.

Auch hierzulande stellen Sprachsteuerung und Smart Speaker für die Hörfunk-Branche eine große Herausforderung dar. Bei der ARD habe man in den Jahren 2017 bis 2019 zunächst noch ganze Nachrichtenblöcke auf digitale Plattformen gebracht, berichtete Tim Pfeilschifter, der beim Bayerischen Rundfunk für das Produktmanagement von Voice-Inhalten verantwortlich ist. Die Zukunft liege in echter Interaktivität mit Nutzerinnen und Nutzern. Dies aber sei auch abhängig von den Möglichkeiten der technisch zur Verfügung stehenden Funktionen.

Austausch zur digitalen Audio-Zukunft mit Johannes Ott (l) und Andreas Horchler (Foto: MTM)

Generell waren sich Referent*innen zum Thema Audio einig, dass die Digitalisierung mehr Chancen als Gefahren bietet. Dabei gelte es einiges zu beachten, wie Medienforscherin Nele Heise mit fünf Impulsthesen für eine Content Community verdeutlichte:

  1. Podcast-Nutzer legen Wert auf Tiefe der Inhalte.
  2. Mehr Diskurs „auf Ohrenhöhe“ erfordert einen Dialog zwischen Nähe und Distanz, der Raum für das Publikum bietet.
  3. Schubladen öffnen, denn Formalhaftigkeit lähmt Innovation.
  4. Neue Stimmenvielfalt muss Stimmen und Themen des Publikums ernst nehmen, um auch ein anderes, jüngeres als das klassische Publikum anzusprechen.
  5. Klassische Radiosender müssen digital präsent sein, denn digitale Angebote sind der erste Kontaktpunkt zum jüngeren Publikum.

Johannes Ott, Programmgeschäftsführer von Radio Gong 96,3, bezeichnete digitale Angebote als eine große Chance, „Menschen nicht nur zu unterhalten“, sondern sie auch zu bewegen“. Dies stärke die Bindung zu den Hörern.

 

Passend zu diesem Blog-Thema können Sie die MEDIENTAGE MÜNCHEN im neuen Podcast nachhören. Mit dem Audio-Track befasst sich Folge 6.
Die Video-Aufzeichnungen vieler Sessions sind noch bis Ende November on Demand über den folgenden Link verfügbar: https://medientage-digital.de.
Außerdem stehen Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial auf der Medientage-Homepage in der Mediathek und auf https://medientage.de/pressemitteilungen/

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