Recht zügig macht sich das Twitter-Verbot oder der Facebook-Bann für den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump bemerkbar: Seit der Republikaner nicht mehr twittert und postet, sind die Fehlinformationen im Netz über Wahlbetrug in den Vereinigten Staaten um 73 Prozent zurückgegangen. Die US-Forscher von Zignal Labs attestieren mit dieser Auswertung den Tech-Unternehmen viel Macht über das Verbreiten schädlicher "Fake News" – wenn sie aggressiv vorgehen.
Es hat bei Demokratie-Verfechtern auch viel Kritik hervorgerufen, dass mehrere Social-Media-Websites Donald Trump und wichtige Verbündete nach dem Sturm seiner Anhänger aufs Kapitol in Washington am 6. Januar gesperrt haben. Begründet wurde das Vorgehen gegen das Online-Megaphon @realDonaldTrump mit dem "Risiko einer weiteren Anstiftung zur Gewalt". Kritiker werfen dem Republikaner vor, seine Unterstützer über soziale Plattformen angestachelt zu haben.
Doch die durchaus als aggressiv eingestufte Machtausübung von Twitter zeigte umgehend Wirkung: Die aktuelle Untersuchung des in San Francisco ansässigen Analyseunternehmens Zignal Labs dokumentiert, dass die Gespräche über Wahlbetrug in der Woche nach Trumps Twitter-Verbot (9. bis 15. Januar) von 2,5 Millionen Erwähnungen auf 688.000 Erwähnungen auf verschiedenen Social-Media-Seiten zurückgegangen sind. Ein Minus von rund 73 Prozent. Dabei waren Wahl-Desinformation seit Monaten das Hauptthema der Desinformation im Netz, schon weit vor der Wahl am 3. November, stark vorangetrieben von Donald Trump und seinen Verbündeten.
Zignal zufolge ist diese Art von "Fake News" sowohl auf Twitter selbst als auch auf anderen Plattformen in den Tagen nach dem Ausschluss am 8. Januar schnell und stark zurückgegangen. Der Präsident und seine Unterstützer haben auch Konten auf Facebook, Instagram, Snapchat, Twitch, Spotify, YouTube, Shopify und bei anderen Social Networks verloren. Facebook verkündete den Trump-Bann "auf unbestimmte Zeit", ließ aber die Möglichkeit offen, dass sein Konto später wiederhergestellt werden könnte. Weitere Aktionen von Tech-Anbietern folgten, darunter Twitters Verbot von mehr als 70.000 Konten, die mit der QAnon-Ideologie verbunden sind, die eine Schlüsselrolle beim Anstiften zur Belagerung des Kapitols spielte.
Zignal analysierte darüber hinaus, dass die Verwendung von Hashtags, die mit dem Kapitol-Aufstand verbunden waren, ebenfalls erheblich abnahm. Erwähnungen des Hashtags #FightforTrump, der in der Woche vor der Kundgebung auf Facebook, Instagram, Twitter und anderen Social-Media-Diensten weit verbreitet war, sind demnach innerhalb weniger Tage um 95 Prozent zurückgegangen. Auch #HoldTheLine und die Begriffe "March for Trump" sackten um mehr als 95 Prozent ein.
Die Untersuchungen von Zignal legen nahe, dass ein mächtiges zusammenhängendes Desinformations-Ökosystem aus hochkarätigen Influencern, einfachen Anhänger*innen und Trump selbst eine zentrale Rolle dabei spielte, Millionen von Amerikaner*innen dazu zu bringen, das Wahlergebnis abzulehnen. Trumps Tweets wurden von seinen Fans mit einer bemerkenswerten Rate retweetet, unabhängig vom Thema, was ihm unvergleichliche Möglichkeiten gab, die Konversation online zu gestalten. Nun gehen die Forscher davon aus, dass dieses System ohne Donald Trumps Social-Media-Konten nur schwer überleben kann.
Die Zignal-Ergebnisse vom ersten Wochenende nach der Sperrung zeigen, wie Unwahrheiten über Social-Media-Seiten fließen, sich gegenseitig verstärken und einen Hinweis darauf geben können, wie konzertierte Aktionen gegen Fehlinformationen einen Unterschied machen. Kate Starbird, Desinformationsforscherin an der University of Washington, vermutete gegenüber der US-Presse eine kurzfristige und starke positive Auswirkung des Twitter-Schritts. Doch was auf lange Sicht passiere, sei noch in der Schwebe.
Professor Dr. Jay Rosen von der New York University befürchtete bereits im Oktober im Rahmen der Medientage München 2020, dass Trumps Propaganda langfristige Folgen haben würde. In seiner Keynote zum Journalism Summit warnte er eindringlich vor amerikanischen Verhältnissen. Davor, wie Donald Trump Journalisten zu Hassobjekten degradierte sowie die moderne Wissenschaft in Zweifel ziehe. "Ich frage mich all die Zeit, wie konnte es in den USA, die als die älteste Demokratie der Welt gelten, soweit kommen?", so Rosen. Auch gab er deutschen Journalist*innen einige Tipps mit auf den Weg. So brauche seiner Meinung nach jedes Nachrichtensystem eine Art "Notfall"-Schalter, um auf Fake News reagieren zu können.
Jens Struck, Mitglied im Forschungsverbund Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ), skizzierte im Rahmen der #MTM20 individuelle und gesellschaftliche Risikofaktoren für Gewaltaufrufe. Zu den ersteren gehöre beispielsweise die mangelnde Integration von Menschen, sagte Struck. Ein gesellschaftlicher Faktor könne zum Beispiel die soziale Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft sein. Die Kommunikation in digitalen Netzwerken, die unter anderem durch Anonymität, durch Depersonalisierung und durch die Möglichkeit der unmittelbaren Reaktion gekennzeichnet sei, begünstige die Radikalisierung von Nutzern dieser Netzwerke.
Im Rahmen seiner Forschungsarbeit identifizierte Struck drei Typen extremistischer Gewaltaufrufe: Propaganda im Sinne von zielgerichteten Versuchen, politische Meinungen oder öffentliche Sichtweisen zu formen und Erkenntnisse zu manipulieren, auf Affekthandlungen abzielende Aufrufe und Aufrufe zur Gewalt.
Am Mittwoch endet nun die Ära Donald Trumps als US-Präsident mit der Inauguration durch den neuen Amtsinhaber Joe Biden. Wie sehr die dunklen Echokammern, die Trump im Netz errichtet hat, nachklingen, wird sich zeigen.
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