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ORF bei TikTok: Mit jungen Menschen auf Augenhöhe

Geschrieben von Petra Schwegler | 17. Februar 2022

Während der Pandemie hat sich TikTok für Jugendliche zum digitalen Schulhof entwickelt. Ein Ort des Austauschs und der Unterhaltung im Social Web, den inzwischen auch immer mehr Medienmarken nutzen, um der "Generation Corona" sorgfältig recherchierte Informationen in passender Form anzubieten. Beim öffentlich-rechtlichen ORF in Wien übersetzen seit Oktober die Hosts Ambra Schuster und Idan Hanin unter der Leitung von Patrick Swanson die Themen der Zeit im Bild auf TikTok.
Wie sich ihre Arbeit gestaltet – das schildern Schuster und Swanson im Interview mit dem Blog der Medientage München und live bei der 5. Ausgabe der MTM-Online-Eventreihe Digitalks

 

Prominenter Einstand für ZIB auf TikTok im Oktober mit der ORF-Legende Armin Wolf. Hat der Tanz des bekannten Nachrichtenmoderators bei Eurer sehr jungen Zielgruppe geholfen? 

Patrick Swanson: Armin Wolf hat gut gepasst, denn dieser Auftakt war als Event gedacht, mit dem wir Werbung für unseren neuen Account machen wollten. Er ist DER Nachrichten-Anchor Österreichs und enorm bekannt. 

Armin Wolf steht für alles, was wir über TikTok transportieren wollen: guten Journalismus, Inhalte, die passen, sowie die richtige Portion Witz und Charme. Er spielt weiterhin eine große Rolle bei unserem TikTok-Auftritt: Ich leite das Social-Media-Team der Zeit im Bild im ORF, er ist mein Chef. Er zeichnet bei uns in der Chefredaktion für alle Social-Media-Auftritte verantwortlich.
Wir tauschen uns viel mit ihm aus, er gibt wichtiges Feedback. Erst vor wenigen Tagen haben wir wieder ein TikTok-Video online gestellt, in dem Armin Wolf  einen kurzen Gastauftritt hatte.

Wie haben sich die Follower-Zahlen entwickelt?

Ambra Schuster: Wir haben rund 230.000 Follower. Wobei es bei TikTok mehr um die Zahl der User und ihr Engagement geht. Da können wir ein recht gutes Verhältnis vorweisen. Die Follower-Zahl lässt gerade bei Videos, die viral gehen, nicht verlässlich auf echte Zuschauerzahlen schließen. Fest steht aber, dass wir bereits jetzt viele Videos haben, die 500.000, 600.000 und sogar bis zu einer Million Zuschauende zählen. Damit wächst auch die Follower-Zahl kontinuierlich.

Patrick Swanson: Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir mit ZIB auf TikTok in Österreich eine gute neue News Community aufbauen werden.

 

Viel jüngere Zielgruppe als im TV, andere Herangehensweise: Welche Themen wiegen schwerer, welche lasst Ihr in der Social-Ausgabe eher fallen?

Ambra Schuster: Wir stellen uns grundsätzlich die Frage, ob ein Thema für unsere Zielgruppe relevant ist, ob Informationen ihre Lebensbereiche unmittelbar betreffen.
Gerade sind für sie Fragen zu Corona-Regeln und der Umgang mit der Schule in der Pandemie von großer Relevanz.
Das bedeutet aber nicht, dass wir andere große Nachrichtenthemen wie Klimaschutz und aktuell die Ukraine-Krise weniger in unserem TikTok-Kanal aufnehmen. Gerade bei der Lage an der ukrainisch-russischen Grenze merken wir, dass ein Thema junge User gar nicht unmittelbar betreffen muss. Es interessiert sie trotzdem.
Daher übersetzen wir den Sachverhalt in die für sie relevante Form, klären ganz grundsätzlich Dinge wie: Wo sind diese Länder? Wer spricht mit wem? Worauf basiert der Konflikt, worum geht es genau? Das wird von den Usern sehr gut angenommen.

Patrick Swanson: Viele Medienunternehmen machen den Fehler, junge User zu unterschätzen. Sie glauben, man müsse diese Zielgruppe von oben herab ein bisschen belehren. Dann würden sie schon zuhören. Doch so funktioniert es nicht: Viele junge Menschen interessieren sich sehr für Politik, für Gesellschaft und für die Welt um sich herum.
Unser Account verfolgt von Anfang an das große Ziel, dass wir Jugendliche auf Augenhöhe behandeln. Sie sollen die gleichen guten Nachrichten haben wie alle anderen.

 

Habt Ihr bei den Themen bereits einen roten Faden gefunden, was trifft auf besonderes Interesse?

Ambra Schuster: Die Pandemie ist eine Ausnahmesituation, das Thema ist überall präsent. Damit hat fast jedes Video, das mit Corona-Regeln an sich und vor allem mit Corona-Regeln an Schulen zu tun hat, extrem hohe Zugriffe verzeichnet.

Patrick Swanson: Die Berichterstattung über Corona ist derzeit der roten Faden für jedes Nachrichtenmedium auf der Welt. Ein Großteil unserer Videos dreht sich daher momentan um die Pandemie. Diese Ausnahmesituation rechtfertig das. Aktuell sehen wir aber, dass auch Videos zur Ukraine-Krise auf großes Interesse stoßen.
Daneben merken wir und das ist ein Lernprozess für uns als Nachrichtenteam , dass wir unsere Berichterstattung anpassen und auch über Stars und Entertainer berichten müssen, die für die Lebenswelt der jungen Menschen enorm wichtig sind. Das eine lässt sich gut mit dem anderen verbinden: Buntere News lassen sich durchaus mit politischen oder gesellschaftlich relevanten Themen kombinieren.

 

Ihr seid beide schon eine Weile für den ORF im Einsatz, kennt die Bedürfnisse speziell junger Zielgruppen. Was hat sich durch Corona verändert?

Patrick Swanson: Wir haben es mit einer komplett neuen Situation zu tun, weil jeder Mensch persönlich davon betroffen war, was die Regierung bei der Pressekonferenz sagt. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Vielen Menschen, die vorher vielleicht nur am Rande mit Nachrichten zu tun hatten, hat diese Situation mit großer Dringlichkeit vermittelt, dass sie sich jetzt auch für Nachrichten interessieren müssen ob sie wollen oder nicht.

Für uns ist das eine große Herausforderung, weil wir jetzt Nachrichten machen müssen für Menschen, die sich eigentlich gar nicht unbedingt damit befassen wollen, denen Corona-Regeln auf die Nerven gehen und die das alles ganz unangenehm finden. Dennoch müssen wir einen Weg finden, alle sachlich und vernünftig zu informieren. Vor Corona haben wir für Menschen gearbeitet, die besonders interessiert waren. Jetzt müssen wir zusätzlich schauen, dass alle mit der Berichterstattung zu Rande kommen und dass wir unsere Arbeit wirklich vernünftig machen. 

Es geht um jedes einzelne Leben. Diese Verantwortung müssen wir übernehmen.

Patrick Swanson, ORF

Daneben sehen wir in Studien über psychische Gesundheit von jungen Menschen, dass sie in der Pandemie besonders gelitten haben, etwa durch Kontaktbeschränkungen und die Regeln in der Schule. Hier entsteht für uns eine besondere Verantwortung, gewissenhaft zu arbeiten.

 

Nochmals zur psychischen Gesundheit von jungen Menschen: Unter anderem ein Klinikteam aus Wien hat klare Aussagen zur Generation Corona getroffen, also zu Schüler:innen und Teenagern. Wie haltet Ihr das im Kontakt zu Eurer Zielgruppe? 

Ambra Schuster: Die Ansprache ist herausfordernd geworden. Wenn es in der Berichterstattung um die psychische Gesundheit von Jugendlichen und Kindern geht, überlegen wir intensiv und wägen bei der Wortwahl genau ab, bevor wir es verwenden. Wir machen uns bewusst, welche Szenarien wir schildern und welche Bilder wir verwenden. Das steht manchmal auch in einem Spannungsverhältnis zu unserem Anspruch der Berichterstattung auf Augenhöhe. Im ersten Schritt ist man verleitet zu sagen: Dort gibt es Hilfe, holt sie Euch und hier sind noch fünf Tipps. 

Doch es ist viel wichtiger, die jungen User wahrzunehmen, ihnen zuzuhören.
Ambra Schuster, ORF

Am Ende eines Videos kann man immer noch eine Hilfsnummer einblenden. Wir sind in der Ansprache vorsichtig geworden, um nichts Negatives zu befeuern. Und ich glaube: zu Recht.

Aber auch das ist eine Gratwanderung: Wir dürfen keine Plattform bieten, über die sich Jugendliche gegenseitig noch mehr reinsteigern.

 

Welche Rolle spielen jetzt Kommentarfunktionen?

Ambra Schuster: Über die Kommentare findet reger Austausch statt. Geht es Usern etwa schlecht, dann fragen andere nach und wollen wissen, was los ist. Oft beantworten sie sich gestellte Fragen auch gegenseitig, ähnlich wie in einem Forum.

 

Wie stark fließt die Rückmeldung aus der Community in Eure Themenbildung ein?

Patrick Swanson: Es sind in den vergangenen Monaten bereits viele Videos für TikTok entstanden, deren Ursprung in Kommentaren oder Rückmeldungen lagen. Auf Basis dieser Anregungen produzieren wir dann weitere Videos.
Nehmen wir als aktuelles Beispiel die Ukraine-Krise: In einem Video zeigen wir russische Truppen an der Grenze und schildern die geopolitische Situation. Als Rückmeldung kommt dabei die Frage, was denn nun mit Österreich sei, weil für viele junge Menschen nicht so ganz klar ist, ob ihre Heimat betroffen ist oder nicht. Diese Frage greifen wir wieder auf und setzen ein weiteres Video ab, in dem wir erklären, dass Österreich als neutrales Land nicht in den Krieg ziehen wird, aber dass wir wirtschaftlich von der Krise in der Ukraine betroffen sein könnten. So versuchen wir, das Thema weiterzuspinnen und dorthin zu kommen, wo wir das Informationsbedürfnis junger Menschen treffen.

Das Social-Media-Team der ZIB nimmt die Reaktionen der User sehr ernst. Wir lesen die Kommentare und filtern die großen Themen heraus, die wir aufgreifen müssen.

Patrick Swanson, ORF

 

Die "Generation Corona und die Medien" und damit auch das bei jungen Usern beliebte soziale Netzwerk TikTok stehen am 24. Februar 2022 von 15:30 bis 17:00 Uhr im Mittelpunkt der fünften Ausgabe der #MTMdigitalks.
Zu den spannenden Expert:innen, die beim kostenfreien Online-Event Einblicke in ihre Arbeit und Erfahrungen geben werden, zählen Ambra Schuster und Patrick Swanson aus dem Social-Media-Team des Nachrichtenmagazins ZIB im ORF.
Hier geht es zum Programm und zur Anmeldung!


Zu den Personen:

Ambra Schuster hostet beim ORF in Wien gemeinsam mit Idan Hanin (im Bild oben rechts) die Nachrichtensendung "Zeit im Bild" auf TikTok. Seit dem Start des Kanals im Oktober 2021 erreicht sie mit täglichen News-Videos, Reportagen und speziell für TikTok entwickelten Videoformaten hunderttausende junge Menschen in Österreich. Zuvor war sie Radiojournalistin beim ORF-Jugendsender FM4.

Patrick Swanson leitet das Social Media-Team der ZIB im ORF und ist verantwortlich für die größten News-Auftritte auf Social Media in Österreich. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er innovative Videoformate für ein junges Publikum, etwa die Hochformat-Nachrichtensendung ZIB100 – und jetzt den Auftritt der ZIB auf TikTok.

 

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