Egal, ob Zeitschriften oder Zeitungen: Verlage sind auf dem Weg hin zu Digitalpublishern. Print ist nicht mehr nur Print, viele Kanäle werden bespielt. Eine immer größere Rolle spielt für die Häuser Social Media, um neue beziehungsweise junge Fans für ihre Marken zu gewinnen. Die Kurzvideo-Plattform TikTok ist auf dem besten Weg, ein relevanter Kanal für Verlage zu werden. Auch, weil sich rund um das Hochkant-Format einiges ändert.
Um sich auf Augenhöhe mit jungen Menschen austauschen zu können, um der "Generation Corona" sorgfältig recherchierte Informationen in passender Form anbieten zu können, unterhält der öffentlich-rechtlichen ORF in Wien seit Oktober 2021 im Team Hosts für die Themen der Nachrichtenmarke „Zeit im Bild“ auf TikTok. Mehr als 400.000 Follower zählt das Angebot auf der Plattform inzwischen. Immer mehr Medienmarken folgen.
Der gemeinsame TikTok-Auftritt der Wochenzeitung Zeit und ihrer Online-Tochter etwa vereint eine hohe fünfstellige Follower-Zahl auf sich. Sehr erfolgreiche TikTok-Verlagsadressen wie die Washington Post zählen sogar eine Millionen-Gefolgschaft.
Den Trend, dass sich TikTok auch für Verlagshäuser weg von der bloßen Unterhaltungsplattform zum wichtigen Medium für Nachrichten entwickelt, hatte bereits vor einem Jahr das Team des Oxforder Reuters Institute im jährlich überarbeiteten Digital News Report prognostiziert. Den Studienautor:innen hatten die Managements aus Europa ins Heft diktiert, man setze auf TikTok, um mit News-Inhalten jüngere Zielgruppen hochkant zu erreichen.
Auch geht es vielen Publishern – und auch dem ORF – darum, den Fake News auf der chinesischen Social-Media-Plattform entgegenzuwirken. Dem Report zufolge veröffentlichten 2022 rund die Hälfte (49 Prozent) der Top-Nachrichtenunternehmen weltweit regelmäßig Inhalte auf TikTok.
Im Gegenzug interessieren sich immer mehr User für Nachrichten via TikTok, über das übliche und sehr beliebte Angebot an Entertainment und kurzen Videos hinaus.
Gerade für Teens und Twens nimmt das Social Network in Zeiten von Krisen, Krieg und Klimawandel eine wichtige Rolle als Informationsquelle ein: Rund 30 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nannten in der Mediengewichtungsstudie der Medienanstalten Ende 2022 Soziale Medien als ihre wichtigste Quelle für Nachrichten und Informationen zum aktuellen Zeitgeschehen.
Dabei wies TikTok einen "katapultartigen Anstieg" seiner Inforeichweite bei den 14- bis 19-Jährigen auf: Mit rund 32 Prozent rangierte es auf Platz 1 vor YouTube und Instagram (jeweils rund 29 Prozent). Der Trend hält weiter an.
Seit einiger Zeit wird TikTok dank längerer Videoformate und Live Streams, etwa bei Umfragen, für Publisher relevanter denn je. Daneben hat die ByteDance-Tochter, die erst seit 2018 aktiv ist, als DIE Entertainment-Plattform der Gen Z offenbar ein großes Interesse daran, mehr hochkarätige Inhalte aufzunehmen.
Seit einigen Wochen gehen die Chinesen sogar aktiv auf Publisher zu: TikTok erweiterte sein Angebot Pulse und stellte Anfang Mai ein Tool für Publisher vor, das auch Medienhäuser an Umsätzen aus den Videoausspielungen beteiligen soll. Ein Vorgang, der bislang der Creator-Szene vorbehalten war. Laut einem Bericht der Washington Post begleiten zum Auftakt BuzzFeed, Condé Nast und das TV-Network NBC die neue TikTok-Publisher-Offerte Pulse Premiere. Medienhäuser können dabei Werbung rund um ihre Video-Beiträge schalten; 50 Prozent der Umsätze gehen davon auf ihr Konto.
Wenn Publisher bislang auf TikTok präsent gewesen sind, um den Anschluss an die jüngsten Zielgruppen nicht zu verlieren, so könnte mit Pulse Premiere ein weiterer Grund hinzukommen: Erlöse. Die nötige Reichweite ist bei TikTok schnell garantiert. Der Algorithmus erlaubt es, dass interessante Inhalte selbst an User ausgespielt werden, die den entsprechenden Seiten auf TikTok gar nicht folgen.
Seriöse und qualitativ hochwertige Inhalte mit journalistischen Absender:innen machen wiederum TikTok im Werbemarkt interessanter. Überhaupt steht die Plattform als Werbeumfeld unter reger Beobachtung, versammeln sich doch dort die begehrten jungen Zielgruppen, die klassische Medien nurmehr schwer zu erreichen vermögen.
Auch wenn es nicht DAS Rezept für TikTok gibt und Trends in der Regel sehr kurzlebig sind: Mit einigen Strategien fällt es leichter, die Gen Z über die Trend-Plattform Nummer eins zu erreichen. Neben der Zusammenarbeit mit bereits etablierten TikTok-Creatorn sorgt die Etablierung eigener junger Aushängeschilder, wie es die ORF-Redaktion von ZiB vormacht, dafür, dass Inhalte gemäß den Redaktionsstatuten auch im Social Web zu sehen sind.
Daneben häufen sich Publisher, die klar auf soziale Medien und die Gen Z ausgerichtet sind. @NowThis etwa zählt mehr als 6,1 Millionen TikTok-Fans. Das französische @Brut. wächst schnell mit Beträgen für unter 35-Jährige (4,4 Millionen Follower), die die Interessen der Zielgruppe klug bedienen:
Da Videos auch an Nicht-Follower ausgespielt werden, haben Absender:innen mit wenigen Fans im inhalteorientierten Algorithmus die gleichen Chancen auf Sichtbarkeit: Bei Publisher nach Engagement führte @NBC News 2022 die Liste mit durchschnittlich mehr als einer Million Views pro Post an, stand aber bei den Fans bei weitem nicht auf Platz 1 (aktuell: 4,2 Millionen Follower). Letztlich entscheidet der Inhalt.
Bedenken gegenüber dem Social Network aus China verhehlen viele Publisher nicht; Tonalität und Eigner sorgen in der westlichen Welt immer wieder für Diskussionen, in einigen Ländern sogar zu Verboten der Plattform.
Doch wie eingangs erwähnt, sehen sich seriöse Anbieter zunehmend berufen, den Desinformationen im Video-Reigen etwas entgegenzusetzen. In erster Linie sind Publisher auf TikTok aktiv, weil sie nur so ein jüngeres Publikum ansprechen können. An mehr als einer Milliarde Nutzer:innen weltweit kommen Medienhäuser nicht vorbei.
Auch stellt TikTok nach monatlicher Nutzungsdauer die Social-Media-Konkurrenz in den Schatten. Laut dem Digital Report der Agenturen We Are Social und Meltwater vom Februar beschäftigen die Chinesen die Deutschen im Schnitt einen Tag pro Monat, gefolgt von WhatsApp (im Schnitt 11 Stunden pro Monat), knapp gefolgt von YouTube. Facebook summiert durchschnittlich von 10,5 Stunden auf sich, Meta-Schwester Instagram 8,5 Stunden.
Dass auch deutsche Zielgruppen gegenüber Angeboten der Publisher aus dem Netz und aus den Social Networks aufgeschlossen sind, belegen diverse Studien. Im März etwa legte die Zeitungsmarktforschung Gesellschaft (ZMG) im Auftrag des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) die aktualisierte Studie „Zeitungsqualitäten 2023“ vor.
Demnach sind Zeitungen heute mit vielfältigen Digital-, Audio- und App-Angeboten nach Ansicht von 80 Prozent der User modern und zeitgemäß aufgestellt. Diese Zusatzangebote seien auch ein Türöffner zu Zielgruppen, die mit dem Printtitel bislang nicht erreicht wurden, heißt es. „So sind 46 Prozent der bisherigen Nichtleser durchaus an Apps mit aktuellen Nachrichten interessiert, 43 Prozent möchten die Webangebote der Zeitungen nutzen, rund ein Drittel ist aufgeschlossen für Social Media-, Video- oder Podcast-Angebote“, so das ZMG-Werk.
Die „Kolleg:innen“ aus den deutschen Zeitschriftenverlagen wollen ebenfalls mit mehr Digitalgeschäft Umsatzrückgänge bei Werbung und Vertrieb abfedern. Deren Medienverband der freien Presse (MVFP) hat gerade deutliche Umsatzsteigerungen bei Bezahlinhalten ("Paid Content" plus 17 Prozent), im digitalen Werbegeschäft (plus 16 Prozent) und im Digital-Vertrieb (plus 12 Prozent) verkündet.
Um den Umsatz zu steigern, planen laut MVP-Trendumfrage 56 Prozent der deutschen Publisher, neue journalistische Digitalangebote auf den Markt zu bringen, 49 Prozent wollen neue Audioangebote und 31 Prozent neue Videoformate wie Short Clips starten.
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