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Retro-Trend im TV: "Etwas mediale Wärme von damals"

Geschrieben von Susanne Herrmann | 17. März 2022

"Wetten, dass …?", "TV total", "Geh aufs Ganze", "7 Tage, 7 Köpfe" und "Der Preis ist heiß": Die großen Senderfamilien, von öffentlich-rechtlich bis privat, sind im Klassik-Modus und setzen auf Nostalgie. Und tatsächlich gehörte die (damals noch einmalig gedachte) Neuauflage von "Wetten, dass …?" zu den erfolgreichsten TV-Shows 2021.
Die Neuauflage früherer Hits mag zum einen mit der Corona-Pandemie zu tun haben, die das Bedürfnis nach Vertrautem und nach Sicherheit verstärkt. Zum anderen spielt die Streaming-Konkurrenz dabei eine Rolle. Wie die Retro-Welle einzuschätzen ist und welche Risiken sie birgt, haben wir einen Programm-Kenner gefragt: Philipp Schulze, Chefredakteur von TV Spielfilm, TV Today, der Filmzeitschrift Cinema und des SerienMagazin bei Burda.

 

Herr Schulze, was war Ihr erster Gedanke dazu, dass die großen Sender ihre abgesetzten Erfolgsformate wieder ins Programm bringen?

Mein erster Gedanke war: Och nö. Nicht schon wieder.

Allerdings kennen wir im Kinobereich ja auch schon lange das Phänomen der Fortsetzungen und Reboots, auch das wird es immer (wieder) geben.

Und nachdem Sie sich dann damit auseinandergesetzt hatten?

Man setzt auf Altbewährtes und kurbelt die Retromaschine an. Bei fiktionalen Formaten wie zum Beispiel "Stranger Things" auf Netflix funktioniert das ja auch bestens. Man spricht damit jene Zielgruppe an, die damals als Kind oder Jugendlicher diese Formate geschaut hat und sich nun an die gute, alte Zeit erinnert.

Gerade in diesen unruhigen Zeiten scheint etwas Vertrautes, etwas mediale Wärme von damals anzukommen. Außerdem haben diese Shows auch etwas Entschleunigendes an sich.

 

Philipp Schulze (Foto: Hubert Burda Media)

 

Wird es den Sendern den gewünschten Effekt bescheren?

Ich denke nicht, dass alle Formate überleben werden. Bei "7 Tage, 7 Köpfe" kommt es vor allen Dingen auf die Zusammensetzung der Gäste und ihre Chemie an. Die Gefahr im Vergleich zu früher ist, dass die Zuschauer viel schneller umschalten und genervt sind. Das Angebot an alternativen Formaten ist durch das Streaming größer denn je.

Außerdem ist es wie bei vielen Retroeffekten: Manchmal muss man einfach zugeben, dass manches Format sich überlebt hat oder doch nicht so toll war, wie man es (verklärt) in Erinnerung hat.  

Haben die großen Senderfamilien es überhaupt nötig, auf ihre „Greatest Hits“ zurückzugreifen? Trotz Netflix und Amazon Prime Video sowie zahlreicher weiterer abo- und werbefinanzierter Angebote geht es dem linearen Fernsehen ja vergleichsweise gut; die größten Nutzerzahlen haben immer noch die klassischen Sender.

Das stimmt wohl. Aber Dienste wie Amazon Prime Video konzentrieren sich ja schon lange nicht mehr allein auf Filme und Serien. Sport, Dokus und Shows, siehe "LoL" mit Bully Herbig, werden dort immer bedeutender – und erfolgreicher.

Shows sind ja eigentlich die Königsdisziplin der Fernsehsender. Eigentlich. Der Konkurrenzdruck ist enorm.

 

  Sender Reichweite in Mio.
(14-49)
Vergleich zum Vorjahr
The Masked Singer ProSieben 1,88 - 20 %
heute-show ZDF 1,55 unv.
Let's Dance RTL 1,52 - 16 %
TV Total ProSieben 1,46 neu
Deutschland sucht den Superstar RTL 1,35 - 12 %
Wer stiehlt mir die Show? ProSieben 1,22 neu
Klein gegen Groß Das Erste 1,21 + 3 %
Wer weiß denn sowas XXL? Das Erste 1.20 + 23 %
ZDF Magazin Royale ZDF 1,20 - 11 %
Joko & Klaas gegen ProSieben ProSieben 1,19 - 1 %

Die erfolgreichste Show 2021 war "Wetten, dass …?": 4,64 Mio. der 14- bis 49-Jährigen schauten zu.
Die regulären Show-Reihen kommen da nicht ran. (Quelle: AGF Videoforschung,
dwdl.de)

 

Welche Risiken birgt das Vorgehen, alte Hits aufzuwärmen? Das ist ja in der Vergangenheit durchaus schon mal schiefgegangen, etwa mit den Neuauflagen von "Dalli Dalli".

Es muss gelingen, das alte Konzept aufzufrischen. Für eine neue Zielgruppe. Mit modernen Themen, vielleicht anarchischer, gegen den Strich gebürstet und vor allen Dingen dürfen die Sender keine Angst haben, anzuecken.

Und seien wir mal ehrlich: Die einmalige Neuauflage von "Wetten, dass …?" war vielleicht auch deshalb solch ein Quotenerfolg, weil sie einmalig sein sollte. Dass nach dem Quotenerfolg jetzt über weitere Shows nachgedacht wird, ist nachvollziehbar, aber es bleibt eher fraglich, ob das wieder funktioniert. Zumal Thomas Gottschalk inzwischen (erfolgreich) in Formaten wie "Wer stiehlt mir die Show?" und "Denn sie wissen nicht, was passiert" bei der privaten Konkurrenz auftaucht.

Und es hängt sehr an den Beteiligten: "TV total" funktioniert als Neuauflage auch (ansatzweise) deshalb, weil man mit Sebastian Pufpaff einen adäquaten Ersatz für Stefan Raab gefunden hat.

Können wir auch mal wieder mit neuen Ideen rechnen, die sich durchsetzen? Wo wird also die Entwicklung hingehen? 

Die Erfahrung zeigt, dass fast alles, was an neuen Formaten in Deutschland ausprobiert wird, als Lizenz aus dem Ausland kommt. Und mit einem solchen Erfolg, wie es zum Beispiel „Bares für Rares“ ist, hätte im Vorfeld wohl kaum jemand gerechnet. Vielleicht gibt es irgendwann auch wieder ein "Zimmer frei“, das niemand auf dem Zettel hatte …

 

Zur Person: 

Philipp Schulze ist Chefredakteur der Programmies und Filmmagazine bei Hubert Burda Media. Schon während seines Studiums (Geschichte, Soziologie und Archäologie) arbeitete er u. a. für Die Welt und TV Movie, bevor er als Volontär bei Cinema anfing. Seit 2018 leitet er die Zeitschrift, Ende 2019 übernahm er zusätzlich die Chefredaktion der Programmzeitschriften TV Spielfilm, TV Today und TV Schlau. Außerdem gründete er für Hubert Burda Media das Center of Competence für Film und Serien.

 

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