Bestimmte Rollenbilder halten sich hartnäckig, auch wenn in Marketing und Medien inzwischen eine diversere Darstellung von Frauen eingesetzt wird. Die positiven Entwicklungen, aber auch das recht einseitige "Jugenddiktat" für Reklame und Fernsehen waren Themen, die im Rahmen der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN zur Diskussion standen. Tenor: auf den ersten Blick okay, aber im Detail immer noch "zum Gruseln".
Die Frau, das unbekannte Wesen? Für Kristina Bonitz ist es „unverständlich, dass viele Unternehmen noch immer keine Ahnung haben, was Frauen wünschen und welche Bedürfnisse sie haben“. Die Geschäftsführerin der Berliner Strategieberatungsagentur Diffferent führte im Rahmen einer Diskussion rund um feministisches Marketing bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN als warnendes Beispiel den Niedergang der US-Firma Tupperware an. Die Firma sei abgestürzt, „weil komplett ignoriert wurde, dass es das Hausfrauenbild, das Tupperware propagierte, gar nicht mehr gibt“, so Bonitz bei den #MTM23.
Der gesellschaftliche Wandel gehe in die richtige Richtung, für viele Unternehmen bestehe allerdings immer noch ein „blind spot“. Als Beispiel nannte die Marketing-Fachfrau die Pharma-Branche: 30 Prozent der Medikamente, die von Frauen eingenommen würden, würden gar nicht an Frauen getestet. Ein weiteres Beispiel seien Finanzprodukte, die maßgeblich für männliche Bedürfnisse und Lebensläufe designt würden. „Entscheidend ist dabei, ob ich nur die Kommunikation rosa anpinsele oder wirklich die Bedürfnisse der Zielgruppe anspreche“, unterstrich Kristina Bonitz.
Für Almut Schnerring, Mit-Autorin des Buches „Die Rosa-Hellblau-Falle“ und Gendermarketing-Expertin, ist Werbung bei weitem noch nicht divers genug: „Die Mehrheit denkt, wir seien längst weiter, und urteilen dabei aus dem Baugefühl heraus. Schaut man allerdings genauer hin, dann ist das schon zum Gruseln.“
Bereits ein Blick ins Kinderzimmer zeige die tradierte binäre Hellblau-rosa-Welt. Und in der Werbung würden Frauen noch immer überwiegend in einer fürsorglichen Rolle abgebildet oder seien ab einem bestimmten Alter gleich völlig unsichtbar. „Mein größter Kritikpunkt ist, dass das Phänomen Gender Care Gap die Hauptursache für alle anderen Gaps ist und dies maßgeblich auch über die starken Bilder in der Werbung gefördert wird“, sagte Schnerring bei der MEDIENTAGE-Diskussion.
Michaela Ernst, Chefredakteurin und Co-Founderin von SHEconomy Wirtschaftsmedien in Wien, sieht allerdings auch positive Entwicklungen: „Sprache spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der Wirtschaft, so wird in Recruiting-Verfahren immer stärker so formuliert, um gezielt Frauen anzusprechen. Das setzt sich bis in die Werbung fort.“ Getrieben werde diese Entwicklung durch den auch in Österreich herrschenden Fachkräftemangel.
Michaela Ernst ist Mit-Begründerin, Chefredakteurin und Gesellschafterin des österreichischen Wirtschaftsmagazins für Frauen „Sheconomy. Die neuen Seiten der Wirtschaft“ (Fortot: Medien.Bayern GmbH)
Das Frauenbild an sich in Werbung und Medien ist das eine, die weibliche Sichtbarkeit von Frauen jenseits von 47 das andere. Sat.1-Chefredakteurin Juliane Eßling räumte bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN im House of Communication in puncto Frauenbild Fortschritte im deutschen TV-Geschäft ein.
Die privatwirtschaftlichen Programmanbieter hätten die werberelevante Zielgruppe um zehn Jahre auf die 14- bis 59-Jährigen erweitert. Frauen wie die Fernsehmoderatorinnen Marlene Lufen und Katja Burkhard oder die Schauspielerin Katja Heinrich repräsentierten „tolle Role Models“. Sat.1 habe die Moderatorin Birgit Schrowange für „Birgits starke Frauen“ zurückgeholt, so Eßling. Obwohl das Format im Juni 2022 abgesetzt wurde, wollte die Sat.1-Managerin das Format nicht als Misserfolg werten.
Angesprochen auf die Programmstrategie von Sat.1 mit stärkerem Fokus auf ein weiblich geprägtes Programm für die 40- bis 65-Jährigen, entgegnete Juliane Eßling, dass sich Frauen grundsätzlich für alle Themenbereiche interessierten. Sendeplatz, Storyline und Qualität des Formats bestimmten maßgeblich den Publikumserfolg. Sie wehre sich gegen so genannte Frauenthemen wie die Wechseljahre und hinterfragte grundsätzlich, wie „eine Frau über 50“ denn auszusehen habe.
Erst junge Frau, dann Oma – gerade Frauen in ihrer zweiten Lebenshälfte werden entweder kaum in den Medien wahrgenommen oder klischeehaft dargestellt. Warum Frauen unter dem medialen „Jugenddiktat“ stärker als Männer leiden, darüber sprach bei den #MTM23 die Journalistin Senta Krasser auch mit Marijke Amado (Foto ganz oben; Medien.Bayern GmbH) und Silke Burmester.
Als Amado 1978 als Assistentin von TV-Showmaster Rudi Carrell – nach ihren Angaben ein „saublöder Job“ – in das deutsche Showgeschäft einstieg, hätten noch „Machos“ die Studios dominiert, berichtete die Moderatorin. Amado war danach Teil des Moderator:innen-Teams der Sendung „WWF Club“ im WDR. Von 1990 bis 1998 präsentierte sie die „Mini Playback Show“ von RTL. In der letzten Staffel 1998 wurde sie durch die deutlich jüngere Jasmin Wagner, auch bekannt als Sängerin „Blümchen“, ersetzt.
Seitdem habe sich vieles geändert, berichtete Marijke Amado. Obwohl viele Unterhaltungschefs heute noch jüngere Akteurinnen bevorzugen würden, gebe es viele Fortschritte. Während sie noch um die Sichtbarkeit von Frauen hätte kämpfen müssen, arbeiteten diese heute in allen Bereichen, zum Beispiel als Kamerafrau. Auch die Umgangssprache am Set habe sich verbessert. Die Moderatorin, die im Februar 70 Jahre alt wird, wünscht sich mehr Austausch zwischen den Generationen und forderte, dass Medien die Lebenswelt aller Frauen abbilden sollten.
Die Publizistin und Autorin Silke Burmester sah die Situation kritischer. Sie warf insbesondere den öffentlich-rechtlichen Programmanbietern vor, sie würden Frauen in ihrer Altersgruppe klischeehaft darstellen: als „Kümmerin“, zum Beispiel als Tierärztin oder Mutter, oder als verlassen und traurig. Weil sie mit Ende 40 in ihrem Beruf als Journalistin und Dozentin keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr gesehen habe, gründete sie 2021 das Onlinemagazin Palais F*luxx für Frauen ab 47 Jahren. Es soll die Erfahrungen, Sehnsüchte und Ideen von Frauen in den Wechseljahren widerspiegeln.
Mit der Schauspielerin Gesine Cukrowski hat Burmester zudem die Initiative „Let's Change the Picture!“ gegründet, die 2023 mit dem Ehrenpreis des Deutschen Schauspielpreises ausgezeichnet wurde; aktuell hat das ZDF-Team von „aspekte“ mit Cukrowski und Maren Kroymann über das Altern vor der Kamera gesprochen.
Silke Burmester sagte abschließend bei den #MTM23, dass die Gesellschaft keine wirkliche Vorstellung von Frauen im Alter zwischen 50 und 56 Jahren habe. Danach würden ältere Frauen erst wieder unter dem Klischee der „Oma“ öffentlich wahrgenommen ...
Bei den 37. MEDIENTAGEN MÜNCHEN lag der Frauenanteil bei den Speakern bei gut 47 Prozent. (Foto: Medien.Bayern GmbH)
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.