Bernhard Müller möchte, dass Verlagshäuser und Publisher ihre Leserschaft kennenlernen, behalten – und mit ihnen Geld verdienen. Dass sie dabei sogar noch ihre Leser:innen zufriedenstellen können, klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Der Baustein, den Müller und seine Firma Centi dafür anbieten, heißt Micropayment. Ein Thema, das viele Medienhäuser meiden. Verlage sind längst zu Digital-Publishern geworden und wissen, dass Onlineinhalte nicht mehr ausschließlich kostenlos publiziert werden können. Dennoch haben laut BDZV von 598 Zeitungen lediglich 178 Paid-Content-Angebote. Und Digitalabos allein lassen noch viel Umsatz liegen – und verprellen so manche Gelegenheits-Leser:innen. Pay-per-Article-Modelle sind rar.
Das Schweizer Unternehmen Centi will die Zurückhaltung der Medienunternehmen überwinden – mit einem Micropayment-Ansatz auf Blockchain-Basis. Warum das viel leichter ist, als gedacht, und was die Publisher davon haben, schildert General Manager Bernhard Müller im Interview mit dem Blog der Medientage München.
Herr Müller, Leser:innen vertrauen Zeitungsmarken, auch online, wollen sich aber nicht immer gleich mit einem Abonnement binden. Das klingt doch nach besten Voraussetzungen für den Einzelverkauf von Artikeln – und doch bieten die meisten Medienhäuser kein Pay-per-Article an. Was hindert die Verlage?
Zum einen wird argumentiert, dass man mit Pay-per-Article den Abonnent:innenstamm kannibalisieren könnte. Zum anderen werden technische Hürden oder zu hohe Transaktionsgebühren genannt. Es ist spannend, weil viele Medienhäuser – über den Verkauf der physischen Ausgabe am Kiosk etwa – bereits Leser:innen die Möglichkeit bieten, Artikel ohne Abschluss eines Abonnements zu lesen, und dort die Kannibalisierungseffekte nicht fürchten. Online hingegen möchte man diese Möglichkeit nicht bieten, was aus Lesersicht sehr zu bedauern ist.
Wir denken, dass Angst prinzipiell ein schlechter Ratgeber ist und man stattdessen die neuen Umsatzmöglichkeiten, die sich durch den Einsatz neuer Technologie ergeben, proaktiv nutzen sollte. Wir sind etwa überzeugt, dass die Verlagshäuser mit dem Angebot von Pay-per-Article auch Leser:innen zu Neuabonnent:innen machen können. Die anderen Argumente bezüglich technischer Implementierung und Transaktionsgebühren haben wir bei der Ausgestaltung unseres Angebots in den Mittelpunkt gestellt und können hier sehr interessante Angebote machen.
Die Publisher können mit den Zahlungsbereiten interagieren – zum Beispiel Abo-Rabatte für Wiederholer:innen anbieten. (Quelle: Centi)
Wie kann das Micropayment-System von Centi diese Hürden abbauen?
Zum einem können sich Medienhäuser mit unserer Pay-per-Article-Lösung einen neuen Umsatzkanal erschließen. Wir haben die Lösung dabei bewusst auch so gestaltet, dass das Medienhaus mit dieser Leser:innengruppe in Austausch treten kann.
Wird beispielsweise festgestellt, dass ein Leser besonders eifrig einzelne Artikel bezieht, kann er auf Promotionsangebote aufmerksam gemacht werden, mit dem Ziel, ihn als Neuabonnent zu gewinnen. Und aus dem Event-Bereich bringen wir die Erfahrung mit, dass es eine einfache technische Lösung braucht, die es Leser:innen genau wie Festivalbesucher:innen ermöglicht, mit Angeboten zu interagieren. Wenn also eine Leserin sich beispielsweise für bestimmte Artikel interessiert, können ihr Coupons von relevanten Angeboten direkt in die Wallet gelegt werden, was völlig neue Möglichkeiten für Werbungtreibende und Medien bietet.
Bezüglich der Transaktionskosten berechnet Centi keine Mindestgebühr, sondern das Angebot ist flat 1 Prozent Gebühr, egal wie hoch die Transaktion ist. Andere Kosten fallen keine an. In technischer Hinsicht haben wir unsere Lösung so gebaut, dass diese mit sehr wenig Aufwand in bestehende Paywall-Systeme eingebaut werden kann.
So sieht der Ablauf aus: Centi ist den Publishern zugänglich – und unkompliziert für die Leser (Quelle: Centi)
Wie implementieren die Publisher das Bezahlsystem Centi?
Der Aufwand ist sehr klein für Verlage, die ihre Website selber kontrollieren. Bei der Verwendung von Paywall-Systemen ist es so, dass Centi in diese integriert wird.
Hier müssen die Anbieter dieser Paywall-Systeme zunächst überzeugt werden, dass Pay-per-Article eine gute Sache ist, sind die meisten doch recht stur auf das Abo-Geschäft ausgerichtet. Wir haben es nun schon einige Male erlebt, dass Medienhäuser aufgrund der mangelnden Bereitschaft von Paywall-Anbietern Pay-per-Article nicht implementieren konnten, was natürlich sehr bedauerlich ist, schließlich ist es ja die Kernaufgabe dieser Paywall-Anbieter, ihren Kunden Umsätze zu bescheren und eben nicht, diese zu blockieren.
Wie hoch ist der Aufwand für die Leser:innen, die einen Text kaufen wollen?
Hat man die Centi-App bereits, ist der Aufwand sehr klein. QR-Code scannen oder Knopf drücken und in Echtzeit weiterlesen.
Hat man die App noch nicht, lädt man diese herunter und registriert sich mit einer Telefonnummer und E-Mail-Adresse. Danach kann man die App etwa per Paypal mit Euro aufladen und los geht’s. Anbieter können auch Aktionen durchführen, sodass mit Centi eine Erstkonsumation ohne aufladen der Centi-App möglich ist.
Ohne Medienbruch mit Centi Artikel bezahlen: Die Leser:innen laden ein Guthaben auf die Centi-App und erledigen dann alles mit ihrem Benutzernamen, überall einzeln anmelden entfällt. (Quelle: Centi)
Wo liegt die Schmerzgrenze der Leser:innen beim Preis für einen Artikel?
Das ist wirklich sehr abhängig vom Markt und der Qualität des Mediums und hier wurden in der Vergangenheit auch Fehler begangen, etwa weil aufwendige recherchierte Titelgeschichten viel zu günstig verkauft worden sind.
Grundsätzlich raten wir dazu, in der Preisfindung zunächst im oberen Bereich einzusteigen. Beispielsweise wenn die Printausgabe eines Magazins 5 Euro kostet, die Titelgeschichte mit 2,50 bis 3 Euro zu preisen. Alternativ können auch verschiedene Preiskategorien gesetzt werden, für lange, mittlere, kurze Artikel. Oder es kann auch dynamisch ein Preis pro Zeichen gesetzt werden. Interessanterweise kann mit Pay-per-Article auch besonders gut ausgewertet werden, für welche Art der Artikel die Zahlungsbereitschaft am höchsten ist, was je nach Medientitel durchaus individuell sein kann. Die Medienhäuser bekommen so ein Gefühl dafür, was gerade die Leserkategorie der Nicht-Abonnent:innen besonders interessiert, und können das in ihren Publikationen entsprechend berücksichtigen.
Die Zahlungsbereitschaft der Leser:innen ist zum Beispiel bei detaillierten Testberichten für Fahrzeuge und andere Produkte, die mit Anschaffungen und Entscheidungen verbunden sind, sehr hoch. Auch wenn Nischeninteressen gut getroffen werden, was dank News-Aggregatoren wie Google heute immer mehr der Fall ist, denn die angezeigten Artikel sind genau auf die Person abgestimmt.
Wie sehen Ihre strategischen Ziele mit Centi aus?
Unser Angebot ist seit Mai voll verfügbar und wir arbeiten mit zahlreichen Medienhäusern an der Implementierung, Centi ist ja eine Micropayment-Schnittstelle, die völlig industrieagnostisch eingebunden werden kann. Insofern geht es uns insbesondere um die Verbreitung der Centi-App als Basis für die Nutzung.
Mittelfristig wollen wir für eine Vielzahl an Industrien, die für die Monetarisierung ihrer Produkte Micropayments benötigen, die dafür kritische Infrastruktur bereitstellen und dadurch eine Vielzahl von neuen Geschäftsideen ermöglichen, die momentan noch brachliegen, da noch keine Lösung für Micropayments besteht. Wir haben unsere Lösung bewusst so gebaut, dass sie als so genannte Whitelabel-Lösung zur Verfügung steht und somit in vorhandene Lösungen einfach eingebettet werden kann.
Wie grenzen Sie sich ab von Konkurrenten wie Laterpay oder Paypal?
Centi ist eine Payment-API, die sich auf Micropayments spezialisiert hat. Jede Transaktion wird dabei direkt dem Medienhaus gutgeschrieben und nicht in aggregierter Weise wie etwa bei Laterpay. Die Leser:innen bleiben außerdem auf der Website des Medienhauses und werden nicht von dieser weggelotst, wie etwa bei Blendle, die eine Art Netflix für Medienartikel anbieten. Am ehesten ist Centi mit Paypal vergleichbar, hat sich jedoch auf Micropayments spezialisiert und verlangt im Vergleich zu Paypal nur verschwindend geringe Transaktionsgebühren.
Bei Centi bleibt der Leser, die Leserin auf der Website des Medienhauses und generiert dadurch etwa weiter Umsätze durch Werbung, und das Medienhaus hat die Möglichkeit, Einzelartikel-Käufer:innen dediziert auch anzusprechen mit Aktionen etc. und so sogar zu Neuabonnent:innen zu machen. Insofern, um Ihre Frage zu beantworten: Wir sehen gegenwärtig keine andere Lösung, die die Medienhäuser derart befähigt, neue Umsatzkanäle zu öffnen, bei gleichzeitiger Erweiterung der Reichweite und Stärkung der Marke.
Zur Person:
Bernhard Müller ist Gründer und Geschäftsführer von Centi in Zürich. Der studierte Biologe verfolgt schon lange das Thema Blockchain. Und nach gut zehn Jahren im Diagnostikbereich von Roche wechselte der Projektleiter 2018 zu einem Blockchain-Finanzunternehmen in den Bereich Business Development und Compliance. Gemeinsam mit Ralf Zellweger gründete er 2020 Centi.
Das Schweizer Unternehmen bietet Medien, Handel/E-Commerce und für Veranstaltungen ein digitales Bezahlmodell an. Mit dem Ansatz Micropayment und niedrigschwelliger Handhabung wendet sich Centi vor allem an Medien, Handel/E-Commerce und Events. Und zwar selbst für Kleinunternehmungen wie Friseursalons oder für Veranstaltungen von Sportvereinen: Mit Gebühren von 1 Prozent will Centi deutlich konkurrenzfähiger sein als beispielsweise Kreditkartenanbieter. So will Centi Medienanbietern helfen, das hohe Interesse und die Zahlungsbereitschaft in Umsatz zu übertragen.
Die 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN von 18. bis 20. Oktober stehen unter dem Motto „More relevant than ever“. Nach zwei Jahren digitaler und hybrider Umsetzung freuen wir uns auf eine Präsenzveranstaltung – inklusive 400 Speakern, einem Special zu Web3, Expo und der Verleihung des TV- und Streaming-Preises „Blauer Panther“. Den Medientage-Gipfel moderiert Sebastian Pufpaff („TV total“).
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.