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Streaming? TV? Windowing heißt der Content-Plan

Geschrieben von Petra Schwegler | 26. Oktober 2021

Das lineare Fernsehen hat ein neues Selbstbewusstsein entdeckt. Es stürzt sich auf Stärken, die bei der Differenzierung von Netflix und Co. helfen könnten, während die Streaming-Plattformen ihr Angebot immer weiter ausbauen und ausdifferenzieren. Dem halten die TV-Anbieter auch mit eigenen Streaming-Angeboten entgegen. Der TV-Gipfel der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021 macht die neue Haltung deutlich.

 

TV-Marken besetzen zunehmend beide Welten: ITV, börsennotiertes Netzwerk kommerzieller Fernsehanbieter in Großbritannien, verfügt sowohl über einen reichweitenstarken analogen TV-Sender und Streaming-Angebote als auch über eine große, weltweit agierende Produktionssparte. ITV-Chefin Carolyn McCall legt - zugeschaltet per Videocall aus London – im Rahmen des TV-Gipfels der #MTM21.

Dass ihr Unternehmen auf den unterschiedlichsten Ausspielwegen aktiv ist, sieht McCall als großen Vorteil, um herauszufinden, welche Inhalte wo am besten eingesetzt werden können. „Digital first“ sei allerdings nicht die bevorzugte Strategie, auch wenn der digitale Online-Abo-Dienst Britbox derzeit gut aufgestellt sei, und zwar weltweit: in Großbritannien, Südafrika, Australien und Kanada. Weitere Expansionen seien geplant. Ob auch nach Deutschland, das will McCall weder bestätigen noch dementieren.

 

"Es gibt beide Bedürfnisse"

Auch die Gipfel-Runde von deutschen Senderverantwortlichen sieht im Nebeneinander von Live-Ausstrahlung und Streaming-Angeboten kein Problem, zumal alle Teilnehmenden längst sowohl mit linearen als auch non-linearen Ausstrahlungswegen vertraut sind. Warum noch neue lineare Sender starten wie Sky dieses Jahr? Gleich vier Pay-Marken rund um Comedy, Crime und Dokumentation hat die Pay-TV-Plattform neu im Angebot.

Den Grund benennt Elke Walthelm, Executive Vice President Content Sky Deutschland & Managing Director NBC Universal Global Networks Deutschland: Es gibt einen großen Markt für qualitativ hochwertige Inhalte und eine höhere Zahlungsbereitschaft. Beim Publikum für diesen Content. Linear wie on demand, Inhalte für Zuhause, für unterwegs. „Es gibt beide Bedürfnisse – in unterschiedlichen Ausprägungen“, so Walthelm. Und: Bei Sky kommt der Sport stark aus der Pandemie zurück und erlebt nach den Monaten des Stillstands neue Rekorde.

Laut Oliver Köhr, Stellvertretender Programmdirektor der ARD, hat gerade mit der Corona-Phase die Nachfrage nach Inhalten stark zugenommen. Zudem habe die Remote-Phase viel verändert bei der „alten Dame ARD“ – da sei viel zusammengewachsen, neu aufgestellt worden. Die jüngst präsentierte Programmreform der ARD mit einem starken Standbein Mediathek wird geprägt vom neuen Miteinander.

„Wir konzentrieren uns im Umbau der Mediathek auf das, was im Linearen bei jüngeren Zuschauer:innen nicht mehr so funktioniert.“ Im linearen Magazin- oder Infobereich im Ersten solle nicht gekürzt werden, vielmehr solle diese Erfahrung ins Non-Lineare übersetzt werden, versucht Köhr die Wogen rund um die Verwirrung zur Zukunft von Magazinsendungen im Ersten zu glätten. Den Kampf zwischen den Welten zu moderieren falle ihm leichter als nichts zu tun.

 

Digital nicht über alles stellen

Henrik Pabst, Chief Content Officer der Seven.One Entertainment Group, pflichtet seiner Vorrednerin Carolyn McCall, CEO ITV bei, die betont: Digital First heißt nicht, Digital über alles zu stellen. In Unterföhring habe man die vergangenen eineinhalb Jahre genutzt, um die Vielfalt, die auch verwirren könne, zu sortieren. Stichwort: „Windowing“, die orchestrierte Mehrfachverwendung von Inhalten über mehrere Trägermedien. Klar ist: Das Haus steht weiterhin zur flau gestarteten Streaming-Marke Joyn, - „100 Prozent Liebe“ - ,das für ProSiebenSat.1 neue Zielgruppen erschließt.

Pabst fasst die Erfahrungen zusammen: „Es gibt nicht dieses One Size fits it all Modell, das ist einmal mehr bewiesen.“ Er beschwört das Fernsehen, das nach wie vor eine große Strahlkraft habe. Und Streaming sei ein sehr wichtiger Vertriebskanal für Inhalte. „Die einzige Konstante ist der Wandel!“, hebt Pabst hervor.

Für Dr. Henning Tewes, Geschäftsführer, RTL Television und TVNOW, ist Streaming im Denken der Familie angekommen, beide Welten sind zusammengewachsen. Mit TVNOW, das in der nächsten Woche in RTL plus umbenannt werden wird, wolle der Konzern den geänderten Befindlichkeiten der Zuschauer:innen Rechnung tragen: mit deutlich mehr Informationsangeboten im Hauptprogramm und großen „Lagerfeuerelementen“. Man habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass für den Erfolg von TVNOW vor allem die Bequemlichkeit und die Reichhaltigkeit des Angebotes eine große Rolle spielten. Die Inhalte müssten gar nicht so unterschiedlich zum linearen Programm sein. Die Kuppelshow „Der Bachelor“ sei zum Beispiel sowohl im Programm als auch beim Streaming-Portal ein großer Erfolg.

 

Bekenntnis zu allen Plattformen

Nicht einmal Eun-Kyung Park, SVP & General Manager Media (GSA) bei The Walt Disney Company, will allein das boomende Streaming nach vorne stellen. Sie verweist auf den User und seine „unterschiedlichen Verfassungen“. Als Inhaltehaus wolle sich der Konzern nur am Kund:innenwunsch orientieren, der stark variiere. „Daher hat es keinen Sinn, sich aus dem linearen TV-Bereich zurückzuziehen.“ Auch Disney steht zum „Windowing“ auf Basis der genauen Analyse der Bedürfnisse der User. Park: „Es gibt ein klares Bekenntnis zu all unseren Plattformen.“

Einer, der an die Strahlkraft von TV glaubt, ist Claus Strunz, Programmchef BILD bei Axel Springer. Der Senderneustart BILD Live soll dem Urgedanken der Marke gerecht werden, überall zu sein. Ob mit oder ohne den geschassten Ex-BILD-Chefredakteur Julian Reichelt. Auch will Springer am ansehnlichen Marketingtopf der TV-Spendings teilhaben. BILD Live sei ein weiterer wichtiger Vertriebsweg in einer Gesamtmarketingstrategie. „Print finanziert Gegenwart, Fernsehen und Online sollen unsere Zukunft finanzieren.“

Mit dem Sender fühlt sich das Team Strunz komplett, bereit für 24:7. Die „Häme“ über Marktanteile des Senders im Promillebereich nimmt Strunz gelassen und schmunzelnd hin, räumt ein, dass es an manchen Tagen gen Null tendiert. Er zieht sich an den Live-Partien der Marke hoch, die sich mit etablierten Nachrichtensendern schon messen könne, so Strunz.

 

Die hybriden MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021 stehen unter dem Motto "New Perspectives". Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven und Geschäftsmodelle auf.

Tickets für vor Ort und für den Stream sind hier erhältlich! Im Nachgang ist das Programm der #MTM21 vier Wochen on demand abrufbar.


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