Trends, Entwicklungen und Herausforderungen in TV & Streaming haben die Teilnehmenden der 36. Medientage München in diversen Sessions bewegt. Deutlich wurde, dass die VoD-Plattformen inzwischen richtig "Programm" planen, dass Werbung im Stream Einzug hält und dass über alle Grenzen hinweg umweltfreundlicher produziert werden soll.
Das Streaming von Videoinhalten hat einen festen Platz beim Publikum und bei den Anbietern erobert. Mit dem Effekt, dass die „klassischen“ TV-Absender inzwischen stets zweigleisig unterwegs sind. Das „Windowing“, also der Prozess des Abwägens für Inhalte zwischen TV- oder Plattformplatz, ist für Manager wie Sascha Schwingel tägliches Business. Der Deputy Head of TV & Entertainment bei RTL und damit auch zuständig für RTL+ hat viel dazugelernt. „Spannender, relevanter Inhalt“ funktioniere sowohl linear als auch on Demand, sagte Schwingel mit Hinweis auf die Recherche des „Team Wallraff“ über Missstände bei Burger King.
Wie die anderen Teilnehmerinnen des TV & Streaming-Gipfels betonte Schwingel die Wichtigkeit von „Fremdprogrammen“ für seine Plattform: „Das ist mehr als Beimixen.“ So habe man unter anderem die Rechte an der NFL für nächstes Jahr gekauft.
Den richtigen Mix zu finden aus Reality, Dokumentationen und fiktionalen Angeboten, bezeichnete auch Sabine Anger, verantwortliche Managerin bei Paramount+, als besondere Aufgabe. Verstärkt setze man auf eigene Produktionen in allen Bereichen. Sie sollten möglichst relevant für den jeweiligen lokalen Markt sein, aber auch international funktionieren.
„Am Ende funktioniert es nur, wenn es auch für den Kunden funktioniert“, argumentierte Elke Walthelm, Executive Vice President Content bei Sky Deutschland. Es gebe eine große Nachfrage nach Aggregation und leichter Handhabbarkeit für den Kunden. Die Frage „Wo finde ich was?“ sei wichtig. Walthelm nannte neben der Zusammenarbeit mit anderen Produzenten und Anbietern wie HBO auch Eigenproduktionen „sehr wichtig“.
Apropos Kooperation: Selbst das lange autark streamende Netflix wirkte gesprächsbereit. Katja Hofem, Vice President German Original Series für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Netflix, merkte an: „Die Welt hat sich verändert. Joint Forces hilft.“ Die Frage sei: „Was ist die Win-win-Situation bei allen Beteiligten?“
Klar wurde bei den #MTM22 auch: Neue werbefinanzierte Streaming-Angebote fordern alle etablierten Player im Bewegtbildmarkt heraus. Bei einer Veranstaltung der Management- und Strategieberatung Deloitte im Rahmen der Medientage wurde deutlich, dass Mediennutzer:innen in Deutschland aufgeschlossen gegenüber AVoD (Ad-Supported Video on Demand) und FAST (Free-Ad-Supported Video on Demand) sind.
Laut Ralf Esser, Leiter Industry Insights von Deloitte, hat die Digital Consumer Trend Survey 2022 festgestellt, dass 16 Prozent der 2000 Befragten in der deutschen Teilstichprobe Interesse an rein werbefinanziertem Streaming haben, auf der Basis von 10 Minuten Werbung pro Stunde. Kostenreduzierte Abo-Modelle mit 5 Minuten Werbung pro Stunde fanden 15 Prozent der Befragten attraktiv. An werbebasierten Streaming-Angeboten herrscht in Deutschland vor allem bei jüngeren Zielgruppen, insbesondere bei den 18- bis 34-jährigen, wachsendes Interesse.
Sowohl für Stefanie Jäckel, die als Chief Strategy Officer der Ad Alliance unter anderem die Vermarktungsstrategien der RTL-Gruppe verantwortet, als auch für Henrik Papst, Chief Content Officer und Geschäftsführer bei der SevenOne Entertainment Group, zeichnet sich ab, dass sich lineares TV unweigerlich zu einem Angebot unter vielen entwickeln werde. Beide Seiten sahen sich gut dafür gewappnet, attraktive Inhalte crossmedial und partnerschaftlich mit verschiedenen Plattformen zu produzieren und fürchtet die Konkurrenz durch werbebasierte Streaming-Angebote nicht.
Thorsten Gabriel, der als Managing Director der Mediaagentur Mindshare die Seite der Werbungtreibenden vertrat, zeigte sich skeptisch gegenüber den hohen Preisvorstellungen der digitalen Plattformen. Werbungtreibende müssten sich derzeit mit sehr unterschiedlichen Währungen befassen, mit denen die unterschiedlichen Plattformen ihre Reichweiten begründeten. Er stelle weniger neue Budgets, aber die Verschiebung von Budgets in Richtung Video fest. Sowohl Medienunternehmen als auch Vermarkter und Werbetreibende wünschten sich, dass auch die neuen Streaming-Angebote in Deutschland der AGF Videoforschung beitreten und so eine kanal- und plattformübergreifende Reichweitenmetrik ermöglichten.
Für die neuen Werbeumfelder im Bewegtbildmarkt lassen sich die Anbieter aber auch einiges einfallen, weiß man doch aus vielen Jahren des kommerziellen Fernsehens und den Fehlern der Vermarktung in begehrten digitalen Umfeldern.
Rund um das neue werbefinanzierte Video-on-Demand-Angebote Freevee von Amazon erklärte Ryan Pirozzi, Co-Head of Content and Programming Amazon Freevee, im Rahmen der Medientage: „Maßstab in der Entwicklung neuer Services bleiben die Wünsche unserer Kundinnen und Kunden.“ Dabei würden die Zuschauer:innen überrascht sein, wie wenig die Nutzung der Angebote durch Werbung unterbrochen werde. Pro Stunde seien dies nur wenige Minuten. Zudem stelle sei gewährleistet, dass die gleiche Werbung nicht während einer Sendung mehrmals wiederholt werde. Insgesamt steuere man die Werbeeinblendungen anhand des Inhalts der gestreamten Formate. Das bedeutet, dass die Werbeangebote organisch zu den Inhalten der Filme oder Serien passen.
Deutlich wurde bei den #MTM22 aber auch, dass es fürs lineare Fernsehen immer noch viele Fans hat. Viele lassen den guten alten Bekannten einfach gern in ihr Wohnzimmer. Doch wollen wir, dass die großen TV-Senderfamilien ihre „Greatest Hits“ so gehäuft neu auflegen? Zuletzt wurden Unterhaltungsformate wie „TV Total“, „Wetten, dass …?!“, „Der Preis ist heiß“, „Geh aufs Ganze!“, „Richterin Barbara Salesch“, „7 Tage, 7 Köpfe“ zurück ins Fernsehen gebracht. Comebacks von „Britt – der Talk um eins” sowie des Dating-Klassikers „Herzblatt“ sind in der Pipeline.
Häufig werden als Grund für die Retro-Welle die unruhigen Zeiten, in denen sich die Zuschauer:innen nach Vertrautem sehnen, angeführt. Das stellte Prof. Axel Beyer, ehemaliger Unterhaltungschef von WDR und ZDF und heute im Vorsitz des Medien Management Instituts der Hochschule Fresenius, bei den Medientagen in Frage. Der Grund sei für ihn wesentlich banaler. Es mangele an guten neuen Ideen. Deshalb sei „die Wiederholung die wichtigste Ressource des TV“, argumentierte Beyer. Das sei auch wenig verwerflich, denn auch in anderen Gattungen wie Mode, Musik oder Kino sei es üblich, sich aus alten Anleihen zu bedienen. Dennoch dürfe man sich nichts vormachen: Nicht jede Idee lasse sich noch einmal mit einer neuen Schleife verpacken, lautete Beyers Einschätzung.
Hugo Egon Balder, Moderator und TV-Produzent, der ein Comeback der früheren RTL-Erotik-Gameshow „Tutti Frutti“ bei RTL Nitro für sich abgelehnt hat, empfahl den Sendern, sich wirklich gut zu überlegen, mit einer alten Formatidee neu in Serie zu gehen. Der Ansatz „So, jetzt erinnern wir uns alle mal an früher“ könne nicht funktionieren.
Erfreuliches hatten die Sender indes beim Thema Nachhaltigkeit zu berichten. Es finde in der Branche ein generelles Umdenken statt, sagte Sarah Jeschner bei einer Session rund ums grünere Produzieren und Senden. Sie betreut bei RTL Deutschland das Thema Green Productions.
Das ist auch höchste Zeit: Die Zahlen sprechen laut Philip Gassmann, Experte im Bereich Green Film, eine eindeutige Sprache: Die Film- und Fernsehindustrie – Produktion plus Konsumenten – würden mehr CO2 als die gesamte Luftfahrt emittieren. Allein ein 90-minütiger Film verursacht laut Gassmann eine Emission von 100 Tonnen CO2. Inzwischen gebe es viele Anstrengungen, auch bei der Herstellung bewegter Bilder auf den Umweltschutz und die Klimabilanz zu achten. Zahlreiche Sender und Produktionsfirmen hätten eigene Nachhaltigkeits-Initiativen aufgesetzt oder engagieren sich im bundesweiten Arbeitskreis Green Shooting.
„Wir sind eine große Branche, wir können viel bewegen“, sagte Charly Classen, Sportchef von Sky Deutschland, dem Mitveranstalter der Diskussionsrunde. Sky hat sich bereits vor Jahren dem Thema „grüner Drehen“ verschrieben: zunächst im Bereich Fiction, jetzt auch im Bereich Sport. Sky produziert seit Sommer alle Spiele der 1. und 2. Bundesliga klimaneutral. Viel Investment im ersten Schritt. Doch: „Über Zeit gesehen zahlen sich die Investitionen aber aus“, erklärte Sarah Jeschner.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.