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Twitch: "Jede Menge Musik für Medien"

Geschrieben von Lisa Priller-Gebhardt | 21. September 2023

Die Live-Streaming-Plattform Twitch ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Das belegt auch die Sonderanalyse des Online-Video-Monitors 2023 (OVM). Steve Heng, Kommunikations- und Marketingmanager bei Start into Media, über das Phänomen Twitch und warum Medienunter­nehmen den Trend für sich nutzen sollten.

 

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Social-Media-Plattform Twitch hat in den letzten zwei bis drei Jahren einen regelrechten Hype erlebt. Warum?

Während der Corona-Krise haben vor allem junge Menschen das Streamen für sich entdeckt. Auch, weil ihnen die Interaktion gefehlt hat. Diese ist ein wesentliches Merkmal von Twitch, denn die Plattform funktioniert im Wesentlichen wie eine Live-Schalte im Fernsehen. Mit dem Vorteil, dass man sich auch über die Chat-Funktion austauschen kann.

Diese Interaktion vermittelt den Usern das Gefühl, nicht alleine zu sein. Gleichzeitig haben auch viele Influencer das Streamen für sich entdeckt – und damit auch die Möglichkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen.

 

Was macht den besonderen Reiz dieser Live-Streaming-Plattform aus?

Die Zuschauer:innen bekommen durch die Möglichkeit der Interaktion das Gefühl, sich auf Augenhöhe mit den Streamern zu befinden. Es entsteht der Eindruck, sie würden das aus Spaß und nicht aus Profit machen. Obwohl es am Ende natürlich auch darum geht. Aber die Kommunikation und die Wahrnehmung sind eine andere. Die Möglichkeit zum Austausch machen die Ansprache direkter und die Agierenden nahbarer.

Gleichzeitig spielt neben der Interaktion wahrscheinlich auch der Reiz des Voyeurismus eine Rolle. Man schaut anderen bei dem zu, was sie tun. Das geht klar in Richtung von Effekten, die auch Shows wie „Big Brother“ oder „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ erzeugen.

Formate ändern sich nicht, nur die Plattformen.
Steve Heng, SIM

 

Twitch ist mit Gaming groß geworden. Welche anderen Trends begeistern die User?

Zu den großen Trends zählen sicherlich die Challenge-Shows, bei denen Teams Punkte sammeln können. Für viele Fans sind Boxkämpfe oder Fußballevents, wie sie der Influencer Trymacs veranstaltet, echte Highlights.

Millennials kennen diese Eventshows noch von Stefan Raab. Da schauen Millionen live zu. Gleichzeitig nutzt ProSiebenSat.1 die Reichweite von Trymacs, um die eigene Plattform Joyn zu pushen. Auch der deutsche Komiker und ehemalige TV-Star Kaya Yanar ist inzwischen auf Twitch sehr erfolgreich. Man könnte also sagen: Die Formate ändern sich nicht, nur die Plattform.

Neben den großen Trends gibt es auch ungewöhnliche Nischen. Welche sind das?

ASMR ist so eine Nische. Die Abkürzung steht für "Autonomous Sensory Meridian Response". Dabei werden über spezielle Mikros Geräusche aufgenommen und gestreamt. Sanfte Klänge wie Flüstern, Akzente und Knistern sollen ein Wohlgefühl auslösen.

Ein anderes Beispiel sind Landwirte, die Setups in den Mähdrescher einbauen, um live von der Feldarbeit zu streamen.

Dann gibt es die Sleep Streamer, die sich für Geld beim Schlafen stören lassen. Zahlt jemand Donations, dann geht beispielsweise ein Alarm los, der den Schlafenden hochschrecken lässt. Dieses Phänomen speist sich aus der reinen Schadenfreude.

Livestreaming ist im Mainstream angekommen.

Steve Heng, SIM

 

Wie wird es deiner Meinung nach mit Twitch weitergehen?

Das Live-Streaming wird sicherlich weiter wachsen. Ob das tatsächlich auf Twitch der Fall sein wird oder auf Youtube, wo allerdings noch die Chatfunktion verbessert werden muss, bleibt abzuwarten.

Fest steht jedoch, dass Live-Streaming durch Twitch im Mainstream angekommen ist.

 

Birgt Twitch ähnliche Risken wie Youtube & Co?

Ja, denn wie auf allen anderen Kanälen wird das Programm anders als im Fernsehen nicht kuratiert oder permanent überwacht. So hat beispielsweise der Täter von Halle/Saale den Angriff auf die Synagoge gestreamt. Das ist schon ein extremes Beispiel. Aber auch vom Glücksspiel geht Gefahr aus. Die Möglichkeit dazu wurde inzwischen unterbunden.

Generell ist Medienkompetenz seitens der Eltern und Lehrerschaft gefragt, um Kinder und Jugendliche auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Nur so werden sie fit fürs Internet.

 

Sollten Medienunternehmen den Trend Twitch mitmachen?

Auf jeden Fall, aber nur, wenn sie dafür Leute haben, die selbst Teil der Community sind oder streamen.

Die ARD macht den Twitch-Trend mit. Der Mixtalk ist eine Art Podiumsdiskussion, bei der die Community mitdiskutieren kann, beispielsweise zu Themen wie Deutsche Bahn oder den Wohnungsmarkt. Und Arte hat inzwischen über 60.000 Follower, die dabei sind, wenn der Sender Live-Dokus oder Festivals streamt. Für Medienunternehmen steckt also noch jede Menge Musik in dem Thema Twitch.

Die Online-Video-Anbieter sehen laut OVM in der Ansprache neuer Zielgruppen und in der Interaktion die größte Chancen bei der Nutzung von Twitch. (Quelle: BLM/LFK-Online-Video-Monitor 2023)

 

Steckbrief Online-Video-Monitor

 

Key Facts zur Twitch-Sonderanalyse
  • Vier Millionen User in Deutschland nutzen Twitch monatlich.
  • Twitch wird von Gaming-Kanälen dominiert, aber immerhin jeder 10. Kanal hat einen anderen Schwerpunkt: Musik, Lifestyle und Landwirtschaft sind die Top 3 Schwerpunkte im Bereich Non-Gaming.
  • Mehr als drei Viertel der Streamenden sind männlich, nur 16 Prozent sind weiblich.
  • Hohe Professionalisierung: Jede und jeder zweite Gaming-Streamende wird von einer Agentur unterstützt.
  • 93 Prozent der Live-Streaming-Kanäle im deutschen Online-Video-Markt sind bei Twitch angesiedelt.

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