Die Bewegtbild-Branche steckt in turbulenten Zeiten. Impulse, Kontroversen und Diskussionen der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2025 haben zentrale Herausforderungen des TV-, Streaming- und Produktions-Marktes thematisiert: Wie meistern die Anbieter den Wandel? Was leisten Kooperationen, KI und neue Strategien im Kampf um Reichweite und Relevanz? Hier die Übersicht über neue Fakten, Marktzahlen und konkrete Branchenbeispiele aus TV, Streaming und Produktion.
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN 2025 zogen Bilanz über eine Branche, die mit den massivsten Veränderungen seit Bestehen kämpft – und trotzdem gestaltet. Wer im Münchner House of Communication den Entscheider:innen, Streaming-Pionieren, Produzent:innen und Visionär:innen aufmerksam zuhörte, spürte: Die alte Trennung zwischen TV, Streaming, Plattform und Produktion löst sich auf – und an ihre Stelle tritt eine neue Ära der Zusammenarbeit, Berührungspunkte und technologischen Umbrüche.
Evan Shapiro, selbsternannter „Media Universe Cartographer“, zeichnete den Überblick. Er beschrieb die globale Medienlandschaft als „Affinity Economy“ – eine Ökonomie, in der Communities über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Shapiro warnte, dass Big Tech längst die Aufmerksamkeitsschlachten gewonnen habe. Doch er zeigte auch, wo Chancen liegen: Wer seine Zielgruppen versteht, wer Nähe schafft, Communitys einbindet und Daten klug nutzt, bleibe relevant.
Shapiros Botschaft an Europas Medienmanager war klar: Die Kontrolle liegt jetzt beim Publikum, und wer diese Realität ignoriert, verliert.
Damit spiegelte Shapiro das wider, was diverse Sessions der #MTM25 prägte: Medienunternehmen müssen handeln, zusammenarbeiten, experimentieren. Ob Broadcaster, Streamer oder Produzent – sie alle müssen näher rücken, um Reichweite auszubauen, Kosten zu senken und die Sehgewohnheiten neuer Generationen nicht länger den Plattformriesen zu überlassen.
Zur neuen Größenordnung im Web: Laut der aktuellen Ausgabe der ARD/ZDF-Medienstudie von 2025 bleibt YouTube mit 72 Prozent Reichweite die führende Video-Streaming-Plattform in Deutschland (ab 14 Jahren). Die öffentlich-rechtlichen Mediatheken von ARD, ZDF, Arte und 3sat erreichen zusammen über 60 Prozent, knapp vor Netflix und Amazon Prime Video.
Diverse Branchenvertreter:innen verdeutlichten während der MEDIENTAGE, wie ernst es den deutschen Playern mit mehr Zusammenarbeit im Bewegtbild ist. Nicole Agudo Berbel aus dem Haus von ProSiebenSat.1 plädierte für Größe durch Allianzen – aber auch für lokale Identität. Eigenproduktionen wie „The Voice of Germany“ oder „GNTM“ bleiben demnach die zentralen Zugpferde, um die Sendermarken relevant zu halten. Wolfgang Elsässer von CH Media TV ergänzte mit Beispielen: Mit einem Fokus auf Schweizer Inhalte und der Kooperation mit Paramount+ habe die Plattform Oneplus das Abo-Wachstum verdoppelt. „Wir suchen die Partnerschaft, nicht den Wettbewerb“, sagte er – ein Satz, der bei den #MTM25 sinnbildlich für die Stimmung stand.
TV-Gipfel-Diskutant:innen von ProSiebenSat.1, Prime Video, Sky Deutschland, BR und YouTube (Foto: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN)
Dass Kooperation mehr als ein Lippenbekenntnis ist, zeigte der TV-Gipfel. Prime-Video-Chef Christoph Schneider, Sky-COO Elke Walthelm und BR-Intendantin Katja Wildermuth zeigten ein neues Selbstverständnis: Streamer und Sender, Tech und Tradition, ergänzen einander. Schneider erklärte, dass Amazons Video-Plattform zu einer „One-Stopp-Destination“ werden wolle, während Walthelm betonte, dass Bundles und gemeinsame Promotion-Aktionen mit YouTube wertvoll seien.
Die ProSiebenSat.1-Plattform Joyn wiederum bringt Creator-Formate wie „The Race“ vom Web auf den TV-Schirm – eine Rückkopplung, die vor Jahren undenkbar schien. Das neue Ziel lautet: Vielfalt sichern durch Zusammenarbeit, nicht durch Abschottung.
Auch die Auseinandersetzung mit KI durchzog die Panels aus dem TV & Streaming Track der #MTM25. Künstliche Intelligenz wird nach Aussagen von Expert:innen aus TV und Produktion zum Werkzeug menschlicher Kreativität. Statt Angst dominierten Neugier und Pragmatismus. Produzent:innen diskutierten, wie KI Produktionskosten senken und Prozesse beschleunigen kann, ohne dass die erschaffenen Inhalte an Tiefe zu verlieren. Doch sie forderten zugleich klare Rahmenbedingungen – insbesondere im deutschen Produktionsmarkt, der unter Druck steht.
Denn die Filmwirtschaft blickte bei den MEDIENTAGEN in den Abgrund. Claudia Lehmann, Geschäftsführerin von maz & movie, eröffnete eine Session des Forums Filmwirtschaft mit harten Worten: „Es sind bitterböse Zeiten.“ Sinkende Budgets, fehlende Steueranreize, Investitionsunsicherheit – 77 Prozent der Produktionsfirmen in der Produzentenallianz bewerten demnach ihre Lage als schlecht.
Michelle Müntefering, Chefin und Sprecherin der Allianz, drängte auf verlässliche Strukturen und auf politische Planungssicherheit über Legislaturperioden hinaus. Ohne langfristige Investitionspflicht, warnte Michael Hilscher von den Bavaria Studios, drohe Deutschland seine Produktionskompetenz zu verlieren. Die Forderung nach einem Steueranreizmodell wurde so laut wie selten.
Zur Erinnerung: Die geplante Filmförderreform der Bundesregierung setzt auf erhöhte Fördermittel statt Steueranreize. Das ursprünglich vorgesehene Steueranreizmodell wurde verworfen, die Förderung steigt aber für die kommenden vier Jahre von 133 auf 250 Millionen Euro. Statt einer verpflichtenden Investitionsquote wie in Frankreich strebt Deutschland nur eine freiwillige Selbstverpflichtung der Streaming-Dienste an – sehr zur Sorge der Branche, die Planbarkeit und Transparenz vermisst.
Die #MTM25 ließen Zuschauer:innen nicht außen vor. Gerade das Publikum steht im Zentrum der neuen Logik der Synergien. Die Diskussionsrunde rund um Future Video kam zu dem Ergebnis, dass technische Exzellenz längst nicht reicht. User Experience entscheidet über Bleiben oder Kündigen. Studien wie jene von Simon-Kucher zeigten: Es dauert im Schnitt über zehn Minuten, bis Nutzer:innen auf Streaming-Portalen etwas finden. Fehlende Orientierung kostet Reichweite – und Geld.
Josephine Kittner (RTL+) und Natalie Müller-Elmau (ZDF; Foto oben: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) erklärten, wie Algorithmen, Kuration und Datenintelligenz zusammenspielen, um Inhalte sichtbarer zu machen. Das ZDF ging mit algorithmus.zdf.de sogar einen ungewöhnlich transparenten Schritt in Richtung öffentlicher Nachvollziehbarkeit.
Im Sportsegment prägte das Motto „Der Fan im Fokus“ den Diskurs bei den MEDIENTAGEN. Vertreter:innen der Plattform Sky Deutschland, des Kicker-Magazins 11Freunde, des HSV und der Marktforschung Civey zeigten, wie Faninteraktion und Teilhabe Spiele zu Ereignissen machen.
Sky-Sport-EVP Charly Classen sprach vom Switchen zwischen Spielen in Echtzeit, Civey-CEO Janina Mütze forderte mehr Personalisierung der Video-Erlebnisse und Marco Klewenhagen vom Sport-Business-Event SPOBIS erinnerte daran, dass Kommerz und Emotion im Gleichgewicht bleiben müssen. Ihr Konsens: Wer Fans verliert, verliert das Fundament des Geschäfts mit Sport.
Und dann war da noch der Blick über den Atlantik bei den #MTM25. Die Historikerin und Journalistin Annika Brockschmidt analysierte eindrucksvoll, wie massiv der Druck der zweiten Donald-Trump-Regierung auf US-Medien wächst. Der Fall CBS zeige das Muster deutlich. Nach einem Interview mit Ex-Vizepräsidentin Kamala Harris in "60 Minutes" verklagte Trump den Sender wegen angeblicher Manipulation im Rahmen des Wahlkamps; Harris trat für die Wahl als Kandidatin der Demokraten an. Obwohl Rechtsexperten CBS gute Chancen einräumten, zahlte Paramount lieber 16 Millionen Dollar – für Trumps Anwaltskosten und die künftige Presidential Library des obersten Republikaners.
Warum geben mächtige Medienkonzerne so schnell nach? Die Antwort liegt laut Brockschmidt bei der FCC, der mächtigen US-Telekommunikationsbehörde. Unter dem Trump-Vertrauten Brendan Carr müssten Unternehmen wie Paramount um Genehmigungen für Fusionen bangen. Die Botschaft ist klar: Wer sich anlegt, riskiert sein Geschäft. Die Konsequenzen sind sichtbar: CBS beendete die "Late Show with Steven Colbert". Disney setzte Jimmy Kimmel temporär ab. Zwei Formate, die für ihre Trump-Kritik bekannt waren. Zufall?
Historikerin Annika Brockschmidt warnte bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN: Der Unterschied zur ersten Amtszeit Trumps sei gravierend. Damals leisteten Medien noch Widerstand. Heute herrsche präventive Kapitulation. Auch endet der Druck nicht mehr an US-Grenzen: Als der ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen kritisch berichtete, forderte Ex-Botschafter Richard Grenell prompt den Entzug seiner Akkreditierung.
Annika Brockschmidt bei den #MTM25 (Foto: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN)
Bei all den Herausforderungen zeigte die Bewegtbild-Branche mit ihren Vertreter:innen bei den #MTM25, dass sie zwar kämpft, aber handelt. Zudem erfindet sie sich neu, gibt nicht auf. Vielleicht entsteht gerade jetzt, im größten Umbruch seit Jahrzehnten, die Grundlage für ein neues Bewegtbildzeitalter – eines, das Kooperation über Konkurrenz stellt, KI als Werkzeug klug einzusetzen vermag und Authentizität neu definiert.
Ein Fazit könnte lauten: Wer auch in Zukunft senden will, muss jetzt zuhören, verbinden, experimentieren und Bewegung wagen.
Auch wenn die MTM als Konferenz bis zum 21. Oktober 2026 pausieren: Wir bleiben präsent! Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 39. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen im Info-Bereich der MEDIENTAGE-Homepage und auch im MTM-Blog bereit. Bilder für den Download (Quelle: Medien.Bayern GmbH/MEDIENTAGE MÜNCHEN) sind in der Mediathek zu finden.
Zudem können zahlreiche MTM-Themen gehört werden: im Podcast "This is Media NOW".