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Was wir vom Lokalrundfunktag 2021 mitnehmen

Geschrieben von Petra Schwegler | 07. Juli 2021

Etabliert, beliebt, für die Orientierung der Menschen unerlässlich, innovativ doch nach Corona wirtschaftlich geschwächt und auf mehr Zusammenarbeit angewiesen: So könnten die Aussagen zum Status Quo des lokalen Rundfunks im Rahmen des 29. Lokalrundfunktags zusammengefasst werden. Das erstmals hybrid organisierte Event, das aus Nürnberg gestreamt worden ist, hat mit der Reichweitenanalyse FAB 2021 Radio, der Präsentation zahlreicher Best Cases und der Verleihung der BLM-Hörfunk- und Lokalfernsehpreise positive Akzente gesetzt. Auch Nachdenkliches hat die Tagesordnung geprägt. Eine Übersicht.


Die Thesen der Keynote von rheingold-Geschäftsführer Stephan Grünewald hat der #LRFT21 in Nürnberg gleich bestätigt. Der Wissenschaftler hat hervorgehoben, wie sehr Menschen gerade nach der Corona-Krise mit ihren Verunsicherungen und der Verschiebung von Wertevorstellungen Orientierung brauchen. Die Aufgabe, die Grünewald lokalen Medien mitgeben möchte, ist, Menschen aus dieser "Ohnmacht" herauszuführen, ihnen das Gefühl zu geben, gesehen zu werden, im nahen und gut bekannten Umfeld ein Sicherheitsgefühl zu finden.

Dass bayerische Hörer:innen ihren Rundfunk vor Ort schätzen und nutzen, belegen die Zahlen aus der Funkanalyse Bayern 2021 Radio, die von Kantar in Nürnberg präsentiert worden sind.
Die wichtigsten Ergebnisse der FAB 2021 Radio lauten:

  • Knapp drei Millionen (2,97) Menschen hören von Montag bis Freitag täglich im Schnitt mindestens einen lokalen Sender. Das sind 26,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren in Bayern und 30.000 Hörerinnen und Hörer mehr als im Vorjahr – und das, obwohl die Tagesreichweite für das Radiohören gesamt (83,4 Prozent) um einen Prozentpunkt zurückgegangen ist.
  • Das Weniger an mobilem Verhalten hat sich in der FAB 2021 Radio manifestiert. Vor allem Programme für mobile Zielgruppen haben nachgegeben, Zielgruppenangebote dagegen gewinnen Fans.
  • „Audio gesamt verzeichnet einen starken Zuwachs im letzten Jahr, besonders in der Zielgruppe der Jungen“, wie Petra Dittrich von Kantar ausführt. Musik-Streaming und Podcast sei Dank: Die 14- bis 29-Jährigen sind inzwischen die audioaffinste Gruppe.
  • Die Top-5-Stärken des lokalen Radios sind:
    1. Musik
    2. Lokale Informationen
    3. Lokale Events
    4. Veranstaltungshinweise
    5. Verkehrsmeldungen

Best Cases belegen Kreativität im Lokalen

Dass die Macher:innen mit neuen und vor allem digitalen Tools und Angeboten auf die Bedürfnisse des Publikums eingehen, haben zahlreiche Best Cases belegt, die in Nürnberg präsentiert worden sind. Um nur einige Beispiele zu nennen:

  • Das Today-Modell der Schweizer Mediengruppe CH Media baut auf der Reichweite lokaler Radio- und TV-Stationen auf, um gerade die junge Generation mit Informationen aus ihrem nahen Umfeld zu erreichen. Dabei entstehen die Inhalte in konvergenten Newsrooms, die verzahnt fürs Publishing, für Audio und für regionales Fernsehen produzieren. Christian Ortner von CH Media hat dabei vor allem in der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr 2020 einen "Monsterpeak" bei den Zugriffen auf die Onlineplattformen verzeichnet. Auch hier die Bestätigung der These des Keynote-Speakers Grünewald: Bei globalen Krisen sucht der Mensch Beruhigung und Bestätigung im nahen Umfeld.
  • In der Region Augsburg und Bayerisch Schwaben bündelt IMSÜDEN die beiden Lokalrundfunkstationen hitradio rt1 und Das neue a.tv. Michael Kuckuk von der rt1.media group hebt hervor, dass auch neue Formen der lokalen Vermarktung durch das kluge Zusammenfassen der Inhalte unter einem Dach entstehen. Und: Die Reichweiten der einzelnen Seiten steigen.
  • Patrik Rist, Funkhaus Nürnberg, steht hinter dem Projekt PodYou, einer Plattform für lokale Podcasts. Aus seiner Ansicht eine Offerte mit viel Potenzial: „Das Lokale ist immer wichtig - und das wurde im Podcast bisher total vernachlässigt.“
  • Big Data nützt dem lokalen Rundfunk: Mit dem HbbTV-Rating Monitor, eine Neuentwicklung der bmt, welche durch die BLM unterstützt wird, können TV-Sender jenseits der klassischen und teuren Quotenmessung ihre Reichweiten tagesaktuell ausgewerten. Das Analyse-Tool gibt in Echtzeit Einblicke über die Anzahl, Verweildauer und Empfangswege der zugeschalteten HbbTV-Geräte.
  • Die Digitalisierung bietet lokalen Anbietern neue Möglichkeiten, Erlöse zu generieren. Die Radiocom-Familie bietet etwa die Produktion von Corporate Podcasts an. Zugegriffen hat unter anderem die Polizei: Fürs Recruiting neuer Kolleg:innen hat das Team um Johannes Beitien, Leiter Creative Sales & Digital Marketing Sales bei bigFM, den Podcast "Polizei im Verhör" ins Leben gerufen.
  • Norbert Haimerl, Geschäftsführer des Regional Fernsehens Rosenheim/Oberbayern, hat während der Corona-Lockdowns über das Streaming von Livekonzerten kleiner regionaler Bands ein Ticketmodell entwickelt. Inzwischen ist SUEDSOUND eine Marke und bringt Geld ein, das auch die darbende Musikerszene dringend braucht.
  • Radio Gong 96.3 hat im Frühjahr das erste Corporate Radio für ein externes Unternehmen gestartet. Seither wird den Mitarbeitern der Digitalagentur Ray Sono an den Standorten München, Berlin, Frankfurt und Köln sowie in mehr als 260 Homeoffices der neue Kanal ausgeliefert.
 
So geht Hörerbindung im digitalen Zeitalter

Stichwort digitale Community: Wie sie Hörer:innen und Zuschauer:innen auf sozialen Kanälen hinter ihren Sendern versammeln, haben Niki Fuchs, Head of Marketing & Digital bei radio 88.6, Kathleen Berger, Chefredakteurin bei Radio RST und Torsten Cuck, Head of Digital Content bei TV Oberfranken, präsentiert.

Wichtige Learnings lauten:

  • Mit den sozialen Medien spricht ein Sender wie TV Oberfranken ein jüngeres Publikum an als über den Fernsehkanal.
  • Die Inhalte müssen zum Programm passen und aus der Feder des Kernteams stammen: „Wir machen auf Social Media nur das, was wir On-Air auch machen würden“, beschreibt Kathleen Berger die Strategie.
  • Daneben rät Niki Fuchs: "Der Hörernutzen muss immer im Vordergrund stehen." Die österreichische Marke Radio 88.6 habe aufgehört, Vieles zu tun, und sei stattdessen zum Community Brand Radio geworden. Denn: „Hörerbindung ist Markenbindung.“

Entwicklung des privaten Rundfunks in Bayern

Für Nostalgie im Alten Rathaus hat die Präsentation des BLM-Forschungsprojekts zur Vielfalt im weiß-blauen Medienmarkt gesorgt. Der Sammelband mit den Ergebnissen unter dem Titel „Vielfalt vor Ort“ ist zeitgleich zum Lokalrundfunktag 2021 erschienen. Einer der Zeitzeugen, die Vera Katzenberger und Prof. Dr. Markus Behmer von der Uni Bamberg für das Forschungsprojekt „Entwicklung des privaten Rundfunks in Bayern“ berücksichtigt haben, ist Erwin Huber.

Der CSU-Staatsminister a.D. spricht in Nürnberg von einem „echten Paradigmenwechsel“, als Bayern in den 1980er-Jahren in den privaten Rundfunk eingestiegen ist. Die Einführung habe auch in seiner Partei zu „massiven Verwerfungen“ geführt. Befriedet hat die bayerischen Entscheider damals der Gedanke an eine Innovation: Lokalfunk gab es bis dato noch nicht! Und heute sei Bayern der Medienstandort Nummer 1, blickt der damalige Medienminister Huber zufrieden zurück.

Heute lobt einer seiner Nachfolger, Staatsminister Dr. Florian Herrmann, bei seinen Worten zur Eröffnung der Veranstaltung, den Wert des Lokalfunks: „Die Menschen in Bayern schätzen den Qualitätsjournalismus dahoam. Kein Online-Gigant ersetzt ihre journalistische Arbeit vor Ort. Der lokale Rundfunk hat einen unverzichtbaren Beitrag in der Pandemie geleistet."

 

Es gibt auch Hausaufgaben ...

Eine digitale Masterclass zum Auftakt des Lokalrundfunktags und eine hochkarätig besetzte Talkrunde zum Abschluss des Konferenzteils haben die Anbieter indes an ihre Hausaufgaben erinnert und einen Appell an Gesellschafter und Medienpolitik geschickt.

Markus Adomeit, Geschäftsführer von StreaMonkey, sieht die Gattung Radio als ein Medium mit "handgemachtem Charakter" gut gerüstet, rät aber dazu, als Macher:in am Ball zu bleiben. Sonst würden andere den Audioboom für sich vereinnahmen. Radio bleibt auch aus Sicht von Gesprächsparter Falk Zimmermann, Geschäftsführer von Broadcast Future, ein Medium der Zukunft. Auf Basis anderer Techniken, aber immer noch aus dem Studio. Im Rahmen ihrer Masterclass haben sie den Rat gegeben: Radio muss gut vorbereitet sein, Programmprozesse müssen angepasst, in Technologien sollte investiert werden.

Um dies leisten zu können, sieht Georg Dingler, Gründungsgeschäftsführer von Gong 96.3 in München und heute freier Berater, gerade mit Blick der Corona-bedingten Finanzdelle auch die Gesellschafter hinter den Sendern in der Pflicht: „Wir müssen etwas tun, um unseren Lokalfunk zu retten. Das kommt nicht von selbst, wir müssen darum kämpfen.“ Das System müsse gestützt werden, fordert er in der Abschlussrunde. Willi Schreiner vom Verband Bayerischer Lokalrundfunk (VBL) appelliert an die Anbieter, selbst mehr zu tun, um bei Programmangebot und Vermarktung mit großen Sendern oder gar Digitalkonzern weiter konkurrieren zu können: „Die lokalen Anbieter müssen sich noch viel mehr vernetzen.“

Einen interessanten Aspekt hat Elke Schneiderbanger im Gepäck. Sie ist heute Geschäftsführerin der AS&S, Vermarktungstochter der ARD: Ihre Wurzeln hat die Managerin aber im bayerischen Lokalradio, das aus ihrer Sicht zu Beginn in den 1980er-Jahren "viele Chancen für Frauen" geboten hat. Viele Moderatorinnen, programmverantwortliche Frauen seien damals am Werk gewesen.

Aus diesem Selbstverständnis heraus hat Schneiderbanger ihre Karriere beschritten - über Führungsposten bei Antenne Bayern über Radio NRW bis hin zur ARD-Werbung. Ähnlich wie bei Valerie Weber, die heute WDR-Hörfunkdirektorin ist. Außerdem betont Elke Schneiderbanger, dass das Lokale wichtig bleibe und vielleicht „noch wichtiger“ werde - mit Blick auf die Stadtflucht vieler Menschen, die nun auf dem Land umfassend informiert werden müssten.

 

 

Ein bisschen Nostalgie beim hybriden Lokalrundfunktag

Verabschiedet vom Lokalrundfunktag hat sich unterdessen BLM-Präsident Siegfried Schneider, der sich über seinen letzten LRFT-Auftritt in "kleiner Runde" in physischer Form nach all den digitalen Events freut. Das Motto des Tags, "Innovationen für die digitale Zukunft im Lokalen", nimmt er sehr ernst. Gemeinsam sei es der Branche gelungen, die digitale Transformation voranzutreiben - ohne das Lokale, "unsere Wurzeln", aus den Augen zu verlieren.

Schneider, der auf zehn Jahre an der Spitze der Münchner Medienanstalt zurückblickt und im Herbst das Amt an seinen Nachfolger Dr. Thorsten Schmiege übergibt, bedankt sich bei den Anbietern: "Vergelt's Gott!"

Die Ergebnisse der FAB 2021 Radio sind hier im Detail einsehbar. Gewinner der BLM-Hörfunk- und Lokalfernsehpreise und ihre Beiträge können auf dieser BLM-Seite eingesehen werden.

 

 

Der gestreamte Lokalrundfunktag kann in Gänze abgerufen werden. Hier geht es zum Video! Kernaussagen der Mitwirkenden und Impressionen sind im Liveblog nachzulesen.

 

Die MEDIENTAGE MÜNCHEN finden dieses Jahr vom 25. bis 29. Oktober statt. Sie stehen unter dem Motto New Perspectives. Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven sowie Geschäftsmodelle der Medienanbieter auf. Dazu zählt auch der Audiomarkt.

Du interessierst dich für Themen rund um die Medienbranche? Dann findest du hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes.
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