Medientage München - Blog

Wenn Algorithmen die Demokratie formen

Geschrieben von Petra Schwegler | 04. Dezember 2025

TikTok, Instagram und YouTube bestimmen längst, wie wir Politik wahrnehmen. Doch wer kontrolliert eigentlich die Algorithmen hinter den digitalen Plattformen? Expert:innen lieferten im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2025 überraschende Antworten – und zeigten, warum emotionale Inhalte gewinnen, während sachliche Diskussionen untergehen.

 

Entscheiden heute Social-Media-Plattformen über den Ausgang demokratischer Wahlen? Diese provokante Frage stand im Zentrum mehrerer Debatten bei den #MTM25. Und die Antworten der Expert:innen fielen differenzierter aus, als man zunächst vermuten würde.

 

Die Macht der Emotionen

Der Online Video Monitor 2025 bringt es ans Licht: Im Vorfeld der Bundestagswahl zeigten sich deutliche Unterschiede, wie Parteien die großen Plattformen nutzen. Während die AfD als einzige Partei alle Kanäle bespielt hat – von Facebook über YouTube bis TikTok –, konzentrierten sich andere vor allem auf Facebook und Instagram. Besonders stachen AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht bei Follower-Zahlen und Abonnent:innen heraus.

Doch entscheidender als die bloße Präsenz ist offenbar die Art der Inhalte. Medienforscher Klaus Goldhammer von Goldmedia erklärte bei den MEDIENTAGEN: Emotionale oder emotionalisierende Inhalte in beleidigender oder erniedrigender Tonalität erzielen hohe Reichweiten. Informative, sachlich-reflektierte Themen hingegen werden von den Algorithmen „deutlich seltener ausgespielt“.

Klaus Goldhammer (Foto: Medien.Bayern GmbH / MEDIENTAGE MÜNCHEN) 

 

Technik allein erklärt nicht alles

Andreas Jungherr, Politikwissenschaftler an der Universität Bamberg, warnte bei den #MTM25 jedoch vor zu einfachen Schlussfolgerungen. Der Treiber für Unzufriedenheit und Entscheidungen für politische Ränder liege tiefer, sagt er. Zunächst müsse man nach politischen Antworten auf diese Unzufriedenheit suchen. Social-Media-Plattformen böten diesem politischen Willen nur eine Ausdrucksform.

Anders sah das Markus Beckedahl, Gründer des Zentrums für Digitalrechte und Demokratie. Für ihn liegt die größte Gefahr darin, dass wenige privatwirtschaftliche Konzerne oder gar Einzelpersonen wie Elon Musk eine zu große Macht besitzen. Sie können unreguliert darüber entscheiden, welche Inhalte ein Algorithmus ausspielt. Neben Transparenz der Algorithmen forderte Beckedahl daher vor allem eine Begrenzung von Macht.

 

Regulierung als Antwort?

Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM; Foto: Medien.Bayern GmbH / MEDIENTAGE MÜNCHEN), machte sich im Rahmen der Münchner Medienkonferenz dafür stark, das Regelwerk der alten Rundfunkwelt ins Social-Media-Zeitalter zu übertragen. Ähnlich wie früher Zeiten für TV-Wahlwerbespots ausgewogen verteilt wurden, sollte demnach auch heute der politische Wettbewerb nicht durch verfügbare Ressourcen verzerrt werden.

Doch Beckedahl wies auf „viel Angst unter europäischen Akteuren“ hin. Sie schreckten vor wirksamer Regulierung zurück, weil sie Vergeltungsmaßnahmen des US-Präsidenten fürchteten. Seine Forderung: Europa müsse sich unabhängig von den USA machen und eigene Plattformen schaffen, die automatisch bestehenden Regulatorien unterworfen wären.

 

Was junge Menschen wirklich wollen

Eine Studie der Medien.Bayern-Initiative XPLR: Media in Bavaria zeigte parallel: Kurze, personalisierte Videoinhalte prägen den Alltag junger Menschen. TikTok, Instagram und YouTube sind längst nicht nur Unterhaltung, sondern zunehmend auch Informationsquelle. Klassische Medien verlieren an Relevanz – lineares Fernsehen wird höchstens noch bei Sport-Events oder als soziales Ritual genutzt.

Teresa Katz (HALF MOON STUDIO) und Moritz Mebesius (Condé Nasty; Foto: Medien.Bayern GmbH / MEDIENTAGE MÜNCHEN)

Interessant dabei: Junge Menschen erkennen durchaus die problematische Qualität mancher Inhalte, nutzen aber trotzdem vorrangig Social Media. Von Medienunternehmen erwarten sie Authentizität, Haltung und Orientierung. Inhalte müssten an ihre Lebenswelten anknüpfen, plattformspezifisch erzählt werden und sofort fesseln, empfiehlt das Werk.

 

Desinformation kennt kein Alter

Die Debatte um Desinformation im Rahmen der #MTM25 räumte mit einem Vorurteil auf: Die Empfänglichkeit dafür lässt sich nicht durch das Lebensalter erklären. Professorin Jeanette Hofmann vom Alexander von Humboldt Institut betonte, radikalisierte ältere Menschen gehörten zu einer marginalen Gruppe. Entscheidender seien zwei Faktoren: Bildung auf persönlicher und eine differenzierte Diskurskultur auf gesellschaftlicher Ebene.

Sarah Pohl (Foto: Medien.Bayern GmbH / MEDIENTAGE MÜNCHEN) 


Dr. Sarah Pohl
von der Beratungsstelle ZEBRA berichtete in München aus der Praxis: Betroffene seien häufig nicht mehr mit Faktenchecks zu erreichen. Gute Erfahrungen mache man dagegen mit persönlichen Beratungsgesprächen, die verdrängte oder unbewusste Ursachen herausarbeiten. Menschen, die gehört werden, werden leiser – so ihre Erfahrung.

Sophie Timmermann (Foto oben: Medien.Bayern GmbH / MEDIENTAGE MÜNCHEN), die das Team des CORRECTIV-Faktenchecks leitet, warf eine spannende Frage auf: „Vielleicht sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Debunking nicht mehr reicht“, sagte sie und sprach das so genannte Prebunking an: Gemeinsame Communities von Journalist:innen und engagierten Laien, wie zum Beispiel das Faktenforum von CORRECTIV, bieten Menschen die Möglichkeit, selbst Kompetenzen zum Erkennen von Desinformation zu erlangen. Faktenchecks bzw. Debunking, also Entlarvung, seien indes nur auf der sachlichen Ebene möglich.

 

Appell zur Entschlossenheit

BLM-Präsident Schmiege formulierte am Ende einen klaren Aufruf: Die bisherige Praxis der Regulierung habe gezeigt, dass sich auch die scheinbar Übermächtigen den Vorgaben beugen. Das könne mit der nötigen Entschlossenheit auch im Bereich der Social-Media-Plattformen getan werden.

Neben Machtbegrenzung und Transparenz müsse man die demokratische Öffentlichkeit ganz allgemein stärken, ergänzte Beckedahl. Und Jungherr forderte eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik der EU, um eigene Plattformen zu ermöglichen.

 

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