Die Jungen sind es sowieso – und ältere Zielgruppen folgen: always on. Das Smartphone ist heute Unterhaltungsmedium, Informationsquelle und Kommunikationszentrum. Entsprechend relevant sind soziale Online-Netzwerke, vor allem für die Generation Z und dabei bevorzugt mit Bewegtbild. Wie klassische Medienanbieter ihre Zielgruppen auch über Social Media erreichen können, wieso TikTok der „Place-to-be“ ist und wie sehr soziale Medien inzwischen die Arbeitswelt in den Medien prägen: Darüber sprachen Expert:innen in diversen Sessions der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2023.
„Alles dreht sich um das Handy“: Silke Moser präsentierte bei den #MTM23 Forschungsergebnisse, die belegen, dass die jungen Erwachsenen im Alter zwischen 16 und 26 Jahren rund um die Uhr mobil online sind. Sie wirkt als Corporate Director & Head of Media der Gesellschaft für innovative Marktforschung GIM. Und weiß: „Das Smartphone ist Unterhaltungsmedium, Informationsquelle, Kommunikationszentrum.“ Entsprechend relevant seien soziale Online-Netzwerke für die Generation Z. Das gelte zwar für die meisten Altersgruppen, aber: „YouTube, Instagram und vor allem Snapchat und TikTok werden von jungen Menschen viel mehr als von älteren genutzt“, berichtete die GIM-Expertin.
Videos und Fernsehsendungen würden ebenfalls intensiv via Social Media konsumiert, erklärte Moser. Daher verwundere es kaum, dass die Ergebnisse der GIM-Studie „So tickt Deutschland“ belegten: „Soziale Medien sind eine zweitrangige, aber überdurchschnittlich wichtige Informationsquelle für die Gen Z.“ Ein größerer Anteil als in den anderen Altersgruppen, nämlich 34 Prozent der 16- bis 26-Jährigen, informiere sich demzufolge ausschließlich mit Hilfe sozialer Online-Netzwerke.
Hinsichtlich Medienkompetenz und Bewusstsein für die Gefahren von Desinformation gab Silke Moser aber Entwarnung: Hier seien keine beziehungsweise nur geringe Unterschiede in der Wahrnehmung von Jüngeren und Älteren festzustellen. Und das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit klassischer Medien, verglichen mit Social Media, sei mit 44 Prozent bei den jungen Erwachsenen höher als bei den so genannten Boomern und der Gen X (je 34 Prozent).
Florian Meyer-Hawranek ist Redaktionsleiter von Puls, dem jungen Content-Netzwerk des Bayerischen Rundfunks (BR). Was seinem Redaktionsteam hilft? Die Zielgruppe sei Teil des Teams. Bei Puls machten nicht Boomer Programm für junge Erwachsene, sondern junge Talente produzierten Formate für junge Zuschauer:innen, Diversität inklusive, so der ARD-Manager.
Für das Puls-Konzept brauche es „Mut bei Entscheidungen und Vertrauen in unserem Team“, sagte Meyer-Hawranek bei den MEDIENTAGEN im House of Communication. Er schilderte das an einem Beispiel: Puls habe ein Klimaformat produziert. Dies sei ein wichtiges Thema, mutmaßlich interessant für junge Menschen. „Wir fanden es super“, erzählte der Redaktionsleiter, „es ist aber nicht angekommen in der Zielgruppe. Durch strukturelle Aufbereitung konnten wir sagen: Ok, Cut, wir machen das nicht weiter als eigenes Format.“ Klimathemen fänden sich nun in anderen Puls-Formaten wieder, wenn es passe.
Auf Änderungen in Themeninteressen und in der Zielgruppe müsse schnell reagiert werden. Gelernt habe das Team bei Puls außerdem, dass die Ergebnisse einer intensiven Recherche auf YouTube, aber nicht auf TikTok erschöpfend dargestellt werden sollten und könnten – und dass die Formate auf Augenhöhe mit der jungen Zielgruppe präsentiert werden müssten, so Florian Meyer-Hawranek.
Themen, die immer funktionieren bei der jungen Zielgruppe? Moser und Meyer-Hawranek waren sich bei den #MTM23 einig: Social Media, das sei nicht nur der Ort, wo die Zielgruppe sei, sondern auch als Thema mit am interessantesten. Dort seien, formulierte es Silke Moser, die Lebenswelt der Gen Z, die Trends und die spannenden Influencer: die „Cool Kids“ eben.
Vor allem die Entwicklung von TikTok beobachten die Medienhäuser; Vertreter:innen etablierter Medienunternehmen diskutierten bei den MEDIENTAGEN über die Engagement auf der Kurzvideo-Plattform und brachten Beispiele ihres Engagements nach München mit. Klar wurde: An dieser Entwicklung kommen Medien bei der Ansprache junger Zielgruppen nicht vorbei. Die Nutzung von TikTok ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Laut der Zahlen, die die Plattform jetzt erstmals auch für Deutschland veröffentlicht hat, hat die App hierzulande knapp 21 Millionen monatlich aktive User.
Generell seien es eher Beiträge mit unterhaltendem Charakter. „Themen, die die Zielgruppe direkt ansprechen, funktionieren am besten“, sagte Gudrun Riedl, Leiterin von BR24 Digital. Videos zu Themen wie „Führerschein mit 16“, „Traktor-Berichte“ oder über „Bombendrohungen an Schulen“ finden laut Riedl ein großes Publikum. Alle Expert:innen waren sich darüber einig: Den größten Fehler, den man machen könne, sei, die eigenen Bewegtbildinhalte der anderen Plattformen eins zu eins zu übernehmen. „Was auf Instagram funktioniert, muss noch lange nicht auf TikTok funktionieren“, erklärte Katja Neitemeier, Social-Media-Redakteurin beim Südkurier. Sie kümmert sich zusammen mit ihrer Kollegin Julia Becker um den Channel. „Wir veröffentlichen drei bis vier Videos pro Woche. Für ein Video muss man etwa einen Tag Arbeitszeit rechnen“, sagte Neitemeier.
Auch die Wochenzeitung Die Zeit nutzt die Plattform, um neue Zielgruppen zu gewinnen. „Unsere größte Herausforderung zum Start war, unsere unterschiedlichen Marken von Die Zeit bis Zeit Verbrechen über Zeit Online auf TikTok zu vereinen“, erklärte Mark Heywinkel, Mitglied der Chefredaktion und Leiter der Formatentwicklung bei Zeit Online. So habe man zunächst nicht gedacht, dass beispielsweise Clips mit Sabine Rückert, der stellvertretenden Chefredakteurin des Blattes und Mitherausgeberin von Zeit Verbrechen, so gut funktionieren würden. Auch Themen über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit finden laut Heywinkel viele Fans auf dem TikTok-Kanal von Die Zeit. „Ein Beitrag darüber, warum Kinder von Hartz-IV-Empfängern kein eigenes Geld ansparen können, wurde seinerzeit extrem gut geklickt“, berichtete Heywinkel.
Die ARD nutzt TikTok als Zugang zur jungen Zielgruppe, die sie über das Fernsehen, die Homepage oder auch die App nicht mehr erreicht. Vor fast vier Jahren hat die Tagesschau als erster Nachrichtenkanal in Deutschland den Schritt zu TikTok gewagt – mit humorvollen und trotzdem informativen „News-Snacks für den Pausenhof“, wie die ARD das selbst nennt. Doch es gibt nicht nur Nachrichten im Tagesschau-Feed. Die jungen Zielgruppen erhalten beispielsweise auch Tipps zum Fact-Checking im Social Web. „Unser Angebot hat sich schnell einen Ruf als zuverlässiger Nachrichtenlieferant in den For-You-Feeds erarbeitet“, erklärte Patrick Weinhold, Redaktionsleiter Social Media bei der Tagesschau.
TikTok als der „Place-to-be“ für die Jugend bringe auch große Herausforderungen mit sich, lautete der Tenor auf dem Podium. Zwar arbeitet die ARD nach eigenen Angaben erfolgreich mit TikTok zusammen und kann mit der Plattform Menschen erreichen, zu denen sie ansonsten nur schwer Zugang findet. Doch mache sie auch Kritik an der Plattform bewusst zum Thema und möchte die Zielgruppe mit Informationen zu Fragen wie „Welche Gefahren lauern auf der Social-Media-Plattform?“ oder „Wie funktioniert der Algorithmus?“ sensibilisieren.
Was bei den News-Anbietern allerdings für Unmut sorgt, ist der Umstand, dass es für Nachrichtenbeiträge schwer sei, an die User ausgespielt zu werden, wie Patrick Weinhold sagte. Er verwies dabei auf eine Studie aus den USA, deren Ergebnisse auch auf Deutschland übertragbar seien. Die Untersuchung belege, dass Beiträge nachrichtlicher Natur nur „selten bis kaum“ ausgespielt würden. In der Studie heiße es sogar, TikTok sei ein „News-Wasteland“, sagte Weinhold: „Von 7000 Recommendations waren nur sieben nachrichtlicher Natur und nur ein Video von 800 trug den Hashtag Breaking News.“
Der Tagesschau-Manager plädierte auch deshalb für einen besseren Austausch mit der Plattform. „Mein Wunsch wäre eine Medienallianz mit TikTok, die es uns ermöglicht, unsere Bedürfnisse näherbringen zu dürfen“, sagte Weinhold. Er appellierte auch an die gesellschaftliche und politische Verantwortung von TikTok – mit Blick auf die Menge an Fake-News, die dort verbreitet wird.
Tobias Henning, General Manager für TikTok Germany & Central Eastern Europe, entgegnete (Foto oben rechts, daneben Katja Neitemeier, Mark Heywinkel, Patrick Weinhold und Moderator Helmut van Rinsum; Medien.Bayern GmbH), man tue derzeit alles dafür, Inhalte, die gegen die Guidelines verstoßen, von der Plattform zu entfernen. Weltweit würden sich 40.000 Moderator:innen darum kümmern, Inhalte zu scannen und sie bei Bedarf zu entfernen. „Insgesamt wurden 800.000 Videos heruntergenommen und zahlreiche Live-Streams gestoppt“, bilanzierte Henning.
Weiter Tipps für TikTok-Strategien kamen bei den #MTM23 von Social-Media-Profis:
Wie sehr Social Media auch die Arbeitswelt in den Medien inzwischen prägt, wurde bei einer MEDIENTAGE-Diskussion rund um Recruiting und Nachwuchsarbeit deutlich. Teenager und Heranwachsende hat die dänische Plattform Duckling im Visier. Geschäftsführer Bjarke Calvin Vinding sagte: „Wir wollen die Formate von Instagram und TikTok mit den Zwecken des Journalismus kombinieren.“
Sein Onlinedienst funktioniere daher ähnlich wie Wikipedia, ergänzt um ein Bezahlsystem auf Basis von NTF. Um den Nachwuchs journalistisch zu schulen, bietet „Duckling“ Workshops an Schulen oder eine App an. „Die jungen Leute sind bereits Meister in der Kreation. Wir bringen ihnen das Storytelling ebenso wie die Werte und Ziele des Journalismus bei“, erläuterte Vinding und zeigte dazu einen professionell erstellten Video-Clip, der von einem Zehnjährigen produziert wurde. „Das hätte vor einigen Jahren noch Tausende Euros gekostet.“
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.