Medientage München - Blog

Wenn TV- zu Streaming-Zielgruppen werden

Geschrieben von Lisa Priller-Gebhardt | 12. März 2024

Der konvergente Markt aus TV und Stream fordert die Bewegtbildhäuser heraus. Sowohl bei den Inhalten, als auch bei der Organisation und der Messung.
Karin Immenroth, Chief Data & Analytics Officer, RTL Deutschland über TV- und Stream-Planung – im Interview mit dem Blog der MEDIENTAGE MÜNCHEN und am 24. April 2024 bei dem #MTM SPECIAL Future Video im House of Communication in München.

 

Frau Immenroth, der Bewegtbildmarkt ist extrem dynamisch. Lineares TV, Streaming, Social Video bestimmen die Sehgewohnheiten heute. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung?

Indem wir unsere Content-Angebote verzahnen und unsere Inhalte linear und non-linear verwerten. Das entspricht dem Nutzungsverhalten, bei dem Zuschauer:innen eher nach dem Inhalt und weniger nach dem Ausspielweg wählen. Wir reden von einer Windowing-Strategie, bei der wir Streaming-Neustarts im linearen TV anschieben oder umgekehrt.

Das weckt nicht nur Neugierde, sondern ist mit Blick auf den globalen Wettbewerb ein wirklicher USP. Mit RTL+ erreichen wir non-linear junge Streamer – nicht zuletzt durch den starken Reality-Fokus – und sind damit komplementär zu unseren linearen Sendern aufgestellt. Diese Symbiose aus linear und non-linear treiben wir weiter voran.

Man kann Zuschauer:innen aus dem linearen Programm zu seinem Streaming-Angebot hinführen.

 

Können Sie Beispiele nennen, über welchen Kanal wie und wann welcher Inhalt gesendet beziehungsweise ausgespielt wird?

Neustarts wie "Die Verräter – Vertraue Niemanden", "Sisi" oder "Neues vom Pumuckl" haben wir erst auf RTL+ und dann im Linearen ausgestrahlt, was sowohl für TV als auch Streaming gut funktioniert hat. Beispielsweise haben "Sisi" und "Neues vom Pumuckl" in der Weihnachtszeit für eine positive Abo-Entwicklung gesorgt. Das gilt auch für Brands wie "Das Sommerhaus der Stars", unsere Daily Soaps, „IBES“ und dem Live-Sport.

Aktuellstes Beispiel ist "IBES – Die Stunde danach", die wir im Januar von RTL zu RTL+ verlagert haben, weil im linearen TV die NFL-Übertragung begann. Der Shift hat so gut funktioniert, dass der Ansturm die Erreichbarkeit von RTL+ sogar vorübergehend unmöglich gemacht hat. Das hat uns gezeigt, dass man Zuschauer:innen auch aus dem linearen Programm zu seinem Streaming-Angebot hinführen kann.

 

Wie lassen sich die Videoreichweiten generell mit denen anderer Gattungen stärker aneinander bringen?

Wir beschäftigen uns sehr intensiv damit, wie sich Gattungs-Silos aufbrechen lassen, weil perspektivisch niemand mehr über einzelne Kanäle, sondern nur noch von Bewegtbild spricht. Unter dem Label "CrossOver Evolution" forciert unsere Ad Alliance eine ganzheitliche und kanalübergreifende Vermarktung von Video und sammelt sehr viele Insights, wie sich Gattungen zusammenbringen lassen. Bei Video ist das aufgrund der ähnlichen Charakteristik einfacher. Das auf weitere Gattungen auszuweiten, wird dann Königsdisziplin.

Erstmals werden TV- und Digitalnutzung in einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt, um plattformübergreifende, crossmediale Reichweiten ausweisen zu können.

 

 Die AGF soll mit X-Reach diese diverse Video-Welt abbilden. Wie hilft Ihnen diese neue Cross-Media-Währung weiter?

Als Crossmedia-Haus ist unser Need eine umfängliche Messung sowie transparente und vergleichbare Leistungswerte. Genau das wird X-Reach liefern, und das über Video hinaus, da neben TV und Streaming auch Display-Leistungswerte erhoben werden.

Die Umstellung auf den Marktstandard Bewegtbild und die Erweiterung der Grundgesamtheit um Non-TV-Haushalte ist zeitgemäß und logische Konsequenz Richtung X-Reach. Erstmals werden TV- und Digitalnutzung in einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt, um plattformübergreifende, crossmediale Reichweiten ausweisen zu können. Ein wahrer Datenschatz, der Antworten liefert und für mehr Klarheit sorgt. Das (unter)stützt unsere crossmediale Argumentation.

 

Darüber hinaus erheben Sie eigene Daten, haben dafür sogar ein eigenes Datennetzwerk aufgebaut. Wie werden die Erkenntnisse für die Vermarktung genutzt?

X-Reach ist die Marktlösung. Daneben entwickeln wir eigene Reportings, wie den crossmedialen Leistungsnachweis "Cross Contact Report", fokussiert auf unser Video-Portfolio. Herzstück unserer Data-Aktivitäten ist unser Knowledge Graph, der unsere KI-generierten Metadaten organisiert und strukturiert. Er ist auch Basis für vermarktungsrelevante Datenprodukte, wie beispielsweise dem kontextuellen Targeting. Hierbei geht es um den Zusammenhang zwischen Content-Nutzung und Affinitäten der Nutzenden, was eine relevantere Zielgruppenansprache ermöglicht.

Ergänzt wird der Knowledge Graph von unserem Cross Device Graph, der die Endgeräte eines Haushaltes erfasst und so eine geräte- und gattungsübergreifende Ausspielung von Kampagnen zulässt.

SmartArt soll auf den Videokatalog von RTL+ angewendet werden, um Nutzende visuell so abzuholen, wie es ihren jeweiligen Vorlieben entspricht.

 

 Hyperpersonalisierung ist der Trend schlechthin. Wie setzen Sie die eigenen Daten beispielsweise auch beim Empfehlungsmarketing bei RTL+ ein?

Wir haben beispielsweise vor zwei Jahren angefangen, SmartArt zu entwickeln mit dem Ziel, Nutzende so anzusprechen, dass es ihren persönlichen Interessen entspricht. Perspektivisch soll SmartArt auf den Videokatalog von RTL+ angewendet werden, um Nutzende visuell so abzuholen, wie es ihren jeweiligen Vorlieben entspricht.

Das Interesse wird sich höchstwahrscheinlich steigern, wenn beispielsweise Krimi-Interessierte für "Die Verräter" ein Teaserbild angezeigt bekommen, das die optische Anmutung eines Crime-Formates hat und Fans von Vincent Gross hingegen ein Bild, auf dem der Sänger zu sehen ist.

Solche personalisierten Technologien sind enorm wichtig, damit unsere Inhalte entdeckt und Nutzende länger auf unseren Plattformen verweilen. Denn gesteigerte Nutzung bedeutet im Umkehrschluss auch eine engere Bindung an das Angebot.

 

Zur Person: 
Karin Immenroth (Foto: RTL Deutschland, Pascal Buenning) ist Chief Data & Analytics Officer bei RTL Deutschland. Neben ihrer Verantwortung für die Datenstrategie, Data Science & Data Engineering und Analytics übernimmt sie auch die Leitung für das Thema Künstliche Intelligenz bei RTL Deutschland. Zudem verantwortet sie die Zuschauer-, Markt- und Mediaforschung für das gesamte Unternehmen. Ihr Bereich RTL Data fungiert darüber hinaus als Competence-Center für den Crossmedia-Vermarkter Ad Alliance. Karin Immenroth treibt maßgeblich die Transformation von RTL Deutschland zum führenden tech- und datenbasierten Medienunternehmen voran, wobei die Entwicklung und Ausrichtung von Datenprodukten mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning eine zentrale Rolle spielen.
Darüber hinaus ist Karin Immenroth Geschäftsführerin der BeData GmbH, einem Unternehmen von Bertelsmann. Ihre branchenübergreifende Expertise zeigt sich auch in ihrer Rolle als Stiftungsratsvorsitzende der European netID Foundation seit 2020, Aufsichtsrätin der AGF Videoforschung seit 2019 und Aufsichtsrätin der DocCheck AG seit 2022.
Karin Immenroth verfügt über Master-Abschlüsse in Wirtschaftsinformatik und Kommunikationswissenschaften. Mit ihrer umfassenden Expertise ist Karin Immenroth zudem eine gefragte Speakerin auf nationalen und internationalen Panels und Events sowie an Hochschulen.

 

Hosentaschenfernsehen vs Big Screen: Wie gucken und streamen wir künftig? Welche Trends setzen sich durch? Welche Media- und Business-Modelle sichern zukunftsfähige Content-Strategien fürs (vernetzte)TV, für den Stream, Video on Demand oder auch für Social Video? Welche Player haben mit ihren Technologien und Anwendungen das Sagen? Und wer sind die Gatekeeper von morgen?
Antworten auf diese Fragen gibt das #MTM SPECIAL FUTURE VIDEO 2024. Die Konferenz findet am 24. April 2024 im House of Communication in München statt und widmet sich der Zukunft von Video: ein Tag mit Insights von namhaften Branchenexpert:innen wie Karin Immenroth und wegweisenden Konzepten von Unternehmen aus der Bewegtbildwelt. 


Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.