Corona, Krieg, Inflation: In unsicheren Zeiten kürzt die Werbeindustrie regelmäßig Budgets zusammen. Die ökonomischen Folgen sind bekannt. Die psychologischen sind mindestens genauso spannend: Wie kommt das Schweigen der Marken bei den Verbraucher:innen an?
Nichts zu sagen, geht eigentlich gar nicht. Denn auch wer schweigt, sendet eine Botschaft. Das wusste schon der Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick, der die wichtigste Grundregel menschlicher Kommunikation formuliert hat: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“
In schwierigen Situationen zu schweigen, um nur keinen Fehler zu machen, funktioniert also nicht. Das gilt für die Werbung ebenso wie für den Rest menschlicher Kommunikation. „Wir können nicht nicht werben“, erklärt die Psychologin und Marktforscherin Ines Imdahl. Auch Zurückhaltung oder Schweigen werde wahrgenommen und interpretiert. „Daran, ob Unternehmen werben, wird bemessen, wie es uns allen geht, wie positiv wir in die Zukunft blicken können“, so die Gründerin des Instituts rheingold salon. Werbung vermittele den Menschen Zuversicht und Lösungen. Nicht zu werben heiße dagegen: „Uns geht’s nicht gut, wir haben jetzt andere Probleme.“ Und wenn schon die Großen aufgeben, was kann dann der Einzelne noch ausrichten?
Im Marketing ist der Zusammenhang schon seit Jahren bekannt: Wer in Krisenzeiten aufhört zu werben, steht schlechter da, wenn es wieder aufwärts geht. Schließlich gab es in der Vergangenheit schon eine Reihe von Gelegenheiten, die Auswirkungen von Budgetkürzungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu erforschen: Dotcom-Blase, Finanzkrise, Corona und aktuell den Ukraine-Krieg.
Marken, die Werbung in Krisenzeiten massiv kürzen oder einstellen, verlieren Relevanz, Marktanteile und Umsatz. Die internationale Forschung zum Thema hat die Onlineplattform Out of The Box zusammengestellt. So haben zum Beispiel GfK und Serviceplan über einen Zeitraum von neun Jahren fast 1000 Marken aus dem Bereich Fast Moving Consumer Goods (FMCG) analysiert und dabei zwei Gruppen gebildet: Die einen haben Marktanteile verloren, die anderen gewonnen. Während die Verlierer in der Krise auf die Bremse traten, haben die Gewinner die Mediakosten nicht gekürzt.
Das australische Ehrenberg-Bass Institute hat 70 FMCG-Marken über einen Zeitraum von zwanzig Jahren untersucht. In 57 Fällen wurde die Werbung für mindestens ein Jahr gestoppt. Die Marken, die aufgehört haben zu werben, mussten massive Umsatzrückgänge verkraften. Die negativen Auswirkungen auf den Abverkauf zeigten sich schon nach kurzer Zeit. Wer länger als ein Jahr aussetzte, musste auch über die Folgejahre kontinuierlich Rückgänge verbuchen.
Werbepause lässt Umsätze schrumpfen
(Quelle: Seven.One Media, Journal of Advertising Research, WARC, Ehrenberg Bass Institute)
Der britische Marketingguru Peter Field befasst sich schon seit der Finanzkrise 2008 mit den Konsequenzen von Werbekürzungen in rezessiven Phasen und greift dafür auf die gigantische Datenbank des Institute of Practitioners in Advertising, der Dachorganisation der britischen Werbeindustrie, zurück. Das Resümee des renommierten Forschers: „Do not panic … and particularly don’t go dark. You will regret it at great length.”
Da fragt man sich schon, warum dennoch so viele Unternehmen reflexartig auf die Werbebremse treten, sobald sich die ökonomischen Aussichten eintrüben?
Im ersten Quartal dieses Jahres sind die deutschen Bruttowerbeumsätze im Vergleich zum Vorjahr um 5,4 Prozent zurückgegangen. Das Fernsehen verliert fast 10 Prozent, Online 7 Prozent. „Wir sehen gerade in den ersten Wochen des Jahres noch eine Reaktion auf ein großes Maß an Verunsicherung im vorigen Herbst“, sagt Guido Modenbach, EVP Research, Analytics & Consulting der Seven.One Entertainment Group in Out of The Box. „Damals wusste keiner, wie sich das Jahr 2023 entwickeln würde.“
Doch mittlerweile rechne man mit einem milderen Verlauf als viele befürchtet haben. Die Inflation ist rückläufig, der Gasmangel abgewendet und ökonomische Indikatoren wie der ifo Geschäftsklima- und der GfK Konsumklima-Index zeigen schon seit Monaten eine Aufhellung der Stimmung. Wenn Unternehmen um ihre Existenz kämpften, könne man natürlich nicht guten Gewissens empfehlen, Werbung zu machen, räumt Modenbach ein. „Man muss aber sagen, dass sich derzeit die wenigsten in solchen Extremsituationen befinden.“ Für alle anderen sei es sinnvoll, die die Mediainvestitionen aufrechtzuerhalten.
Hat nun auch die Unternehmen die Inflationshysterie gepackt?
Nein, meint der Psychologe Dirk Ziems, Mitgründer der Marktforschungsinstituts concept m. In tiefenpsychologischen Interviews hat er die Konsument:innen nach ihren Inflationsängsten befragt und dabei vier verschiedene Gruppen differenziert. Der hysterische Typus zum Beispiel wähnt sich in einer ausweglosen Situation und nimmt Verteuerung wie Verknappung als „Vorboten des Untergangs“ wahr.
Bei den Unternehmen sei die Lage anders, so Ziems: Man könne den Verantwortlichen der Marketingindustrie „keine großen Emotionsausschläge“ unterstellen, allenfalls „vertriebsorientiertes Denken und einen kurzfristigen Blick auf die Absatzzahlen, wobei Markenanliegen zurückgestellt werden".
Obwohl sich aktuell so viele Unternehmen Haltung auf die Fahne schreiben, seien die meisten zahlen- und nicht sinngetrieben, meint auch die Werbepsychologin Imdahl. Dabei könne der hoch gelobte „Purpose“ nicht das Geldverdienen sein. „Marken müssen den Menschen Werte und Mehrwert bieten, Halt und Haltung vermitteln.“
Gerade in unsicheren Zeiten sollten Unternehmen das Band zum Verbraucher durch gut gemachte Markenwerbung stärken, betont Ziems: „Statt Liebesentzug müssen Marken jetzt zeigen, dass die Beziehung auch in der Krise hält und man gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten kann", so der Psychologe.
Tatsächlich sind die Erwartungen an die Wirtschaft höher denn je: Laut Edelman Trust Barometer 2023 haben die Deutschen „einen klaren Auftrag an die Unternehmer:innen, ihr gesellschaftliches Engagement zu verstärken“. Klimawandel, Wohlstandsgefälle, Umgang mit Mitarbeitern – die Firmenlenker:innen sollen öffentlich Stellung beziehen und der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken. Während das Vertrauen in deutsche Institutionen auf dem Tiefpunkt ist, werde „allein die Wirtschaft als ethisch und kompetent handelnd angesehen“.
Marktforscherin Imdahl kennt diese Stimmungslage aus zahlreichen Interviews: Viele hätten den Glauben an Politik und Religion verloren. Der Wirtschaft traue man dagegen zu, die gesellschaftspolitischen Herausforderungen anzunehmen und das Land aus der Krise zu steuern.
Menschen bräuchten Hoffnung und Orientierung, beides könne Werbung vermitteln. Ines Imdahl: „Statt sich zurückzuziehen, sollten die Unternehmen jetzt Flagge zeigen.“
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