In deutschen Medienhäusern führen viele das Wort „Innovation“ im Munde. Dennoch scheuen manche den Schritt hin zu echten Neuerungen. Beachtliche Beispiele, wie neuartige Herausforderungen mit Veränderungswillen und dem klugen Einsatz von Technologie gemeistert werden können, lieferte der 9. Medieninnovationstag media.innovations der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Deutlich wurde: Innovationsbereitschaft sorgt für Mehrwert und wird belohnt. Daneben sollten Krisen immer auch als etwas verstanden werden, was Innovationen freisetzt.
Eine Studie von XPLR: MEDIA in Bavaria, einer Marke des BLM-Tochterunternehmens Medien.Bayern GmbH, hat im Herbst festgehalten: Gerade in Bayern haben Innovationen für die klare Mehrheit der befragten 250 Medienhäuser eine hohe Relevanz. Über 70 Prozent stimmten dem zu. Daneben gaben über 40 Prozent an, bis zum Jahr 2026 neue Geschäftsmodelle etablieren zu wollen.
Doch hier besteht noch Entwicklungsbedarf: So beklagten knapp 90 Prozent der Medienunternehmen den Fachkräftemangel und den Bedarf an Experten auf den unterschiedlichsten Gebieten. Insbesondere im Bereich IT / Software sei die Nachfrage groß, nahezu jedes zweite Unternehmen war und ist hier auf der Suche nach geeigneten Fachkräften. Intern fehle es vielen Unternehmen zusätzlich an methodischem Wissen und geeigneten Strukturen für Innovationsprozesse, heißt es weiter in dem Werk.
Es gibt sie, in Bayern wie anderswo in Deutschland, die beispielhaften Innovationen, die „wirklich Mehrwert bieten“, wie es BLM-Präsident Dr. Thorsten Schmiege in seinem Grußwort zu media.innovations formulierte. Innovationen, die interne Prozesse optimieren können und auf die Produkte, auf das Vertrauen der User in die Medien oder auf die Erlösstrukturen einzahlen.
Dr. Thorsten Schmiege (Foto: MedienNetzwerk Bayern)
Das können Innovationen leisten:
- Innovationen schaffen die Basis für neue Produkte.
Das wusste Ludger Schulze Pals beim Innovationstag zu berichten. Der Geschäftsführer des Landwirtschaftsverlags in Münster hat ebenso wie die gesamte Printbranche mit drei großen Herausforderungen zu kämpfen: mit der Frage, wie im Digitalen Erlöse erzielt, wie Kosten durch effiziente Workflows reduziert werden können und wie eine neue Unternehmenskultur auf Arbeit und Produkte einzahlen.
Die Lösung des Hauses: Bei der Mutter der beliebten Landlust wurde Ende 2021 eine neue Unit geschaffen, das Personalmanagement neu ausgerichtet, die Nachwuchskräfte in einem Art Innovations-Labor gebündelt, ein Fortbildungsprogramm für langjährige Mitarbeitende initiiert und überhaupt: ein Innovationsmanagement im Verlag etabliert, das das Projekt „Ideenbauer“ unterstützt. Schon können die Münsteraner mehrere neue Produkte verkünden, unter anderem Waldnews.de, eine Seite für Kleinwaldbesitzer.
Schulze Pals betonte in München: „Zuvor hat der Verlag gedacht, man könne Printinhalte einfach ins Netz stellen. Doch es handelt sich um ganz andere Inhalte.“ Das Matchen von Teams, die neue Zusammenarbeit zwischen Online. Print, Sales oder auch Datenleuten, hat sich ausbezahlt: „Wir haben einen ganz anderen Spirit in das Haus gebracht.“ Sein Credo: Produktrevolution braucht organisatorischen Umbau. „Man darf nicht den Fehler machen, dass Verlagsstrukturen hemmen.“
- Innovationen helfen in Krisen.
„Eine Krise ist immer etwas, das Innovation freisetzt“, machte der Geschäftsführer des Landwirtschaftsverlags deutlich. Konkrete Beispiele hielt der 9. Medieninnovationstag bereit: Innovationsgeist und Verantwortung bewies etwa Radio Gong 96.3. Mit einer Kombi aus Onlineplattform und Vermittlung vor Ort fand der Münchner Lokalradiosender für mehr als 5000 Menschen aus der Ukraine bisher private Unterkünfte. „Man sieht, was lokales Radio erreichen kann - mit einer funktionierenden Community und mit der Chance, live immer wieder nachzufragen“, so Senderchef Johannes Ott (Foto oben).
Gastgeber Schmiege sah den Innovationsgeist gerade in Krisenzeiten gefragt: „Ziel von Medieninnovation ist die Entwicklung relevanter Angebote. Nur dann hat sie einen Mehrwert für den Einzelnen und die Gesellschaft.“ Relevant wären in dieser von Krisen und dem Krieg beherrschten Zeit vor allem „seriöse Informationen“, so der BLM-Präsident. Das bedeutet: Faktenchecks und die journalistische Einordnung von Informationen sind aktuell wichtiger denn je.
Hinterfragen, gegenlesen, der Einschätzung vor Ort vertrauen und vor allem die Bildauswahl diskutieren: Die Süddeutsche Zeitung will auf diese Weise Orientierung schaffen und Informationen einordnen, erklärte Chefredakteurin Judith Wittwer. Gerade in diesen Zeiten sei es wichtig, Debatten anzuregen und nicht nur zu berichten.
Judith Wittwer im Gespräch mit Moderatorin Sara Weber (Foto: MedienNetzwerk Bayern)
- Innovationen schaffen Vertrauen.
Für Facts for Friends machte Co-Founderin Valerie Scholz deutlich, wie wirksam Innovationen gegen Desinformation in (sozialen) Medien eingesetzt werden können. Ihr Faktencheck-Angebot #ErzählmirkeineMärchen soll dabei unterstützen, das Vertrauen in Medien zurückzugewinnen.
Das Rezept: Für Social Media taugliche „FactSnacks“ zum Teilen, die im Meer der Infodemie gerade junge User erreichen sollen. „Unsere Inhalte sind snackable, teilbar, um etwas gegen Desinformation Im eignen Umfeld zu tun“, betonte Scholz. Ihr kleines Team arbeitet mit Organisationen wie dem Recherche-Kollektiv Correctiv zusammen. Das Ziel sei eine „#Factfluencer Community“, die auf intensivem Austausch mit Usern basiert.
Ein Projekt, auf das 1&1 Media als Anbieter von Seiten wie web.de oder GMX setzt, soll für große Transparenz bei Nachrichten sorgen. Die Journalism Trust Initiative (JTI) wurde von Reporter ohne Grenzen initiiert und Thomas Rebbe, Chefredakteur des Nachrichtenangebots der beiden Mailportale, nimmt sie nur zu gern an: Denn jeder Dritte in Deutschland lese nie oder nur selten Nachrichten – sie würden von den klassischen Medien gar nicht mehr erreicht. „Wenn Sie die Breite der Gesellschaft erreichen wollen, müssen Sie das über web.de oder GMX tun“, ist sich Rebbe seiner Verantwortung bewusst.
Das war zu tun: Ein Online-Fragebogen der JTI rief zusätzliche Unternehmensinformationen ab, um als vertrauenswürdige Quellen erkennbar zu werden. Rebbe: „Das Zertifikat ist von allen Lesern frei einsehbar.“ Meinungsstücke werden nun sehr deutlich gekennzeichnet, Autor:innen mit Profil vorgestellt. Gerade Bilder aus der Ukraine würden mit Quelle, Datum sowie Ort der Aufnahme klar gekennzeichnet.
- Innovationen schlagen Brücken.
Und zwar dann, wenn digitale und reelle Welten aufeinander einzahlen und rund um Marken Communities entstehen. Hier können die klassischen Medien von der Gaming-Branche lernen. Bei media.innovations war das Entwicklerstudio Niantic zu Gast. Es wurde deutlich, wie der kreative Umgang mit AR und Spielen das Community-Building prägen kann. Dominik Schönleben, Global Community Manager bei Niantic, gab dabei einige Tipps:
- Eine starke Community braucht Berührungspunkte in der echten Welt.
Schönleben: „Eine echte Community hat beides: das Digitale zum Vertiefen der Kontakte, aber dann das echte Event.“ Niantic etwa hat mit seinem Pokémon GO Fest 2019 in Dortmund Maßstäbe gesetzt.
- Ermächtige deine Spieler, dann werden sie eine Community schaffen.
Es gelte, Gelegenheiten zu schaffen, damit die Teilhabenden selbst Events kreieren wie Treffen in Parks.
- Eine Community zu bauen ist ein Investment in die Zukunft.
Der Niantic-Manager hob den Mehrwert hervor, den das langwierige Unterfangen mit klarer Stoßrichtung und Zielgruppenanalyse mit sich bringen würde – ohne, dass Community Management mit Zahlen zu messen sei. „Es zahlt auf den Day 360 ein“, sagte Dominik Schönleben. Will heißen: Die User sind nach lohnenden Kontakten nach einem Jahr immer noch am Ball, die Community ist Teil ihrer Identität geworden.
- Innovationen erleichtern die Arbeit.
Einer, der schon viel Erfahrung mit Innovationsarbeit gesammelt hat, ist Steffen Kühne. Der Entwicklungsleiter im Team von BR Recherche/BR Data/AI + Automation Lab fasste beim BLM-Innovationstag den Mehrwert so zusammen: „Wir können Inhalte klüger personalisiert ausspielen.“ Im BR entstehen etwa regionale Audionews, die passgenau die Hörer:innen in ihrem Nahumfeld erreichen.
Das öffentlich-rechtliche Haus hat bei Künstlicher Intelligenz bereits eine Lernkurve hinter sich: „Einordnung wird eine KI auf absehbare Zeit nicht leisten“, sie schaffe aber durch Automatisierung von Standards auch Freiräume, damit die Journalst:innen Zeit für Einordnung haben, so Kühne. Auch wenn die Integration ins System und die Akzeptanz im Team für digitale Innovationen zuweilen schwierig sei: Inzwischen hätten die Leute nicht mehr so große Angst vor einem Jobverlust durch KI-Anwendungen etwa im Nachrichtenberiech. Denn die Tools würden oft bei Jobs einegsetzt, die die Redakteur:innen ohnehin nicht gerne machen würden.
Kühnes Credo lautete: „Es geht bei Innovationen nicht darum, fancy Dinge einzuführen, um zu beeindrucken, sondern um die Arbeit zu erleichtern und echten Mehrwert zu schaffen.“
- Innovationen machen schlauer.
Beispielsweise durch neuartige Hörangebote. Die SBAE GmbH steht für Situation based Audio Experiences in der Storydive App und arbeitet unter anderem mit Radio Gong und dem Flughafen München zusammen, um Audiowalks als Medium der Stunde zu gestalten. Fabian Eck von SBAE beschwor bei media.innovations das „Hören plus X“, um Informationen kreativ und im beliebten Überall-Hörmodus zu liefern – als „AR fürs Ohr“. Die Stories ließen sich gut interaktiv gestalten, als Hörer:in werde man selbst zur Spielfigur mit dem Smartphone in der Hand. Eck: „Wir glauben, dass Audiowalks in dieser Form gut einsetzbar sind.“
Doch wie steht es um die digitale Kompetenz des Einzelnen in Deutschland? Angesichts der sich überschlagenden Neuentwicklungen riet Dr. Roland A. Stürz, Abteilungsleiter Think Tank im Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt): „Lebenslanges Lernen ist im digitalen Leben unerlässlich“.
Dem pflichtete Dirk von Gehlen, Director Think Tank des neu gegründeten SZ-Instituts, bei. Er sprach sich für „einen umgekehrten Generationendialog“ aus, um digitale Kompetenzen von Jung zu Alt transportieren zu können.
Auch könnten Medien hier noch mehr leisten, wie Sabrina Hoffmann beim Innovationstag deutlich macht. Die Chefredakteurin von BuzzFeed DACH aus dem Hause Ippen Digital schlug vor, „Kompetenzen in die andere Richtung zu transportieren“. Hoffmann appellierte an die Anbieter: „Qualitätsmedien könnten sich noch mehr hineinversetzen in sozial benachteiligte oder bildungsfernere Menschengruppen und ihre Inhalte dahingehend anpassen, sonst verlieren wir sie.“
Rund um Innovationen steht im Freistaat das Media Lab Bayern Medienanbietern und Gründer:innen zur Seite. Unter anderem kann auf der Website des Medien.Bayern-Unternehmens ein Leitfaden rund um Innovationsstrategien kostenfrei abgerufen werden. Hier geht es zum Guidebook.
Event verpasst? Hier der Mitschnitt von media.innovations:
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München. Folge 71 geht auf die Medien-Innovationen ein.
Darüber hinaus stehen Zusammenfassungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sowie Bildmaterial in der Mediathek der Medientage-Homepage bereit.