Medientage München - Blog

"Wir kommen direkt aus dem Bauch der Deutschen"

Geschrieben von Cathrin Hegner // BLM | 12. August 2025

Die Ergebnisse der Zuversichtsstudie, die #UseTheNews, Initiative 18 und rheingold salon im Mai vorgestellt haben, waren alles andere als ermutigend: Die Stimmung im Land sei düster, sagten die Forscher, die Deutschen hätten das Vertrauen in Politik und Medien verloren, positive Gemeinschaftserfahrungen fehlten. Die Initiatoren haben sich vorgenommen, die Stimmung zu drehen und das Wir-Gefühl zurückzuholen.
Meinolf Ellers, Geschäftsführer von #UseTheNews und bei dpa verantwortlich für Business Development, spricht im MTM-Blog über lähmende Angst und frischen Mut.

 

 

Sie wollten den Ursachen für die schlechte Stimmung auf den Grund gehen und gemeinsam mit Akteuren aus Medien, Politik und Wirtschaft Lösungsansätze entwickeln. Wie sehen diese aus?

Wir haben drei Phasen für das Projekt Zuversicht definiert. Phase 1 ist die Studie, der Ist-Zustand, den rheingold salon für uns ermittelt hat. Phase 2 startet mit einem Kreativwettbewerb, den wir gemeinsam mit den deutschen Werbeagenturen unter dem Dach des GWA und den Cannes Lions umsetzen werden.

Junge Teams entwickeln Ideen für eine Kampagne, die so etwas wie ein "Kopf hoch Deutschland" vermitteln soll. Zum Jahresende werden wir mit einem größeren Event die Siegerentwürfe präsentieren. 

 

Gleichzeitig haben Sie eine Reihe Ideathons geplant – Workshops für Problemlösungen und Ideenfindung. Wie laufen diese Workshops ab?

Wir haben als direkten Arbeitsauftrag aus der Studie drei Handlungsfelder definiert: Marke und Unternehmen, Journalismus und Medien sowie Politik und Parteien. Die Ideathons starten voraussichtlich im November in Köln, Düsseldorf und Essen. Dort werden wir in 36 Stunden mit bis zu 100 Nachwuchskräften aus den entsprechenden Bereichen Ideen, Konzepte und konkrete Formate entwickeln.

Die zentrale Aufgabe lautet: Wie können wir den Menschen ermöglichen, in Gemeinschaft ihre Selbstwirksamkeit zurückzugewinnen?

Meinolf Ellers, dpa/#UseTheNews

 


Warum ist dieses Gefühl verloren gegangen?

Jeder hat in Deutschland gerade seine eigene Frustgeschichte: Kaum durchschaubare Verwaltungsstrukturen, lange Entscheidungswege, die marode Infrastruktur, das Gesundheitssystem. Das alles mündet in der zentralen Klage, die die Studie zutage gefördert hat: "Ich kann immer weniger zum Gelingen meines eigenen Lebens beitragen." Genau hier setzt das Projekt Zuversicht an: Die Menschen wollen wieder gemeinschaftlich wirksam werden.

 

Wann werden die gesammelten Ideen in konkrete Handlungen überführt?

Unser Ziel ist es, in der dritten Phase bis 2026 fünf oder sechs konkrete Leuchtturmprojekte für Deutschland zu entwickeln. Ich kümmere mich mit meinem Team um die Ideathons in den Bereichen Journalismus und Medien sowie Politik und Parteien.

Ein konkretes Beispiel: Die Politagents, ein Gründerteam aus Baden-Württemberg, politisch sehr gut verdrahtet, entwickeln Formate, die zeigen, wie Bürgerbeteiligung und Lösungsfähigkeit konkret aussehen können. Wir sehen uns da im Kontext der Initiative Staatsreform um Julia Jäkel, Thomas de Maizière, Andreas Voßkuhle und Peer Steinbrück. Während sie die Staats- und Demokratieverdrossenheit eher auf akademischer Ebene angehen, kommen wir überspitzt gesagt direkt aus dem Bauch der Deutschen.

 

Was ist notwendig, damit die Vorschläge der Initiative am Ende auch im Alltag der Menschen ankommen?

Dafür braucht es Journalismus und Medien! Als die Initiative für einen handlungsfähigen Staat in Berlin ihren Abschlussbericht vorgelegt hat, gab es in Berlin einen Abend mit Thomas de Maiziere in der baden-württembergischen Landesvertretung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat dort einen Satz gesagt, den ich gerne als Slogan über all unsere Ambitionen stellen würde: "Wir müssen vom 'Nein, weil' zum 'Ja, wenn' kommen." Er hat das auf das Selbstverständnis seiner Verwaltungen bezogen.

Wir könnten uns diese Einstellung aber auch zu Herzen nehmen, wenn es um die große Frage geht, welchen Wert Journalismus in Zukunft noch schafft.

 

Mit #UseTheNews arbeiten Sie schon länger an der Frage, wie Journalismus in der Generation TikTok relevant bleibt. Können Sie Ihre Erfahrungen für das Projekt Zuversicht nutzen?

Wir haben in der ersten Studie von #UseTheNews gemeinsam mit dem Hans-Bredow-Institut die Nachrichtenkompetenz der Jugendlichen in Deutschland untersucht. Das Zitat einer 16-Jährigen aus dieser Studie zeigt bis heute das ganze Dilemma: "Ich weiß doch gar nicht, was Journalismus und Nachrichten mit meinem Leben zu tun haben." 

Die Entfremdung des Journalismus gerade gegenüber Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist besorgniserregend. Aber die Zuversichtsstudie hat gezeigt, dass sich der Vertrauensverlust gegenüber den Medien durch die gesamte Bevölkerung zieht.

Wir müssen den Menschen zeigen, was Journalismus mit ihrer Lebensrealität zu tun hat. Und: Wir müssen das Zuhören wieder in den Mittelpunkt stellen.

Meinolf Ellers, dpa/#UseTheNews

 

 

Sie haben bei der Präsentation der Ergebnisse gesagt, das Lokale habe eine "überragende Bedeutung als Vertrauensraum". Wie ist das gemeint?

Das Lokale ist so wichtig, weil es für Nähe, Nahbarkeit und Zugänglichkeit steht. Im Bemühen um Effizienz und Wirtschaftlichkeit haben sich Verlage aber immer weiter von den Menschen entfernt, Lokalredaktionen und Geschäftsstellen geschlossen. Wir sehen uns heute mit Redakteur:innen konfrontiert, die dem ja nicht immer einfachen direkten Austausch mit Menschen eher aus dem Wege gehen. Viele sind zu anonymen Content-Verarbeitern geworden.

Das Gegenteil muss passieren: Die KI sollte Redaktionen in der Produktion entlasten, damit Journalist:innen wieder rausgehen können, um ganz nah bei den Menschen zu sein.

 

Guter Journalismus muss auch finanzierbar sein. Welche Inhalte sind denn in Zukunft relevant und wertvoll?

Ich denke, alles beginnt mit der Frage, wie gut sind wir darin, der 16-Jährigen zu erklären, was Journalismus mit ihrem Leben zu tun hat. Dafür werden wir vermutlich keine langen Texte mehr brauchen, denn wir werden mit einer Generation konfrontiert, deren präferiertes Inhalteformat nicht mehr der Text ist. Wir müssen überlegen, wie wir Inhalte in Audio- und Videoformaten transportieren können.

Der Journalismus kann viel von den Erfolgsrezepten der Content-Creatoren lernen, die umgekehrt oft interessiert sind, vom Journalismus zu lernen. Da ist viel Platz für neue Kooperationen.

 

Was passiert, wenn KI-Agenten die ersten Konsumenten von Nachrichten werden, in Sekundenschnelle alles für uns vorsortieren und nur noch das "Relevante" ausspielen?

Es fällt den Menschen immer schwerer, Quellen zu sortieren, einzuordnen und zu priorisieren, daher kommen ja Phänomene wie die Nachrichtenmüdigkeit, die Anfälligkeit für Desinformation und Fakes. Jetzt kommt KI und macht das alles noch viel schwieriger.

Unsere Aufgabe ist es, das alles den Menschen wieder in verlässlicher und verdaubarer Dosis anzubieten und ihnen deutlich zu machen: Das ist das, was für dich hochrelevant ist. Wir suchen das für dich heraus und der Algorithmus hilft uns dabei. Aber wir dürfen das, was den Journalismus im Kern ausmacht, niemals einem Algorithmus überlassen.

Das Allerheiligste, was wir haben, ist Journalismus "made by humans". Ehrlich gesagt würde ich als Journalist den Begriff "Content" am liebsten auf den Index setzen.

 

Warum?

Ich mache jetzt seit mehr als 25 Jahren Digitales bei dpa und ich muss heute sagen, einer der vielen Fehler, die wir gemacht haben, war es, den Begriff Content zu etablieren. Content ist genau das, was der Algorithmus braucht, das ist die Maschinen-Verarbeitbarkeit von Inhalten.

 Journalismus hat ein Herz und eine Seele und im besten Fall auch ein Gesicht.

Meinolf Ellers, dpa/#UseTheNews

Das müssen wir verteidigen bis zum Allerletzten. Denn meine Vermutung ist, dass Authentizität, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit im KI-Zeitalter eine unschätzbar wertvolle Ressource werden. Auch wenn die Inhalte paketiert und personalisiert werden, muss der Kern guter menschengemachter Journalismus blieben.

 

Eine Empfehlung der Studie lautet, nicht mehr so negativ zu berichten und mehr "konstruktiven Journalismus" zu betreiben – da muss es Ihnen als Vollblutjournalist doch eigentlich die Schuhe ausziehen?

Ich finde das Anliegen des "konstruktiven Journalismus" im Kern richtig. Es geht nicht darum, Negatives zu verschweigen und eine heile Welt vorzugaukeln. Es geht um Anschlussfähigkeit an die Lebensrealität der Menschen, darum, Gespräche zu moderieren und Lösungen herbeizuführen.

Am Ende des Tages brauchen wir einen Konsens, ein Ergebnis, das auch Menschen unterschiedlicher Positionen das Gefühl gibt, sich eingebracht zu haben und gehört worden zu sein. Wenn wir ehrlich sind, bewirkt ein Journalismus, der alles skandalisiert und jeden Streit zuspitzt, eher das Gegenteil.

 

Die Tradition des angelsächsischen Journalismus – das kritische Hinterfragen, die objektive, unabhängige Berichterstattung – galt in Deutschland lange als vorbildlich. Schaut man jetzt auf den Vibe-Shift in den USA, wird einem manchmal ganz anders. Journalisten, die Donald Trump kritisieren, werden abserviert. In Pressekonferenzen fallen Sätze wie "Schöne Krawatte, Mr. President!"

Wir sehen mit großer Besorgnis auf das, was in den USA gerade passiert. Wir sind als dpa ein Kind des angelsächsischen Journalismus, geformt nach dem 2. Weltkrieg nach dem Vorbild der amerikanischen Nachrichtenagentur AP und dem Grundsatz "Be first, but first be right".

Jetzt sehen wir eine Branche, die sich offensichtlich in einer zutiefst angstbestimmten Lähmung und Verunsicherung befindet.

 

Was können Journalist:innen dagegen tun?

Um es mit Franklin D. Roosevelt zu sagen: "The only thing we have to fear is fear itself". Man möchte den amerikanischen Kolleg:innen zurufen, bleibt mutig, knickt nicht ein. Es lohnt sich, weiter handwerklich sauber zu arbeiten und das journalistische Ethos hochzuhalten.

 

Bekommen Sie selbst den Stimmungswandel gegenüber Journalist:innen zu spüren – von der Stütze der Demokratie zum Miesmacher und Faktenverdreher der Nation?

Ja, natürlich. Ich denke, jeder hat in seinem Freundes- und Bekanntenkreis jemanden, der mit den üblichen delegitimierenden Begriffen wie "Mainstream-Medien" oder "Lügenpresse" hantiert und einem die Narrative der Populist:innen vorbetet.

Was können wir tun? Wir können den vielen Menschen, die frustriert und unzufrieden sind, zuhören und ihnen eine Stimme geben. Wir alle müssen uns einmal prüfen, ob wir wie Peter Glotz einmal gesagt hat noch, "Anwälte des Gesprächs" sind. Bringen wir im Sinne des öffentlichen Gesprächs Menschen zusammen, hören wir ihnen zu und lassen wir sie ausreden!

Wenn uns die Menschen abnehmen, dass wir sie ernst nehmen, können wir einiges an Terrain zurückgewinnen.

Meinolf Ellers, dpa/#UseTheNews

 

Wie begeistern Sie heute junge Menschen für den Beruf?

Ich frage sie, ob sie Spaß daran haben, in eine Dorfkneipe zu gehen und sich zum Stammtisch dazuzusetzen. Wenn du empathisch bist und den Menschen gerne zuhörst, wenn du wissen willst, was sie bewegt und dir überlegst, ob du ihnen helfen kannst, indem du ihre Geschichte erzählst, bist du in diesem Beruf richtig.

 

Zur Person:

Der Journalist Meinolf Ellers arbeitet seit über 40 Jahren bei der Deutschen Presse-Agentur. Er war lange Jahre Reporter und Auslandkorrespondent. Heute verantwortet er den Bereich Strategic Business Development. Ellers ist zudem Geschäftsführer von #UseTheNews und Mitinitiator des Projekts Zuversicht.


#UseTheNews fördert die Nachrichtenkompetenz junger Menschen und entwickelt neue Informations- und Bildungsangebote für sie. Ziel ist es, den Nachwuchs besser mit zeitgemäßen journalistischen Angeboten zu erreichen.

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