Wer Nachrichten macht, trägt Verantwortung. Zum Kreis dieser Entscheider:innen zählt Sonja Schwetje, Chefredakteurin ntv & Netzwerke RTL NEWS. Zur Frage, wie wir die Pressefreiheit und das Vertrauen in die Medien sichern können, spricht die Nachrichtenmacherin im Rahmen des Journalism Summit der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021. Im Interview mit dem Blog der Medientage legt Sonja Schwetje ihre Haltung dar.
Frau Schwetje, der Reuters Digital News Report 2021 bescheinigt ntv, dass der Nachrichtensender während der Corona-Phase vor allem an Vertrauen hinzugewonnen hat. Wie gehen Sie mit diesem Schatz um?
Wir haben während der Corona-Pandemie, aber auch in anderen Krisen und Zeiten von Verunsicherung, einen Anstieg der Nutzerzahlen gesehen, sowohl im TV als auch digital. Dieses Vertrauen freut mich sehr und ist ein starker Antrieb für das gesamte Team. Wir müssen es uns jeden Tag aufs Neue erarbeiten. Dafür braucht es die entsprechende Ausbildung, das journalistische Handwerk, aber vor allem auch die Sensibilisierung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wir diskutieren daher intensiv in Redaktionskonferenzen und Teammeetings, wie wir unserer Verantwortung zum Beispiel in unübersichtlichen Breaking-News-Situationen nachkommen, wo Schnelligkeit natürlich ein Faktor ist.
Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Faktoren, um das Vertrauen des Publikums in klassische Medien zu sichern beziehungsweise wiederherzustellen?
Das Wichtigste ist sauberes journalistisches Handwerk. Darüber hinaus hilft es aus meiner Erfahrung, sehr transparent zu sein. Wir müssen dem Publikum erklären, wie wir zu bestimmten Erkenntnissen gekommen sind, wie Recherchen abgelaufen sind, mit welchen Verifizierungstechniken wir Videos überprüfen.
Digital lancierte Desinformation ist längst als Gefahr für die Demokratie identifiziert. Trägt eine Senderfamilie wie RTL mit teils auch sehr jungen Zielgruppen eine besondere Verantwortung im Kampf gegen „Fake News“?
Das Thema "Desinformation" ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es wird mittlerweile systematisch von mächtigen Playern und Interessengruppen eingesetzt, um demokratische Gesellschaften zu destabilisieren. Natürlich sehen wir als Medienunternehmen es als unsere Verantwortung an, diesem Thema zu begegnen. Indem wir Falschinformationen aufdecken und richtigstellen, Medienkompetenz vermitteln, unser Publikum für Manipulationsmöglichkeiten sensibilisieren und erklären, wie man in vielen Fällen ganz leicht selbst Videos und Fotos auf Authentizität überprüfen kann.
Aber das Thema Desinformation kann nur mit vereinten Kräften angegangen werden.
Sonja Schwetje, ntv & RTL NEWS
Die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass auch die großen Social-Media-Plattformen, auf denen die meisten Falschinformationen kursieren, Verantwortung übernehmen müssen, so wie wir als Medienunternehmen es bereits durch freiwillige Selbstverpflichtung und Regulierung tun. Und sie muss sicherstellen, dass journalistische Inhalte, die Desinformation entgegenwirken, eine hohe Sichtbarkeit haben und im Netz gefunden werden.
Sie nennen sich seit Februar Chefredakteurin ntv & Netzwerke RTL NEWS, die ganze RTL-Familie hat die Schlagzahl an Nachrichten mit Start von RTL News und vor allem in den vergangenen Wochen mit neuen Formaten massiv erhöht, um Zuschauer:innen auf allen Kanälen noch umfassender zu informieren. Wie sieht Ihre Bilanz bisher aus?
Der Bedarf an gut gemachtem Journalismus und daran, komplexe Situationen schnell einzuordnen und schwierige Zusammenhänge verständlich zu erklären, ist enorm gewachsen. Genau hier haben wir angesetzt und sind mit den Entwicklungen sehr zufrieden. Wir lassen den Sendungen Zeit, denn Sehgewohnheiten ändern sich nicht von heute auf morgen.
Dass der Weg aber richtig ist, auch bei RTL noch mehr Information zu bieten, haben wir im Juli bei der Flutberichterstattung gesehen. Die beiden gemeinsamen Sondersendungen haben jeweils um die 5 Millionen Menschen erreicht. Und auch das Triell Ende August war mit einer Reichweite von über 11 Millionen Menschen bei RTL und ntv ein voller Erfolg.
Nicht nur die RTL-Gruppe erhöht die Schlagzahl an News: ProSieben baut am Nachrichtenzentrum und mit BILD TV ist ein neuer Sender am Start. Wie nehmen Sie die neue Konkurrenz aus dem kommerziellen Lager an?
Ich freue mich über jedes neue Nachrichtenangebot, denn das ist ja ein Indiz für das hohe Interesse des Publikums. Je vielfältiger die Angebote sind, desto besser für eine pluralistische Medienlandschaft, in der Desinformation weniger Chancen hat.
Aus eigener Erfahrung weiß ich allerdings, wie herausfordernd es ist, neue Programme zu etablieren und sie in verlässlicher Qualität über einen langen Zeitraum aufzubauen. Da hilft es uns natürlich, dass wir gerade mit ntv eine starke, crossmediale Nachrichtenmarke und ein herausragend professionelles Team haben.
Gerade steht die Bundestagswahl im Vordergrund. Vor welche Herausforderungen stellt dieser Wahlkampf die Chefredakteurin im Hause RTL?
Wir haben bereits Manipulationsversuche erlebt und müssen auch mit weiteren Angriffen durch Desinformation rechnen. Erst kürzlich berichtete die Bundesregierung über Ghostwriter-Aktivitäten, die sie Cyberakteuren des russischen Geheimdienstes zuordnet und die mutmaßlich zum Ziel hatten, Einfluss auf die Bundestagswahl zu nehmen.
Solche Aktivitäten werden immer subtiler und sind nicht leicht zu erkennen.
Sonja Schwetje, ntv & RTL NEWS
Wir müssen in den Redaktionen umso wachsamer sein und auch unsere Tools und Trainings immer wieder anpassen.
Zur Person:
Sonja Schwetje ist Chefredakteurin von ntv und ntv.de. In der RTL NEWS verantwortet sie zudem als Chefredakteurin Netzwerke die Kooperationen der Bertelsmann Content Alliance sowie das Team des RTL Spendenmarathons. Außerdem vertritt sie die Mediengruppe RTL als Vorstandsmitglied bei VAUNET sowie künftig als Boardvorsitzende bei der ENEX.
Bei der Mediengruppe RTL ist Sonja Schwetje seit 1998. Nach verschiedenen Stationen bei RTL Nord wechselte sie 2005 als Redaktionsleiterin zu RTL West nach Köln. Hier war sie bis zu ihrem Wechsel zu ntv im November 2010 als Chefin vom Dienst und als Moderatorin der Sendung "Guten Abend RTL" im Einsatz.
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN finden dieses Jahr vom 25. bis 29. Oktober statt. Sie stehen unter dem Motto New Perspectives. Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven sowie Geschäftsmodelle der Medienanbieter auf.
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.