Facebook in der Kritik, die Echtheit von Followern bei Instagram und Twitter angezweifelt, chinesische Neulinge wie Tencent im Visier: Soziale Medien stehen beim Nutzer hoch in der Gunst und sind im Dauergebrauch. Allerdings hat kaum einer gelernt, damit umzugehen. Ein Nährboden für Manipulation. Daher stehen die gesellschaftlichen und ökonomischen Wirkmächte der großen Webkonzerne unter Beobachtung von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Eine, die sich mit dem Social Web intensiv auseinandersetzt, ist Zeynep Tufekci. Die Doktorin der Soziologie forscht als Associate Professor an der UNC School of Informations- und Bibliothekswissenschaft (SILS) an den sozialen Auswirkungen aufkommender Technologien und Medien im Kontext von Politik und Unternehmensverantwortung. Sprich: Tufekcis Forschungsinteressen konzentrieren sich auf die Schnittstelle zwischen Technik und Gesellschaft. Eine Techno-Soziologin, die auch am Harvard Berkman Klein Center für Internet und Gesellschaft wirkt.
Zeynep Tufekci gilt als Kritikerin der sozialen Medien. Die Wissenschaftlerin bedauert die Auswirkungen auf Meinungsbildung und Gesellschaft, zeigt sich allerdings aufgeschlossen gegenüber der Art des heutigen Informationsaustauschs. "Die großartige Möglichkeit, uns zu vernetzen, wird dadurch gemindert, dass die Social-Media-Konzerne Geld verdienen, indem sie uns überwachen und gigantische Datenmengen über uns sammeln", erklärte sie im vergangenen Herbst.
"Ich will nicht zurück zum alten System mit ein paar Zeitungen und Fernsehsendern, die allein bestimmen, was gesehen und gelesen wird. Die Möglichkeit der Zensur war damals ein Problem", entgegnet Zeynep Tufekci auf die Frage, ob die Welt ohne Social Media besser war.
Die Wissenschaftlerin ist auf Facebook aktiv; sie twittert selbst rege und macht beim Kurznachrichtendienst deutlich, dass sich soziale Medien wandeln müssten. So legte sie bereits Facebook nahe, den individuellen Userfeed an den Interessen des Nutzers auszurichten. Bisher wird aus Tufekcis Sicht bei Mark Zuckerbergs Team darauf geachtet, dass der Algorithmus die Beiträge so priorisiert, dass der User möglichst lange auf der Plattform bleibt. Sie bedauert, dass selbstlernende Anwendungen und große Datenmengen vor allem der Werbeindustrie zugutekommen.
Die Macht Sozialer Medien hat die Wissenschaftlerin genau durchleuchtet. Tufekcis Buch "Twitter and Tear Gas: The Power and Fragility of Networked Protest", veröffentlicht von Yale University Press im Jahr 2017, untersucht Dynamik, Stärken und Schwächen sozialer Bewegungen des 21. Jahrhunderts. In ihrem Werk analysiert sie die Stärken und Schwächen des Einsatzes digitaler Tools zur Mobilisierung einer großen Anzahl von Menschen. Tufekci beschreibt darin die weltweiten Protestbewegungen einschließlich des Arabischen Frühlings, der Occupy Wall Street und die zapatistischen Aufstände in Mexiko, die über Soziale Medien organisiert wurden.
In jüngster Zeit hat die Soziologin wiederholt für eine Weichenstellung bei Facebook &Co. plädiert. Zeynep Tufekci spricht sich für eine Erneuerung der Medienlandschaft aus, die eine staatliche Regulierung vorsehen könnte.
Auch wünscht sie sich mehr Zusammenarbeit und Austausch zwischen Forschern und Unternehmen mit ihren Daten. Wohl wissend, dass an Facebook & Co keiner mehr vorbeikommt: "Wenn Sie keine sozialen Medien nutzen, sind Sie aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen", betont Zeynep Tufekci.
Für Zeynep Tufekci gibt es verschiedene Möglichkeiten, die "Schwächen" von Facebook, YouTube, Twitter und anderen sozialen Plattformen auszugleichen. Sie hat bereits eine Paid-Content-Variante ins Spiel gebracht; angemessene Bezahlung fürs Posten und Liken, wenn dafür Werbung außen vor bleiben könnte.
Sollten sich Dienste dem öffentlichen Interesse verschreiben, könnte sich die Techno-Soziologin auch eine Finanzierung durch Steuern vorstellen.
"We are at a historic turning point as our public sphere our society undergoes a technology-fueled transition."
Zeynep Tufekci
Aus Tufekcis Sicht drängt die Zeit. "Vom Geschäftsmodell bis zum Online-Algorithmus gibt es viele Fragen, die eine öffentliche Diskussion in dieser interessanten, herausfordernden und sogar gefährlichen Phase erforderlich machen. Wir schaffen gerade die Infrastruktur für ein neues Medienzeitalter."
Die Wissenschaftlerin Zeynep Tufekci wird als Keynote-Speakerin beim Mediengipfel der 33. Medientage München am 23. Oktober 2019 auftreten.