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Cookies und Corona: Was den Werbemarkt bewegt

Geschrieben von Petra Schwegler | 24. November 2020

Wie geht es mit digitaler Werbung in einem heiß umkämpften Online-Markt weiter, der neue Datenquellen auftun muss? Welche neuen Wege der Kundenansprache beschreiten Werbungtreibende? Wo ist das Potenzial nach der Corona-Krise am größten? Fragen rund um Media und Marketing, die in verschiedenen Sessions der MEDIENTAGE MÜNCHEN digital erörtert wurden. 

Welche neuen Rezepte für digitale Werbung gibt es im Post-Cookie-Zeitalter? Diese Frage wurde im Rahmen der #MTM20l mit verschiedenen Ansätzen beantwortet. Rund 10 Monate, nachdem auch der letzte Browser das Setzen der kleinen Textdateien ausgeknipst hat. Daten über das Nutzerverhalten für eine bessere Aussteuerung für Werbung sind damit von der Zustimmung der Nutzer*innen abhängig geworden oder fallen nur noch dort gehäuft an, wo sich User*innen in den geschlossenen digitalen Ökosystemen der großen Digitalkonzerne eingeloggt bewegen.

Sven Bornemann will als Vorsitzender der Stiftung European netID Foundation (2018 von der Mediengruppe RTL gemeinsam mit ProSiebenSat.1 und United Internet gegründet) eine europäische Lösung etablieren. Das Ziel ist eine einmalige Authentifizierung der Nutzer*innen für alle Webseiten – auch als Alternative zu Google, Facebook und Co.. Für die Post-Cookie-Ära zeichnen sich aus seiner Sicht drei alternative Ansätze ab:

  • die Authentifizierung über einen Identifyer, wie sie netID ermöglicht,
  • das Sandbox-Projekt von Google, bei dem die Privatsphäre gewahrt bleiben soll, obwohl zielgerichtete Werbung ausgespielt wird,
  • kontextuale Werbung, die sich an den ausgewählten Inhalten orientiert und die der niederländische Digitalvermarkter Ster einsetzt. Dabei wird das Nutzerverhalten über die Inhalte der aufgerufenen Seiten analysiert, die zuvor über Subtitles gekennzeichnet wurden.

Die Werbewirkungsmessung muss entsprechend mitziehen. Dies will unter anderem der Marktforscher Kantar mit dem Projekt Moonshot, das über Partnerschaften mit großen Playern wie Amazon, Google, Roki oder Pandora deren Daten integriert.

Für die crossmediale Wirkungsmessung kommen dann verschiedene Verfahren zum Einsatz. Zur Datenerhebung werden Kantar zufolge die User*innen eingeladen, an einer Befragung durch das konzerneigene Konsumentenpanel teilzunehmen. Die Werbekontakte könnten schließlich mit Hilfe von Tagging nachvollzogen werden. Im Rahmen der #MTM20 riefen die Marktforscher deutsche Vermarkter, Werbungtreibende und Agenturen zur Teilhaben auf, um Lücken zu schließen.

Auch die Media- und Marktforscher von Nielsen haben übrigens jetzt eine technische Lösung für die Reichweiten- und Werbemessung vorgestellt, die ohne Cookies auskommen soll. Die ID-basierte Lösung soll plattformübergreifend funktionieren. 

 

 "Digital Giants" treiben die Branche vor sich her

Die Furcht vor einem Daten-Kartell im Werbemarkt ist nicht unbegründet: Die drei globalen Digital-Plattformen Google, Facebook und Amazon zählen zu den wenigen Gewinnern der Corona-Krise, die den Medienmärkten generell schwer zugesetzt hat. Die „Digital Giants“ werden 2020 in Deutschland erstmals einen Werbemarktanteil von etwa dreißig Prozent erreichen. So lautet eine aktuelle Prognose der Organisation der Mediaagenturen (OMG).

Bei den MEDIENTAGEN wurde nun über das Risiko diskutiert, dass aus dieser Marktmacht ein Datenkartell entstehen könnte – allen voran durch zwei Projekte, die von Google forciert werden:

  • Der US-Konzern hat im August 2019 angekündigt, Third Party Cookies zu blocken und den eigenen Browser Chrome über die Sandbox-Technologie so weiterzuentwickeln, dass darauf alle Daten verarbeitet werden können, die für den Werbemarkt relevant sind: von den User-Daten über die Preisfindung bis hin zu den Kampagnenberichten. Hat ein Nutzer einmal zugestimmt, wird sein gesamtes Nutzungsverhalten über eine Software im Browser aufgezeichnet.
  • Davon unabhängig hat der globale Werbeverband, die World Federation of Advertisers (WFA), ein Projekt für einen globalen marktübergreifenden Bewegtbildstandard zur crossmedialen Leistungsmessung gestartet. Das technische Design hierfür wird wiederum maßgeblich von Google entwickelt und gestellt. Der neue Ansatz wird durch die AGF Videoforschung als neutrales Joint Industry Committee (JIC) geprüft. Vollständige Transparenz, Neutralität, Unabhängigkeit und die Einhaltung von Regeln soll gewährleistet werden.

Dorothee Belz vom Beratungsunternehmen Go Digit stellte die Projekte und ihre möglichen Implikationen für den Markt vor. Sie befürchtete: „Google hat mit beiden Projekten das Potenzial, das weltumspannende Ökosystem für den Werbemarkt zu werden.“ Nutzerprofilierung, Kampagnensteuerung und Preisfindung würden komplett von Google übernommen. „Das Unternehmen werde damit zu einem Gatekeeper der digitalen Werbewelt“, so Belz.

 

Warum das Ganze?

Die werbungtreibende Wirtschaft möchte eine marktübergreifende Reichweiten- und Nutzungsmessung haben, auf Basis eines einheitlichen Standards für den zunehmend fragmentierten Bewegtbildmarkt aus linearem Fernsehen und non-linearen Online-Video-Angeboten. Dorothee Belz ordnete ein: Natürlich berge ein weltweiter Standard für vergleichbare Messsysteme große Vorteile, allerdings dürfe Google dadurch nicht zu einem universellen Kampagnenanbieter auch für nationale Medien wie etwa TV-Programmanbieter werden.

Andrea Tauber-Koch, Media-Managerin der Commerzbank AG und stellvertretende Vorsitzende der Organisation der Werbungtreibenden im Markenverband (OWM), hielt fest: „Wir wollen eine Lösung, die komplett transparent und nachvollziehbar ist, und werden nicht dulden, dass einzelne Player hier die Oberhand gewinnen.“ Die OWM-Vertreterin räumte ein, dass auch ihr Verband die Marktanteilsgewinne der Digital Giants mit Sorge beobachte. „Auf deutscher und europäischer Ebene sehen wir hier die Wettbewerbspolitik gefordert, die nötigen Konsequenzen zu ziehen“, forderte Tauber-Koch.

Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, erklärte, dass seiner Behörde die Vorbehalte gegen Google, Facebook und Amazon sehr bewusst seien. Es handle sich um große Digitalunternehmen, die einerseits Infrastruktur für Dritte zur Verfügung stellten und andererseits selbst auf diesen Plattformen ihre Dienste anböten.

„Bei solchen Hybrid-Plattformen sehen wir immer ganz genau hin, denn hier kann es zu Interessenskonflikten kommen und das Missbrauchspotenzial wie etwa bei Google groß sein.“ Sein Amt sehe sich im Spannungsfeld zwischen einer äußerst dynamischen digitalen Wirtschaft und dem Anspruch, eine saubere rechtliche und ökonomische Beurteilung vornehmen zu müssen.

Hoffnungen setzte Mundt dabei auf die anstehende Novellierung des Kartellrechts. Dadurch könne seine Behörde künftig Unternehmen identifizieren, die eine überragende marktbeherrschende Stellung einnehmen, so genannte supermarktbeherrschende Unternehmen. Diesen könnte das Bundeskartellamt in Zukunft schon im Voraus bestimmte Verhaltensweisen untersagen.

 

Alternativer Weg der Kundenansprache: Voice

Daneben spielt beim digitalen Marketing der Unternehmen auch Voice eine immer größere Rolle. Wie sich Marketer auf das „Age of Voice“ vorbereiten, stellte Christian Daul während der MEDIENTAGE MÜNCHEN digital vor. Er ist Geschäftsführer der seit 15 Jahren auf Markensprachen und Markenbilder spezialisierten Fullservice-Agentur Reinsclassen. Wer vorne mitspielen wolle, brauche eine eigene Corporate oder Brand Language, die eine Balance zum visuellen Auftritt herstelle sowie eine konsistente Voice Strategie, erklärte Daul. Entsprechend gelte es, das Thema Audio im Unternehmen höher zu bewerten und vor allem Voice Search sehr ernst zu nehmen.

„Entscheidend für Marken ist es, bei der Sprachsuche auf Position eins der Suchergebnisse zu landen“, so Daul. Um im Wettbewerb mit Onlinemarken bestehen zu können, sei eine starke Corporate Identity und Markenpersönlichkeit unumgänglich. Die Sprache einer Marke, die Corporate Language, sei ein wesentliches Merkmal dieser Persönlichkeit.

„Erfolgreiche Marken schaffen einen Mehrwert mit einem einzigen Wort“, sagte Daul. Als Beispiele für dieses „One Word Capital“ nannte er die Automarke BMW, die seit Jahren für „Freude“ stehe.

 

Marken nutzen zunehmend Audio und eigene Kanäle

Immer mehr Unternehmen setzen indes auf „Owned Media“, auf Markenkommunikation in eigenen Kanälen. Auch dabei kommt Voice ins Spiel: mit Corporate Podcasts. Bei der Deutschen Telekom AG wird die Vielzahl von Podcasts sogar in einem Hub gebündelt. Und das Portfolio wächst weiter: Jetzt soll noch ein neues True-Crime-Angebot mit wahren Fällen folgen, kündigte Head of Podcasts Lina Brinkschulte bei den #MTM20 an.

Die Managerin bezeichnete Podcasts als „optimales Medium“, weil diese Audio-Kommunikation überall und jederzeit genutzt werden könne. Nach ihren Erfahrungen bekämen die Nutzer zudem das Gefühl, „ein Freund“ spreche zu ihnen. Entscheidend für den Erfolg seien die Qualität der Beiträge sowie das Durchhaltevermögen im Unternehmen. Und natürlich: „Podcasts müssen einfach erreichbar sein.“

Während der MEDIENTAGE bestätigte auch Stephan Ippers die große Bedeutung der Erreichbarkeit. Der Manager, der bei Audi in der Mitarbeiterkommunikation und Medienentwicklung tätig ist, setzte daher vom Start des Firmen-Podcasts an auf einen barrierefreien Zugang über Web, Spotify und Co. Der Erfolg der ersten Ausgabe habe ihn selbst überrascht, verriet Ippers, der allerdings eindringlich warnte: „Man kann nicht jedes Thema in einen Podcast reindrücken.“

In diese Richtung argumentierte auch Olaf Wolff. Der Executive Client Partner bei der Agentur Saatchi & Saatchi sagte im Rahmen der Videokonferenz: „Am Anfang sollten sich Unternehmen nicht zu viel vornehmen.“ Er empfahl, zunächst geeignete Themenfelder für Corporate Communication zu besetzen und dabei genau auszusuchen, wozu sich ein Unternehmen äußern will oder eben auch nicht. Um sich für den schnelllebigen Wandel im Social-Media-Sektor zu wappnen, solle eine treue „Followerschaft“ aufgebaut werden, die dem Unternehmen im Zweifel auch auf den nächsten Kanal folge.

 

Wie geht die Branche mit dem Corona-Dämpfer um?

Die Corona-Pandemie trifft auch die Werbebranche hart. Budgets wurden gekürzt, Kampagnen eingestellt – nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus Verunsicherung. Bei MEDIENTAGEN MÜNCHEN erzählten einige „Mutmacher“ aus der Werbebranche ihre ganz persönlichen optimistischen Geschichten. Holger Thalheimer etwa, Geschäftsführer der an der aktuellen Südtirol-Kampagne beteiligen Agentur PHD (eine Tochtergesellschaft der Omnicom-Gruppe), hat gerade wegen der Corona-Krise ein internes Projekt gestartet.

Unter dem Motto „Wenn dir das Leben Zitronen gibt, mache Limonade draus“ startete die Agentur die Plattform „Let’s Make Lemonade“ unter anderem mit einem Blog und einer Podcast-Serie, die über Spotify und andere Kanäle Branchenexperten-Interviews zum Thema „Erkennt, welche Möglichkeiten es in der Krise gibt“ bietet.

Andrea Malgara, Geschäftsführer der Mediaplus Gruppe, verwies auf eine Erhebung der eigenen Mediaagentur, wonach diejenigen Unternehmen, die weiter investierten, ihre Marktanteile erhöhen konnten. So seien während der Dotcom- und der Finanzkrise etwa 20 Prozent der untersuchten Anbieter von Marken mutig gewesen und hätten weiter investiert. Sie hätten ihren Marktanteil um etwa 40 Prozent gesteigert. „Diejenigen, die ein Krisenverhalten gezeigt und Investitionen gekürzt haben, verloren dagegen 16 Prozent Marktanteil“, erklärte Malgara.

 

Streaming und Smart TV als Treiber im Markt

Viel Potenzial für Bewegtbildwerbung sahen Branchenexpert*innen während des Smart-TV-Specials Connect@MTM20, angetrieben durch die rasant gestiegene Nachfrage im Streaming-Bereich und auch durch Werbetechnologien wie Addressable TV, die das Beste aus der analogen und digitalen Welt auf sich vereinen. ATV heißt das neue Zauberwort für den Brückenschlag zwischen linearer und non-linearer Welt. Dabei werden digitale Werbemittel gezielt auf Smart-TV-Geräte ausgespielt, die an das Internet angeschlossen sind.

Noch sprach sich Stefanie Jäkel, General Director Strategy & Development bei Ad Alliance, dem Vermarktungsverbund des Bertelsmann-Konzerns, für den Ausbau der technischen Reichweite bei Video Ads aus. Dies liege an den hohen Anforderungen an das Gerät, an der Distribution oder an den limitierten Online-Bandbreiten in den Haushalten, aber auch an den derzeit noch unterschiedlichen technischen Systemen (HbbTV, Red Button). „Wir brauchen einen einheitlichen Standard und müssen hierfür mit den Geräteherstellern und Infrastrukturanbietern Allianzen bilden“, sagte Stefanie Jäkel.

Dieser Forderung schloss sich auch Oliver Friedrich an. Er ist im deutschsprachigen Raum für Broadcast & Entertainment bei Google zuständig. Für die weitere Marktentwicklung erwarte er in den nächsten fünf Jahre einen großen Wandel in Richtung Streaming-Technologie und gab zu überlegen, dass die europäischen Standards diese Entwicklung reflektieren sollten. Alle Beteiligten wünschte er sich daher an einen Tisch.

 

Passend zu diesem Blog-Thema können Sie die MEDIENTAGE MÜNCHEN im neuen Podcast nachhören. Unter anderem mit Werbung befasst sich Folge 11.
Die Video-Aufzeichnungen vieler Sessions sind noch bis Ende November on Demand über den folgenden Link verfügbar: https://medientage-digital.de.
Außerdem stehen Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial auf der Medientage-Homepage in der Mediathek und auf https://medientage.de/pressemitteilungen/

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