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Corona-Krise hebt Social TV auf neues Niveau

Geschrieben von Petra Schwegler | 28. Mai 2020

Social TV war bereits für viele Alltag, als die Corona-Pandemie im Frühjahr über uns hereinbrach. In nur rund acht Wochen haben sich seither im Leben der Deutschen digitale Medienangebote massiv ausgebreitet. Ein Fazit des 9. Deutschen Social TV Summits lautet: "Eine Veränderung, die normalerweise Jahre dauert, fand jetzt komprimiert in Monaten statt."

"Fast jeder streamt live." Digitalexperte Bertram Gugel fasst so beim Online-Event der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) die neuesten Entwicklungen im Social TV zusammen – zum "Jubiläum", denn seit rund zehn Jahren existiert das Phänomen. Mit einem deutlichen Schub ab dem Jahr 2013, als große TV-Player wie ProSiebenSat.1 den Wert von YouTube und anderen Bewegtbildkanälen entdeckten und sich dort mit eigenen Engagements einschalteten.

Inzwischen sieht Gugel zwei Level von Social TV erreicht: die Personalisierung des TV-Programms sowie die Interaktion mit und über Fernsehinhalte. Nur bei der Virtualisierung des sozialen Kontextes gebe es noch Nachholbedarf. Oder kurz: TV in Social hat gut geklappt, Social in TV muss noch besser werden.

Eigentlich hat Gastgeber Siegfried Schneider, Präsident der Münchner BLM, die Frage im Motto des Online-Gipfels "Social TV in schwierigen Zeiten. Wetten, dass es weitergeht?" selbst beantwortet. Schneider: "Soziale Medien sind in Zeiten von Corona mehr denn je das Tor zur Welt. Nichts geht mehr ohne virtuelle Vernetzung. Noch nie sind in so kurzer Zeit so viele innovative digitale Formate entstanden."

 

Not macht erfinderisch

Nehmen wir nur das Münchner Beispiel von Oliver Rothstein, Mitbegründer der Social-TV-Plattform One München. Förmlich über Nacht und ohne finanzielle Mittel hat der Unternehmer eine Plattform für Künstler im Netz geschaffen, denen die analoge Bühne weggebrochen ist. Auch dank der Solidarität durch Mitwirkende, die unentgeltlich und mit viel investierter Zeit eine Art lokalen Pop-up-Kanal für Kunst und Musik stemmen. Zur Verbreitung werden Facebook, YouTube, Instagram, Twitch und Co. genutzt.

Und was bleibt vom digitalen Frühjahrserwachen durch Corona?  Rothstein: "Die Optimisten werden den Turbo-Booster der Digitalisierung mitnehmen. Die, die den Knall immer noch nicht gehört haben, werden noch mehr unter Druck stehen."

Ähnlich sieht es Stephan Bayer. Der Gründer und Geschäftsführer der Berliner Online-Lernplattform sofatutor berichtet jetzt, nach der heißen Phase des Homeschoolings, von so vielen Zugriffen pro Woche (1,5 Millionen) wie zuvor in einem Monat. Bewiesen sei damit, dass digitales Lernen angenommen werde und funktioniere. Mit Blick auf den künftigen Lehrermangel eine wichtige Erkenntnis für die Zeit "danach". Bayer wünscht sich für die Zukunft eine Art Matchmaking aus Corona-Learnings und Problemen im Bildungssystem.

 

Die notgedrungene Digitalisierung des Unterrichts hat einen nachhaltigen Effekt, denn Lehrer mussten jetzt im digitalen Kosmos schwimmen lernen.

Stephan Bayer

 

Wie läuft es in Corona-Zeiten für die Aushängeschilder des Social TV , die Influencer*innen? Laut Sarah Kübler, Gründerin und Geschäftsführerin von HitchON, haben viele durchaus momentan Schwierigkeiten zu reisen, was oft für den Job wichtig sei.

Doch andere Bereiche wie Unterhaltung und Games hätten jetzt einen richtigen Aufschwung erlebt. Neue Plattformen würden bespielt, jede in einer eigenen Sprache. Küblers Tipp: "Auf TikTok ist Kreativität der King." All das registriert sehr wohl die werbungtreibende Wirtschaft:

 

Was tun, um das Wachstum im Netz zu befeuern? Auf Social Media ehrlich und nachhaltig zu agieren – dafür spricht sich Marketingexperte Michael Umlandt aus. Vom "Wachstum mit allen Mitteln", teilweise mit Hilfe von Growth Hacking und "mit miesen Tricks" wie Clickbaiting, rät er ab:

 

Einer, der ganz in den neuen Möglichkeiten von Bewegtbild aufgeht, ist Thomas Elstner. Der Sohn des TV-Entertainers Frank Elstner ist in der klassischen Fernsehwelt aufgewachsen und hat dort lange als Produzent gewirkt. Dem Preisdruck und dem Jugendwahn der Branche hat er den Rücken gekehrt.

Nun schwärmt Thomas Elstner im Interview mit Geraldine de Bastion in seinem Berliner Büro: "Das Tolle heutzutage ist, dass man alles ausprobieren kann. Das ist eine riesengroße Freiheit." Die der Sohn des "Wetten dass ...?"-Erfinders so auslegt, dass er mit seiner Agentur zooagency nach einem Testlauf eines Revivals des TV-Klassikers auf YouTube die Show demnächst zu Netflix bringt. Fünf Folgen der ersten Staffel hat er zusammen mit seinem Vater Frank für den Streaming-Anbieter produziert.

 

Wo bleibt das TV bei der Lust an Social TV und Streaming ?

Diese Frage hat sich ein Team der Universität Münster um Professor Thorsten Hennig-Thurau bereits vor ca. einem Jahr gemeinsam mit der Unternehmensberatung Roland Berger gestellt. Rund 1600 Bürger*innen im Alter zwischen 16 und 69 Jahren wurden befragt. Herauskristallisiert haben sich diese Entwicklungen und Prognosen:

  • Insbesondere bei jüngeren Zuschauer*innen nimmt das Abo-Streaming gegenüber linearer Fernsehnutzung zu, unabhängig vom Grad der Bildung.
  • Für Anbieter sind hochwertige Inhalte, richtige Distributionsmodelle und gute Monetarisierungsmodelle zentral, um relevant zu sein. Im Wettbewerb mit Netflix und Co. müssten TV-Anbieter beispielsweise bei der Monetarisierung noch nachbessern.
  • Der Markt der eigenproduzierten Inhalte ist sehr eng geworden, weil etwa Disney keinen Content mehr verkauft und lieber den eigenen neuen Streaming-Dienst Disney+ bestückt. "Das ist eine große Schwierigkeit für TV", so Hennig-Thurau.
  • Die lineare Fernsehnutzung wird ihm zufolge bei den jungen Zuschauern bis 2028 in jedem denkbaren Szenario zwischen 20 und 40 Prozent abnehmen.

Eine weitere Analyse geht auf die Veränderung des Publikums-Verhaltens allein während der Corona-Zeit ein. Demnach legte zwar die Nutzung von klassischem TV zwischen Februar und April 2020 über alle Altersgruppen hinweg um 4,2 Prozent zu, Streaming wurde indes von Jung bis Alt zu rund 19 Prozent mehr genutzt.

 

Auch TV kann von Corona profitieren

Im Gespräch mit Moderator Michael Praetorius hat Guido Modenbach, Geschäftsführer Market Intelligence beim ProSiebenSat.1-Vermarkter SevenOne Media und Mitglied im Aufsichtsrat der AGF Videoforschung, die Zukunft des linearen Fernsehens weniger düster dargestellt. Beispiele wie die ProSieben-Shows "The Masked Singer" und "GNTM" mit einem Acht-Jahreshoch zeigen aus seiner Sicht, dass sogar jüngere Zuschauer*innen ans Fernsehen gebunden werden könnten: "Das Fernsehen ist ganz und gar nicht tot. Das hat es gerade jetzt während Corona bewiesen", so Modenbach.

Zudem sei ein TV-Konzern wie ProSiebenSat.1 breiter aufgestellt als die streamende Konkurrenz und spiele auf mehreren Ebenen mit: "Fünf Prozent des deutschen YouTube-Contents kommt übrigens aus dem Hause ProSiebenSat.1", rechnet der TV-Manager vor.

Für Michael Praetorius kommen "Wolken aufs TV zu". Doch von Jacke und Ausrüstung dürfte abhängen, wie nass die Sender werden.

 

XPLR: Media in Bavaria, ein Schwesterunternehmen der Medientage München, hat den
9. Social TV Summit der BLM mit einem Liveblog begleitet. Zur Nachlese geht es hier entlang.

 




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