Die Lust am Hören ist gewachsen – nicht erst seit der Corona-Pandemie. Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN 2021 wurde deutlich: Die Entwicklung neuer digitaler Technologien bietet vor allem im non-linearen Markt Chancen für frische und kreative Formate sowie neue Formen der Finanzierung.
Auch wenn offenbar der deutsche Markt, verglichen mit den USA, noch zu klein ist, um wirtschaftlich tragfähige Erlöse zu erzielen: Der Podcast boomt. „Der Markt ist mini“, räumte Katharina Frömsdorf, Geschäftsführerin der Seven.One AdFactory, angesichts der vielfach höheren Erlöse in den Staaten ein. Ihr Haus ProSiebenSat.1 setzt auf Native Ads für die Vermarktung von Werbung im Podcast-Umfeld.
Für Steffen Hopf, Geschäftsführer vom auf Podcast-Werbung spezialisierten Unternehmen Julep Media, zeigt der Trend, dass das Ausspielen von Werbeformaten mithilfe von personalisierten zielgruppenspezifischen Werbeinhalten (Dynamic Ad Insertion, DAI) einfacher, besser und mit weniger Aufwand verbunden ist als im Fall von Baked-in-Werbung, bei der Werbebotschaften Teil eines Podcast-Inhalts sind und sich davon während der gesamten Lebensdauer des Podcasts nicht mehr trennen lassen. Das DAI-Verfahren ermögliche es hingegen, diese Podcasts später nochmals mit aktuellen Werbebotschaften zu bestücken.
Erfolgsrezepte für das „bedeutende Meinungsmedium“ Podcast lieferte am Audio-Tag der Medientage 2021 das Podcast-Special. Zur Einordnung: Nach Einschätzung der Moderatorin Tina Jürgens (Foto oben rechts), Geschäftsführerin von zebra-audio.net, gibt es derzeit etwa 70.000 deutschsprachige Podcasts und etwa 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nutzten laut Online-Audio-Monitor 2021 das Medium. Sie sah bereits ausreichende Erlöspotenziale fürs Genre. Jürgens: „Mit Podcasts kann man gut Geld verdienen, sage ich als Vermarkterin.“
Die Vermarktungspotenziale standen in der Session „Money Perspectives“ im Fokus. Sofia Hellsten, Direktorin beim Audio-Spezialisten Acast für den Bereich Creative in der EU, schilderte den Trend zu langen Formaten, die Werbetreibenden Raum für ihre Botschaften geben: Nach ihren Beobachtungen liegt die Nutzungsdauer von Podcasts im Schnitt bei 28 Minuten. Zu den etablierten Werbeformen zählen, so berichtete Hellsten, Host Reads, Ads und Branded Content. Bei der Gestaltung empfahl sie, die persönliche und intime Nutzungssituation zumeist über den Kopfhörer zu berücksichtigen und zum Beispiel eine laute Ansprache zu vermeiden. Besonders wirkungsvoll und im Trend, beobachtet sie, sei 3D Audio.
Während der Session „Strategic Perspectives“ standen auch andere Aspekte im Fokus: Für Spotify seien Podcasts vor allem eine wichtige Säule, um zur „größten Audio-Entertainment-Plattform der Welt“ zu werden, erläuterte Saruul Krause-Jentsch, die bei Spotify als Head of Studios für Deutschland, Österreich und die Schweiz arbeitet. Neben der Zielgruppe Gen Z spreche die Plattform deshalb vor allem Menschen an, die bislang noch nicht das Medium Audio-Streaming nutzen. Künftig wolle Spotify daher Angebote für Ältere wie den Maischberger-Podcast forcieren und neue Hörerlebnisse durch Live-Audio- oder Musik-Talk-Formate schaffen.
Auch die Süddeutsche Zeitung verfolgt mit Podcasts strategische Ziele: „Wir wollen unsere Recherchen in Audio-Form übersetzen und neue Zielgruppen ohne SZ-Abo erreichen“, berichtete Laura Terberl, Leiterin Audio/Video bei der SZ. Sie empfahl, mehr in Nutzungssituationen zu denken: „Wann hört jemand und warum? Welches Bedürfnis wird erfüllt?“
Bei den hybrid organisierten #MTM21 wurden neue Ideen für die Audiowelt in kurzen „Innovation Pitches“ präsentiert. So stellte beispielsweise Sveriges Radio News Clips als Playlisten vor. Eltern als Zielgruppe haben sich die Macher:innen von Family Punks ausgesucht – mit Audio-Coaching-Kursen.
Wie der WDR mit synthetischen Stimmen experimentiert, stellten Christina Schamp, Innovationsmanagerin beim WDR Innovation Hub, und Julian Rudolph, Data & AI Lead Media von Microsoft Deutschland vor. Matthias Karg, Mitgründer und Einkaufsvorstand von Angle Audio, führte vor, wie Audioanbietern die Integration eines „Social Rooms“ in bestehende Apps ermöglicht wird. Das soll gute Gespräche dort zugänglich machen, wo sie relevant sind.
Valerie Weber, WDR-Programmdirektorin NRW, Wissen und Kultur gab sich im Rahmen der Audio-Sessions der #MTM21 überzeugt, dass das Lineare noch zu retten ist. Doch es reiche nicht mehr aus, Angebote zu bieten, die darauf perfektioniert sind nicht zu stören. Auch ein „guter Charakter“ eines Programms reiche nicht mehr aus.
Die neuen Sinnmärkte erforderten mehr: eine Mission innerhalb eines Wertesystems. Denn diese Gesellschaft suche heute nach Botschaften, nach Mustern und nach nachhaltigen Werten, so die WDR-Managerin.
In diesem Zusammenhang plädierte sie dafür, auch gerade in den Nachrichten und bei der Moderation die Leute fest anzustellen, sie so stärker an die Marke zu binden. Denn es gibt viel zu tun: „Das Überleben des Linearen wird mit der Exklusivität der Inhalte entschieden“, so die These von Weber.
Zu „Radio und Auto: Eine alte neue Liebe“ bleibt zu sagen: Hörfunk ist nach wie vor der meistgenutzte Medieninhalt im Automobil, wie die On-Track-Studie der Düsseldorfer Landesanstalt LfM bestätigte. Doch die Auffindbarkeit von Programmen im Fahrzeug, die Bedienbarkeit und die visuelle Komponente lassen jedoch zu wünschen übrig.
Christian Hufnagel, Co-Founder des SWR Audio Lab, fasste die Lage so zusammen: „Das Radio ist ein Entertainment-Produkt. Die Displays werden jedoch größer, Bedienkonzepte ändern sich, und oft verschwindet da der Radioknopf, den wir kennen und lieben. Radiostationen müssen sich also heute schon engagieren, um nicht den Anschluss im Fahrzeug-Entertainment zu verlieren“, so sein Appell an die Gattung.
Projektmanagerin Partnerschaften und Kooperation bei der Landesanstalt für Medien NRW (Foto: MTM)
Autonomes Fahren sei nicht mehr so weit entfernt, wie einige denken, ergänzte Lars Hanses, der bei der Daimler AG den Bereich Entertainment Strategie und Framework leitet. „Da wird unser Verhalten nicht anders sein als beim Fliegen – wir konsumieren Medien. Und dafür wollen wir als Automobilhersteller die Quellen anbieten, die Kund:innen sich wünschen.“ Sein Appell an Broadcaster: Inhalte müssten personalisierbar und schnell auffindbar sein – dafür brauche es vor allem weltweit funktionable Lösungen. „Denn als Automobilhersteller kann man einzelnen Radiosendern keine Sonderleistungen gewähren und auf ihre speziellen Schnittstellen ins Auto eingehen.“
Auf die Frage von Moderator Andreas Horchler, Gründer und Geschäftsführer des Podcast-Spezialisten podcon, wie wir Radioprogramme in zehn Jahren hören werden, formulierte Hufnagel klar: „Wir stehen hier noch ganz am Anfang. Unsere Aufgabe ist es, zu zeigen, dass Radio sich weiterentwickeln kann. In zehn Jahren wird das Radio flexibler, individueller, personalisiert zugeschnitten und ein Mix aus Linear- und On-Demand-Audio sein – und visuell ansprechend natürlich.“
In einem Punkt herrschte darüber hinaus große Einigkeit: Die Vernetzung von Automobilindustrie und Medienbranche muss vorangetrieben werden, damit die alte Liebe zwischen Audio und Auto bestehen bleibt.
Die Video-Aufzeichnungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sind noch bis Ende November on Demand verfügbar.
Außerdem stehen die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München. Folge 50 pickt die Highlights des Audio-Tages der #MTM21 auf.