Medientage München - Blog

Der gesellschaftliche Auftrag von Werbung

Geschrieben von Petra Schwegler | 22. November 2022

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation: Das Umfeld für Werbung ist schwierig geworden. Der andauernde Krisenmodus drückt Stimmung und Konsumlaune der Menschen. Plädoyers für Reklame mit Haltung in Krisenzeiten und Appelle, bei „grüner“ Werbung am Ball zu bleiben, haben die Diskussionsrunden des Marketing-Tracks im Rahmen der #MTM22 geprägt.

 

„Besonders in schwierigen Zeiten sollten Marken präsent bleiben, denn was sie jetzt an Bekanntheit verlieren, können sie später nur schwer wieder aufholen“: Mit diesem Appell richtete sich Martina Vollbehr, Geschäftsführerin der Agenturgruppe pilot, bei den Medientagen München an die werbungtreibende Industrie.

Die Mediaexpertin warnte mit Blick auf die Ergebnisse der hauseigenen Studienreihe pilot Radar davor, nicht ebenfalls in eine Krisendepression zu verfallen und in der Folge die Budgets zu reduzieren. Die Agenturgruppe fragt seit Beginn der Corona-Pandemie regelmäßig Stimmungen und Einstellungen der Deutschen ab.

Vollbehrs Fazit: „Das Umfeld für die Werbebranche ist schwieriger geworden. Aber wir konnten auch deutlich erkennen, dass Werbung einen gesellschaftlichen Auftrag hat.“ So könne Werbung den Konsum und damit die Wirtschaft antreiben, soziale Bezugspunkte im Alltag schaffen sowie Medien und Informationen finanzieren.

Wie wichtig es ist, in einem wachsenden Umfeld mit Fake News die „richtigen“ Medien mit Werbung zu unterstützen, hatte zuvor Manfred Kluge, Chairman DACH der Omnicom Media Group, in einem Gespräch im Rahmen der Medientage München 2022 verdeutlicht.

 

Vor Aktionismus wird gewarnt!

Matthias Storath, Chief Creative Officer der Agentur Heimat Berlin, sah bei den #MTM22 diejenigen, die es sich leisten können, sogar „moralisch in der Pflicht, Geld auszugeben“. Aber er beobachte, „dass archaische Mechanismen greifen und bei 80 Prozent der Kunden die langfristigen Ziele die ersten Opfer einer Krise sind“.

Wenig hielt der Topkreative davon, aktionistisch auf den Zug der Produkt- oder Preiskommunikation aufzuspringen und sich „als Discounter“ zu positionieren. Storath: „Es werden vor allem die Marken erfolgreich aus der Krise kommen, die auch weiterhin in ihre Markenkommunikation investieren.“ Die Aufgabe unserer Zeit sei es vielmehr, „Optimismus und ein gutes Gefühl“ zu vermitteln, so der Heimat-Manager.

pilot-Geschäftsführerin Martina Vollbehr gab einschränkend zu bedenken, dass gerade in schwierigen Krisenzeiten für die Konsumentenansprache stärker in Segmenten gedacht werden müsse. Unternehmen sollten auch überlegen, wie sie über intelligente Maßnahmen Verantwortung übernehmen könnten für die Käufergruppen, die ihren Konsum einschränken müssten.

Für Melanie Lauer (Foto oben), Geschäftsführerin von Kettler/Trisport, gehörten Lifestyle-Produkte wie Fitnessgeräte zu den Produkten, auf deren Kauf die Menschen eher verzichten, wenn sie sparen wollen oder müssen. Sie empfahl bei Werbemaßnahmen ein sorgsames Austarieren: „Natürlich veranstalten wir Rabattaktionen wie die Black Week für Händler, die die Lager voll haben, setzen aber parallel dazu auch auf Branding-Effekte wie das Bundesliga-Sponsoring, um einen positiven Spirit zu vermitteln.“

 

Wie sich Krise auf Nachhaltigkeit auswirkt

Wenn gespart werden muss – geht das auf Kosten der Nachhaltigkeit? Was tun Werbungtreibende in der Krise, die sich „grün“ positioniert sowie ihre Werbung und Produkte entsprechend ausgerichtet haben?

Entwarnung bei diesen Fragen gaben bei den #MTM22 gleich mehrere Expert:innen. Laut Catherin Ann Hiller, Geschäftsführerin der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) und Leiterin Strategic Marketing bei der Funke Mediengruppe, haben Kampagnen rund um Nachhaltigkeit noch Konjunktur: „Gut gemachte grüne Werbung konnte sich schon vor Corona gut durchsetzen, hat während der Corona-Pandemie Verstärkung erfahren und trotzt bis heute der Kostenkrise“, so die Managerin. Insgesamt seien Haltung und „Purpose“ für die Menschen wichtige Markenwerte.

Sie führte als Beispiele Insights aus aktuellen Best-for-Planning-Studien an. Hiller: „Es wird immer mehr Bio gekauft, die Gewinner sind aktuell die Supermärkte und Discounter mit ihren Bio-Eigenmarken.“ Einschränkend hieß es mit Blick auf Konsument:innen mit Geldsrogen, der Anteil an Bio-Supermarkt-Einkaufenden wachse nicht mit. Es gebe Verschiebungen in den Absatzschienen.

Dr. Meike Gebhard (l.) und Catherin Ann Hiller
(Foto: Medien.Bayern GmbH, David-Pierce Brill, Janine Riekher, Alexander von Spreti)

 

Dr. Meike Gebhard, Geschäftsführerin des Nachhaltigkeitsportals Utopia, sah wenig Anlass zur Sorge: „In bisherigen Krisen war das Thema Nachhaltigkeit schnell aus Medien und Politik verschwunden. Das sehen wir dieses Mal nicht, es gibt keinen Backflash.“ Sie hinterfragte vielmehr die Art der Kommunikation. Als Beispiel nannte Gebhard das Etikett „klimaneutral“ auf vielen Produkten. Laut einer Umfrage von Utopia vertrauten zwischenzeitlich die Hälfte der Befragten der Kennzeichnung nicht mehr, knapp ein Drittel mehr als im Vorjahr. Solche „Aushöhlungen“ müssten vermieden werden.

Außerdem sollten Unternehmen nicht, „kleine Erfolge zur Rettung der Welt hochstilisieren“, warnte die Utopia-Chefin vor „Greenwashing“. Es gehe um langfristige und ganzheitliche Planungen, „und es geht in erster Linie um Vermeidung, aber auch Reduktion und Kompensation“, betonte Gebhard.

„Wir können die Dinge nur langfristig verändern, Unternehmen brauchen eine Nachhaltigkeitsstrategie und keine Einzelmaßnahmen“, pflichtete Holger Thalheimer bei. Der Chief People & Culture Officer bei der Omnicom Media Group Germany riet, immer das Einsparen in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen. Das betreffe auch das Marketing. Es gehe darum, ein Bewusstsein zu schaffen, dass jedes Gewerk, in dem CO2 emittiert werde, seinen Beitrag leiste. Grüne Werbung funktioniere am besten, wenn sie transparent sei und aus der echten Überzeugung heraus entstehe, „dass wir Menschen und der Planet eine Veränderung brauchen“. 

Haltung, Nachhaltigkeit: Was die Werbebranche konkret tut

Indes hat sich der größte Werbespender der Welt, Procter & Gamble, bewusst in der Krise positioniert. Dessen Initiative #GemeinsamStärker wurde 2020 ins Leben gerufen. Gefördert werden Projekte zur Stärkung der mentalen Gesundheit und zum Umgang mit Krisen. Einige Spieler des FC Bayern München wie Giovane Élber sind und waren als Botschafter zu Markenkampagnen von P&G zu sehen. Zusätzlich spendet der Konzern seither für jeden Bundesligatreffer der beiden Profimannschaften des Rekordmeisters (Männer & Frauen) 500 Euro für die Stiftung RTL - Wir helfen Kindern e. V..

 

Rund 110.000 Euro des Spendenbetrags werden für die Unterstützung der Soforthilfe für die Opfer des Krieges in der Ukraine verwendet.  Zusätzlich schicke P&G eine Vielzahl von Produkten, unter anderem Pampers, aus seinem Sortiment in die Ukraine, heißt es in einer Mitteilung des Konsumgüterriesen.

Ein anderer Teil fließt unter dem Dach #GemeinsamStärker unter anderem in die Förderung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergänzt wird das soziale Engagement um PRIDE, einer Kampagne, die unter anderem für LGBTQ+ Beratungsangebote für Kinder, Jugendliche und deren Familien Spenden sammelt.

 

Es gibt sie, die Werbung mit Empathie ...

Alles in allem häufen sich die Plädoyers für mehr Empathie in der Werbung. Und auch Kampagnen, die dazu passen. Aktuelles Beispiel: Das Creative House der Münchner ProSiebenSat.1-Werbetochter Seven.One AdFactory setzt für den Kunden share eine Haltungskampagne für soziale Wärme um. Sie stellt Obdachlosigkeit im Winter in den Mittelpunkt und macht auf Wohnungsnot aufmerksam.

Die TV-Spots sollen mit „klarer Haltung, prominenten Gesichtern und emotionalem Storytelling“ überzeugen, daneben macht eine ganzseitige Printanzeige in der Tageszeitung FAZ auf das Thema Obdachlosigkeit aufmerksam.

Die Marke share will für Teilen stehen; jeder Kauf eines share-Produkts enthält eine soziale Spende. Gerade eben läuft eine Wärmeaktion: Jede gekaufte share-Mütze spendet für eine Nacht in einer Notunterkunft der Einrichtungen der Caritas.

 

Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 36. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.


Die 
Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.