Der internationale Entertainment-Markt ist zurzeit heftig in Bewegung. Immer mehr Streaming-Marken ringen um Publikum. Und wie sieht es mit Infrastruktur-Anbietern und Plattform-Betreibern aus? In einem Gastbeitrag blickt Lars Riedel, Head of Consumer Entertainment bei Vodafone, auf die Entwicklung des Marktes.
Schon Ende des letzten Jahres gab Warner Brothers bekannt, dass man seinen Streaming-Dienst HBO Max 2021 nach Europa bringen möchte. Zuletzt erfolgte dann das große Beben:
Der amerikanische Telekommunikations-Riese AT&T fusioniert seine Mediensparte WarnerMedia mit dem TV-Konzern Discovery.
In Frankreich schließen sich die großen TV-Sendergruppen TF1 und M6 zusammen.
Amazon schluckt das traditionsreiche Hollywood-Studio Metro-Goldwyn-Mayer und vergrößert seinen Titelkatalog erheblich.
Walt Disney kündigt die Schließung von rund 100 internationalen TV-Kanälen bis Ende des Jahres an, weil sich das Unternehmen mehr auf ihren Streaming-Service Disney+ konzentrieren möchte.
Und eine Studie von Digital TV Research zur Zukunft des Geschäftsmodells Pay-TV kommt zu dem Schluss, dass Anbieter von Abofernsehen mit signifikanten Abonnent:innenabgängen rechnen müssen.
Keine Frage, der TV- und Streaming-Markt verändert sich – und zwar schneller als jemals zuvor. Und das liegt vor allem auch an der durch die Corona-Pandemie stark veränderten Nutzung von Medien. Die Auswirkungen der Pandemie haben die TV-, Kino- und Streaming-Branche auf den Kopf gestellt: Das Streaming boomt, die Nutzung steigt in allen Altersgruppen. Die Kinobranche fiel erzwungenermaßen in einen Dornröschenschlaf. Wie viele Prinzen es benötigt, um sie wieder vollumfänglich aufzuwecken? Unklar!
Lineares Fernsehen bot Ablenkung vom Corona-Alltag und hat zumindest zeitweilig für ein Aufflackern des ‚medialen Lagerfeuers‘ im Wohnzimmer gesorgt. Aber so richtig erwärmt hat es dauerhaft niemanden, wenngleich Deutschlands Haushalte den Fernseher öfter und auch länger als in den Jahren zuvor eingeschaltet haben. Doch auch wenn die TV-Nutzung weiter über dem Vor-Corona-Jahr 2019 liegt, lassen Vergleiche beider Corona-Jahre eine gewisse Müdigkeit bei den Zuschauer:innen erkennbar werden.
Zudem hat die Corona-Pandemie in Wirtschaft und Gesellschaft den größte Digitalisierungsschub aller Zeiten ausgelöst – ein Schub, der auch vor den Medien nicht Halt gemacht hat. Denn auch die Entertainment-Angebote sind digitaler geworden – es gibt mehr Inhalte zum Abrufen und neue Special-Interest-Anbieter wie beispielsweise PLUTO. Am Ende sind es dann wohl doch die großen Sport-Ereignisse, Nachrichten und der gute alte Tatort, die Familien vor dem großen Bildschirm gesichert zusammenkommen lassen, um gemeinsam Entertainment genießen zu können.
Corona hat die TV-, Kino- und Streaming-Branche auf den Kopf gestellt: Streaming boomt und die Kinobranche fiel in einen Dornröschenschlaf.
Lars Riedel, Vodafone
Kurzum, es ist zuletzt eine neue Dynamik entstanden, die etablierte Marken aus originär unterschiedlichen Branchen den Schulterschluss suchen lässt. Es entstehen neue Player, die traditionelle Verwertungsketten in Frage stellen: Von der Produktion bis zur Ausspielung von Inhalten, vormals klar voneinander getrennt, möchte nun jeder alles aus einer Hand bieten. Das direkte Kundengeschäft wird immer wichtiger und die Verwertungskette ist irreparabel gerissen – es wird eine neue benötigt.
Ist das also das Ende von linearem TV? Ich sage: nein! Lineares Fernsehen wird die dominierende Nutzungsform bleiben. Die Ergebnisse von Umfragen zeigen deutlich, dass Information, Unterhaltungsangebote und Live-Übertragungen zu den Kernkompetenzen des klassischen Fernsehens gehören.
Zudem spielt auch die Lebenswirklichkeit der Zuschauer:innen – beispielsweise das Alter oder das Verhältnis von Freizeit und Beruf – eine wichtige Rolle beim Bewegtbild-Konsum. Viele Menschen werden weiterhin aktiv Entscheidungen darüber treffen wollen, was sie wann konsumieren. Andere wiederum sind eher träge und gehen ausschließlich punktuell vor. Sie schalten den Fernseher nur dann ein, um eine ganz bestimmte Sendung zu sehen.
Lineares Fernsehen bleibt bestehen und wird die dominierende Nutzungsform bleiben.
Lars Riedel, Vodafone
Hinzu kommt, dass die deutschen TV-Konzerne kontinuierlich ihre nationale Marktposition mit lokalen und regionalen Angeboten verbessern. Denn solche Angebote sind für Netflix, Disney und Amazon zu unattraktiv, weil sie in anderen Märkten aufgrund ihres Lokalkolorits nicht funktionieren. RTLs Streaming-Plattform RTL+ ist ein Paradebeispiel, für die Bereitstellung von Info- und Entertainment, das um lokale und regionale Informationen ergänzt wird. Die schlaue Verzahnung aus linearen und non-linearen Angeboten für ein Maximum an Reichweite über unterschiedliche Kanäle und Dienste ist für mich ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor, der den Fortbestand des linearen Fernsehens sichern wird.
Ich bin mir sicher, dass TV-Anbieter ihre Markenwelt stärken werden, indem sie Inhalte zukünftig verstärkt und vollumfänglich in Richtung Over-the-Top und On-demand ausspielen werden.
Doch wie sieht es mit Infrastruktur-Anbietern und Plattform-Betreibern wie Vodafone aus? Wir sind kein Hollywood-Studio und wollen auch keines werden. Als größter deutscher TV-Anbieter mit über 13 Millionen TV-Kund:innen fühlen wir uns sehr wohl damit, Inhalte auf unserer GigaTV-Plattform zu aggregieren. Mittels übergreifender Empfehlungsfunktionen können wir unsere Kunden durch die fragmentierte Angebotsvielfalt führen.
Wir bündeln die Angebote unserer Partner in bestmöglicher Qualität und im Optimalfall sogar mit Preisvorteilen – das gibt es heute nur auf TV-Plattformen, die Inhalte aggregieren und Streaming und Fernsehen kombinieren. Auch neue Geschäftsmodelle können wir mit Partnern erproben – beispielsweise Mischformen aus Werbefinanzierung und Abos.
Eine weitere Möglichkeit: Ausflüge in die Welt des Social TV – fernsehbezogene Kommunikation während des Anschauens von Fernsehinhalten. Für mich ein wichtiges Feld bei der Weiterentwicklung von GigaTV. Und mit unserem Gigabit-Netz bieten wir mehr als 24 Millionen Menschen die Grundlage für Streaming und lineares Fernsehen.
Ich freue mich auf den Tatort am nächsten Sonntag, den ich ganz klassisch über Kabel-TV sehen werde.
Mit einem ausführlichen Programm in Zusammenarbeit mit unseren Partnern MEKmedia und der Deutschen TV-Plattform wird das MEDIENTAGE Special Connect! The Future of TV Ende Oktober Teil der MEDIENTAGE MÜNCHEN sein, Lars Riedel zählt zu den Referent:innen. Er wird darlegen, wie soziale Interaktion Connected TV stärkt.
Im Rahmen des Specials wird im zum zweiten Mal der Connect! The Smart TV Award verliehen.
Die MEDIENTAGE MÜNCHEN finden dieses Jahr vom 25. bis 29. Oktober statt. Sie stehen unter dem Motto New Perspectives. Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona-Pandemie und zeigen neue Perspektiven und Geschäftsmodelle auf.
Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Hier im Blog der Medientage München ist noch mehr Lesenswertes zu finden.
Zudem können Medienthemen auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.