Die Goldgräberstimmung ist vorüber – angesichts eines Überangebots an Inhalten und steigender Kosten durch Inflation wird am Streaming gespart. Mit sieben Stunden täglicher Mediennutzung, davon gut die Hälfte für Fernseh- bzw. Videoschauen, scheint das Zeitbudget ausgereizt.
"Wir sehen, dass die Haushalte die Anzahl der Streamingdienste kritischer hinterfragen. Die Zuschauer-Erwartung an tolle Inhalte aber bleibt ungebrochen. Das erhöht den Kostendruck enorm. Nur ein Grund, warum KI eine immer größere Rolle spielen wird", sagte Goldmedia-Geschäftsführer Dr. Florian Kerkau in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Ja, die Contentqualität. Einerseits holt sie die Zuschauer:innen rein, was Geld durch Abo-Einnahmen und/oder Werbung bringt. Andererseits steht eine Inhaltsflaute bevor – und Mitschuld daran trägt die KI (Künstliche Intelligenz): In den USA haben den ganzen Sommer über die Schauspieler:innen und Autor:innen gestreikt. Sie fürchten, bald durch Computer ersetzt zu werden. Die Serien, Filme und Shows, die deshalb 2023 nicht begonnen, produziert oder beendet wurden, fehlen im Programmangebot 2024. Nicht nur im Kino, auch im Streaming.
Welche Produktionen wollen sich die Streamer leisten? Guter Content ist teuer und viele Anbieter sind noch nicht in der Gewinnzone angekommen. Nun fehlen auch noch die Produktionen vom US-Markt 2023.
Auswege?
Naheliegend: Made in Europe. Die hiesige Filmwirtschaft freut’s, die internationalen Streaming-Giganten haben an „Das Haus des Geldes“ aus Spanien oder den deutschen Erfolgen „4 Blocks“ und „Im Westen nichts Neues“ gesehen, dass es auch jenseits des Atlantiks Produktionspotenzial gibt.
Sparen lässt sich auch mithilfe von Koproduktionen und Non-fiction-Formaten: Klassische Sender machen es vor, doch selbst im Streaming-Geschäft gilt, dass Shows wie „Last One Laughing“ mit Bully Herbig nicht nur gut für Lachmuskeln und nationale Publikumsbindung sind, sondern auch den Geldbeutel sehr schonen. Sky hat 2023 angekündigt, die fiktionalen Eigenproduktionen in Deutschland sein zu lassen. Prestigeprojekte wie „Babylon Berlin“ (gemeinsam mit der ARD) waren nicht nur international erfolgreich, sondern auch sehr, sehr teuer.
Es winken sogar Lizenzgebühren. Vor allem, wenn die Streamer ihren Exklusivitätsanspruch aufgeben, wie es der Branchendienst DWDL beobachtet: Das bringt Geld, zusätzliche Zuschauer:innen jenseits des eigenen Kanals und erlaubt es, international das eigene Programmangebot leichter vermarkten. Wettbewerber als Partner? Ein Sparmodell mit Erlösaussichten – und Zukunft. Denn über die Lizenzware hinaus sind weitere Kooperationen zu sehen, etwa die Telekom-Plattform Magenta TV, die im „MegaSport-Angebot“ für Fußballfans alle großen Anbieter vereint – weil mal auf Magenta, mal auf Sky und mal auf Dazn die Bundesliga läuft. Die Plattform Sky Q aggregiert diverse Streaming-Angebote. Oder Amazon, das die Channels der US-Studios MGM+ und Paramount+ ebenso vertreibt wie Mubi oder Eurosport.
Apropos Sport: Der lohnt sich für die meisten Anbieter nicht. Nicht nur, dass die Rechte oft sehr teuer sind – die Marktforscher von Omdia haben herausgefunden, dass Sportfans weltweit nicht sehr treu sind. Sie wechseln den Streaming-Dienst häufiger als Serienfans. Das mag auch mit den Preisen zu tun haben: Sobald König Fußball dabei ist, kostet hierzulande ein Abo bei Sky/Wow oder bei Dazn jeweils rund 30 Euro im Monat. Filme und Serien bekommt man schon für 5 bis 10 Euro monatlich.
Grund genug für eine On-Off-Beziehung zum Streamer. Schwerer fällt der Treueschwur, da inzwischen nicht mehr alle Spiele bei einem Anbieter zu sehen sind.
Das Erfolgsmodell Streaming gedieh auf Basis zugänglicher und leicht kündbarer Abos zu einem anfangs günstigen Preis. Inzwischen haben alle Streamer die Abo-Preise deutlich erhöht und das Account-Sharing eingeschränkt – und dazu lautet die Entscheidung längst nicht mehr: Netflix oder Amazon? Unzählige Teilnehmer mit verschiedenen Bezahlmodellen tummeln sich auf dem Markt.
Was einst verpönt war im Streaming wird nun salonfähig: AVoD und FAST nehmen Fahrt auf und verdrängen oder ergänzen die SVoD-Modelle. Ganz kurz: SVoD (Subscription Video on Demand) steht für bezahlte Abos, die den Abruf von Dokus, Filmen, Serien meist ohne Begrenzung von Zeit und Anzahl erlauben.
Inzwischen hat selbst Netflix flankierend ein AVoD-Angebot aufgenommen: Ad-supported Video on Demand finanziert sich (mindestens teilweise) durch Werbezeitenverkauf – bei Netflix bedeutet das Dulden von Werbung einen günstigeren Abo-Preis als werbefreies Streamen, Amazon hat mit Freevee gleich einen parallelen werbefinanzierten Gratis-Dienst ins Leben gerufen, der dafür ein kleineres Inhalte-Angebot aufweist als die Abo-Variante Prime Video. Bislang hält sich nur Apple TV+ ganz aus der Werbevermarktung heraus. Free TV, nur eben online, das ist FAST (Free Ad-supported TV). Die Übergänge sind fließend.
Hier wittern die Fernsehmacher Gewinnchancen: Prognosen für FAST in Großbritannien für das Jahr 2027 liegen laut einer Studie von Omdia bei mehr als 500 Millionen US-Dollar – 2022 waren es 128 Millionen US-Dollar.
Werbefrei zu streamen wird teurer, Freund:innen und Nachbar:innen brauchen künftig ein eigenes Abo, denn so leicht lässt sich der Zugang zum Einstiegspreis nicht mehr teilen – beim Streamer soll mehr hängenbleiben.
Das Marktforschungsinstitut Media Analyzer hat die Werbeakzeptanz untersucht. Demzufolge zeige die Mehrheit der Befragten „eine bemerkenswerte Akzeptanz für werbefinanzierte Streamingdienste“. Allerdings brauchten sie andere Werbung als Fernsehzuschauer:innen.
Die Autor:innen der Studie haben die Fans von verschiedenen Anbietern nach Eigenschaften verglichen – Netflix (mit Werbung), Amazon Freevee sowie RTL oder ProSieben – und ihnen Werbeblöcke gezeigt. So gehe es laut MediaAnalyzer den Streaming-User:innen eher um Fun, Offenheit für Neues und Fakten, die Zuschauer:innen der Privatsender stuften Preisorientierung, Informationssuche und Zurückhaltung als relevanter ein. Die Werbungtreibenden sollten ihre Kampagnen also je nach Plattform möglichst auf die Zielgruppe abstimmen, um auch im Streaming wirksam zu werben.
Wenn diese Werbung dann auch noch personalisiert daherkommt, wie es Addressable TV erlaubt, steht der Akzeptanz kaum noch was im Wege. Bis Ende 2023, prognostiziert Deloitte, werden zwei Drittel der Verbraucher in den Industrieländern mindestens einen AVoD-Dienst regelmäßig nutzen.
Noch kein Trend. Ja, schon – irgendwie. Derzeit steht der Bewegtbild-Markt bei Künstlicher Intelligenz (KI) ebenso wie bei VR (Virtual Reality) noch auf der Bremse. Wenn die Verkaufspreise sinken und die Handhabung leichter wird, werden Inhalte jenseits des Gaming möglicherweise die VR-Brillen neben dem Big Screen ins Wohnzimmer holen.
Der Deloitte Digital Consumer Trends Survey 2022 zeigt für Deutschland nach Jahren der Stagnation immerhin wieder einen Anstieg bei VR und rechnet für 2023 mit knapp 1,5 Millionen aktiv genutzten VR-Brillen. Technische Neuerungen wie die Apple Vision, wenn sie denn in Europa auf den Markt kommt, könnten hier Schub geben.
Was die KI angeht, wird diese wohl in der Werbung Fuß fassen, noch bevor sie Autor:innen und Schauspieler:innen im großen Stil arbeitslos macht. KI-Analysen zum Verbraucherverhalten ermöglichen eine Steigerung der Effektivität und genauere Aussteuerung. Auch für diesen Trend muss der deutsche Markt aber noch ein bisschen Geduld aufbringen. Werbungtreibende und Mediaprofis sollten sich hierauf aber schon mal vorbereiten.
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