Medientage München - Blog

Die Zukunft von Print: 4 Aspekte und Entwicklungen

Geschrieben von Petra Schwegler | 10. Februar 2022

 Print ist nicht mehr nur Print. Der Begriff „Digitalpublisher“ trifft es immer häufiger. Und bringt es auf den Punkt: Mit digitalen Tools und zusätzlichen Kanälen schaffen die Verlage passende Erlebnisse für Leser:innen und neue Erlösquellen. Wie wichtig Audio und Data für die Gattung geworden ist, belegen eine neue Studie des Verbands BDZV und ein Event des MedienNetzwerk Bayern.

Zeitungen und Zeitschriften nutzen zunehmend den digitalen Raum, um ihre Leser:innen mit neuen Angeboten an sich zu binden. Personalisierung der Angebote gilt dabei als Schlüssel, vor allem zu jüngeren Zielgruppen. Und auch gerade dann, wenn es gilt, dass guter Content bezahlt werden soll. Dabei wollen die einen eher ein genau auf sie zugeschnittenes Themenpaket, andere bevorzugen den Medienkonsum über einen bestimmten Kanal.

Veränderungen, die die repräsentative Studie Trends der Zeitungsbranche 2022 ins Visier nimmt. Das Werk hat der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) gemeinsam mit der Unternehmensberatung Schickler vorgelegt.

Schickler-Partner Christoph Mayer zeigt sich für die Gattung, die viele Jahre unter rückläufigen Abo- und Anzeigenerlösen beim Gedruckten geächzt hat, optimistisch: „Wir stehen kurz vor dem Wendepunkt wieder wachsender Abonnentenzahlen. In wenigen Jahren wird Digital der Kerntreiber der Umsätze und Ergebnisse sein.“ Dabei sei die Personalisierung des digitalen Angebots die nächste Stufe, so Mayer. Hier würden Verlage „ganz neue Wege“ gehen.

Zwei dieser neuen Wege haben Experten aus der bayerischen Medienbranche bei „Media Insights Print – Wie Data & Audio neue Printerlebnisse schaffen" vorgestellt:

Manfred Sauerer, zuständig für das von dpa und Schickler angeschobene, bundesweite Digitalprojekt DRIVE im Haus der Mittelbayerischen Zeitung,
sowie Johannes Garbarek, Gründer und CEO des digitalen Audio-Kiosks ahearo, legten dar, wie Verlage neue und vor allem junge Zielgruppen erreichen können.

 

4 Aspekte ragen aus der momentan Entwicklung heraus

⇒ Der Inhalt zählt, nicht der Kanal

Gerade DRIVE und ahearo belegen, dass die Inhalte der Print-Welt weiterhin sehr gefragt sind – wenn sie denn in der passenden Form den interessierten User erreichen.

Die BDZV-Formel dafür lautet:

Unterschiedliche Kanäle bei gleichen Inhalten: 88 Prozent der Verlage sehen das E-Paper als wichtige Brücke zu Paid-Content. Die Altersstruktur der E-Paper-Nutzer liegt im Schnitt 20 Jahre unter der der Leser von Print. Online-Abonnenten sind weitere 20 Jahre jünger mit Fokus auf die Mitte 30- bis 40-Jährigen. Neue Angebote wie Podcasts erreichen eine nochmals jüngere Zielgruppe.

 

Beim Erkunden der Interessen gerade der jüngsten Leser:innen-Generation im Digitalen unterstützt seit rund zwei Jahren die Digital Revenue Initiative, kurz DRIVE. Das Projekt, an dem die Nachrichtenagentur dpa, Schickler und regionale Medienhäuser mitwirken, soll die Einführung personalisierter Inhalte-Angebote deutlich beschleunigen. Zu den Mitwirkenden der ersten Stunde gehört der Mittelbayerische Verlag aus Regensburg.

Für die Oberpfälzer steht dabei eine strategische Themenplanung im Fokus, die auf valide Erkenntnisse aus der Datenanalyse - Nutzung, User, Artikel - aufbaut und in die Redaktion kommuniziert wird. Eine „data-informed“ Redaktion bekommt per Dashboards die Ergebnisse ihres Tuns vermittelt.

Das Ziel ist nun, wie Manfred Sauerer beim Event des MedienNetzwerk Bayern schilderte, dass die Redaktion vorab Einschätzungen treffen kann, wie erfolgreich ein noch nicht publizierter Beitrag werden wird. Am Ende könnte die erträumte treffsichere Personalisierung so aussehen, dass der User ein auf ihn zugeschnittenes Angebot erhält, das sich zusammensetzt aus durch die Redaktion kuratierten Beiträgen sowie solchen, die ein lange trainierter Algorithmus beisteuert. Ein Mix aus Website plus diverse Newsletter sei denkbar.

Die Daten sagen ziemlich genau, welche Inhalte gut beim User ankommen und welche weniger gut. Dabei geht es nicht darum, möglichst viele Klicks auf einen Artikel zu erhalten. Interessante Maßeinheit ist demnach vielmehr, wieviel Zeit Nutzer:innen mit den einzelnen Beiträgen verbringen, die so genannte Media Time. Es gilt, die große Menge der Wenig-Anwesenden mit genau zugeschnittenen Angeboten zu häufiger wiederkehrender Usern mit Hang zum Abonnement zu machen.

Neue Angebote wie Podcasts erreichen daneben eine nochmals jüngere Zielgruppe: Dass das Hören von Printinhalten insbesondere bei jungen Usern funktioniert, bestätigte Johannes Garbarek von ahearo. Der Startup-Unternehmer hat in den knapp drei Jahren seit Gründung seines Unternehmens bereits namhafte Verlagshäuser wie die Motor Presse Stuttgart vom Wert des gehörten Inhalts überzeugen können. Professionelle Sprecher:innen haben beispielsweise ausgewählte Inhalte von Men’s Health vertont – „gute Geschichten, die bereits funktionieren“, wie Garbarek versicherte. Auch gesprochene Beiträge von Women’s Health gibt es im ahearo-Kiosk, daneben diverse Fachartikel.

Er verwies ebenso wie Sauerer auf die rasant sinkenden Auflagenzahlen bei Print. Während DRIVE darauf ausgerichtet ist, langfristig durch kluge Analyse mit passenden Digitalprodukten aus dem eigenen Verlag heraus Leser:innen neu an sich zu binden und digitale Abonnements zu steigern, kann ahearo heute schon aus dem Vollen schöpfen: Denn Audio-Formate begeistern Menschen. Johannes Garbarek: „Der Audio-Markt wächst um 30 Prozent jährlich und das wird sich auch noch weiterentwickeln.“

Übrigens sind laut einer Befragung führender europäischer Medienmanager durch das britische Reuters Institute viele Anbieter überzeugt, dass trotz der großen Konkurrenz im boomenden Hörsektor Audio bessere Möglichkeiten für Engagement und Monetarisierung biete, als sie durch ähnliche Investitionen in Text oder Video erreichen könnten. 

 

Personalisierung wird Paid Content weiter voranbringen

Paid Content sei für Digitalpublisher und Zeitungshäuser ein zentrales Thema, berichten der BDZV und Schickler. Neu hinzu kommt demnach in diesem Jahr der Treiber Personalisierung als Chance, „Inhalte noch erfolgreicher ans Publikum zu bringen“: 57 Prozent der Verlage mit einer verkauften Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren schätzen demnach die Relevanz personalisierter Produkte mit Blick auf die nächsten drei Jahre als „strategisch hoch oder sehr hoch“ ein. Binnen fünf Jahren erwarten dies sogar 83 Prozent.

Personalisierung wird dabei als „Booster für Paid Content“ bezeichnet. Was bei Entertainment und im Handel bereits funktioniere, werde nun auch für die Zeitungsbranche relevant. „Verlage bauen Algorithmen für personalisierte Angebote auf. Dabei liegt der Fokus auf Artikelempfehlungen und Newslettern“, heißt es. Und das Projekt DRIVE belegt dies.

Die Krux an der Personalisierung macht Schickler deutlich, wenn Christoph Mayer betont, man rede hier „nicht von Turnschuhen, sondern von journalistischen Inhalten - und die sind deutlich herausfordernder in der Personalisierung“. All dies erfordere neue Fähigkeiten: "Wo bisher die Beherrschung des Drucks Kernkompetenz war, wird heute die Beherrschung von Daten und Datenanalysen Kernkompetenz."

 

Innovation profitiert von Kooperation

Das belegt das Projekt DRIVE in besonderem Maße. Gemeinsam mit Schickler arbeiten inzwischen 18 regionale Zeitungsverlage sowie die Nachrichtenagentur dpa am Datenprojekt. Damit konnten bis Herbst 2021 rund sechs Millionen User-Daten der beteiligten Partner gesammelt werden; ausreichende Datenmengen, die einzelne Regionalblätter für sich nicht erzielen könnten.

 

Die Teilnehmenden am Projekt DRIVE, Stand Februar 2022 (Quelle: DRIVE)

 

Die Informationen werden von Data Scientists bei Schickler analysiert, um die spezifischen Interessen der einzelnen Leser:innen besser kennenzulernen. Im nächsten Schritt sollen Algorithmen entwickelt werden, die als Grundlage für eine personalisierte Ansprache dienen könnten.

Allein den Algorithmen will Mitinitiator Meinolf Ellers, Chief Digital Officer der dpa, die Markenbildung und Leserbindung nicht überlassen. Es geht ihm ebenso wie den Partner vielmehr darum, bislang nicht ausgeschöpfte Themenpotenziale zu nutzen. Dafür benötige man zusätzliche Content-Quellen, berichtete Ellers im Rahmen der Medientage München 2021. Verlage sollten deshalb künftig mehr über den Austausch von Inhalten untereinander diskutieren – wie im Fall DRIVE.

 

Noch dazu reduziert ein gemeinsamer Daten- und Analysepool die Kosten deutlich; einen Verlag wie die Mittelbayerische kostet die Teilhabe pro Monat in etwa so viel, wie ein fest angestelltes Redaktionsmitglied verdient.

Aus Sicht des Reuters Institute könnte 2022 das Jahr sein, in dem Verlage beginnen, stärker zusammenzuarbeiten, um den Herausforderungen in Bezug auf Publikum und Plattform zu begegnen. Dabei helfen oft schon Institutionen wie das Media Lab Bayern, ebenso wie die Medientage München und das MedienNetzwerk Bayern ein Unternehmen der Medien.Bayern GmbH. Über dessen Website sind etwa kostenlose Tools und Konzepte zur Personalisierung von Newsrooms abrufbar. 

 

Der Kopf muss die Richtung vorgeben

Klar ist: Journalist:innen und Redakteur:innen müssen künftig mehr mit User-Daten arbeiten. Die BDZV-Studie besagt, dass Digitalkompetenz wird vor allem Inhouse aufgebaut werden soll - auch für komplexe Kompetenzen rund um Data Science und Data Analytics. 62 Prozent der Verlage planen dies der Umfrage zufolge.

Dafür sei eine passende Struktur und Organisation sehr wichtig, forderte MZ-Manager Manfred Sauerer bei Media Insights Print. Die verschiedenen Medienbereiche müssten künftig zusammenarbeiten, um relevant zu bleiben. Wichtigste Voraussetzung aus Sicht von Sauerer: Das gesamte Verlagshaus und vor allem die Geschäftsführung müssten an diese Idee glauben.

Die Media-Insights-Print-Runde: Johannes Garbarek (l.o.), Petra Schwegler, Manfred Sauerer (l.u.), Lukas Schöne
(Screenshot: MedienNetzwerk Bayern)

 

Deutlich wurde in der Diskussion zu „Media Insights Print – Wie Data & Audio neue Printerlebnisse schaffen" auch, dass Vorbehalte gegenüber dem „Trägermedium“ relevanter Inhalte in Verlagshäusern und beim Publikum langsam der Vergangenheit angehören. „Nur Print ist werthaltig“ darf nicht länger gelten, wenn junge User lieber hören und digitale Kanäle nutzen.

Fazit: Hören ist das Lesen der mobilen Generation. Die Generation Golf der in den 1970er-Jahren Geborenen mag vielleicht noch die Aufforderung „Kind, lies doch mal ein Buch!“ in den Ohren haben. Deren Enkelkinder sollten wohl eher mit „Kind, hör doch mal ein Stück!“ zum Konsum relevanter Inhalte angehalten werden.

 

Interessiert an Themen rund um die Medienbranche? Dann ist hier im Blog der Medientage München noch mehr Lesenswertes zu finden. 
Zudem können Medienthemen passenderweise auch gehört werden: 
im Podcast der Medientage München. Ausgabe 63 lässt die Speaker von „Media Insights Print – Wie Data & Audio neue Printerlebnisse schaffen" zu Wort kommen.


Darüber hinaus stehen Zusammenfassungen vieler Sessions der 35. MEDIENTAGE MÜNCHEN sowie Bildmaterial in der Mediathek der Medientage-Homepage bereit.