Im Zeitalter von YouTube, Instagram und Co konzentriert sich Meinungsmacht längst nicht mehr nur auf das Fernsehen. Eine Reform des Medienkonzentrationsrechts ist daher dringend notwendig, so das Fazit des von bidt und BLM geförderten Forschungsprojektes „Messung von Meinungsmacht und Vielfalt im Internet“. Wie der vom Forschungsteam geforderte medienpolitische Paradigmenwechsel aussehen soll, erklären Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Studien-Mitautorin Prof. Dr. Birgit Stark im Interview.
YouTube, X, Instagram oder BILD: Welche Medienmarken beeinflussen die öffentliche Meinung am stärksten?
Thorsten Schmiege: Diese Frage lässt sich so pauschal gar nicht beantworten. Das hat die Studie zur „Messung von Meinungsmacht“ auch gezeigt. Letztlich hängt der Einfluss der unterschiedlichen Medienmarken bzw. -gattungen vom individuellen Nutzungs –und Meinungsbildungsverhalten ab. Welche Zugänge zu den Informationen nutze ich – Print, TV, Radio oder Social Media – und wie wirken die Inhalte?
Birgit Stark: Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Instagram oder BILD einen großen Einfluss auf unsere Meinungsbildung haben. Das hängt ganz vom User ab. Er muss diese Medienmarken häufig nutzen, ihnen vertrauen und sie für glaubwürdig halten. Das bedeutet: Der Meinungsbildungsprozess wird durch die Zusammensetzung des Medienrepertoires der jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer stark beeinflusst.
Wie wird Meinungsmacht bisher definiert?
Thorsten Schmiege: Eine genaue Definition ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die klassische Denkschule ist, dass ich Meinungsmacht an Marktanteilen festmache. Also: Wieviel Anteile hat zum Beispiel ProSiebenSat.1 am Fernsehmarkt und darüber hinaus am gesamten Meinungsmarkt. Dieses fernsehzentrierte Messen von Meinungsmacht greift zu kurz, das hat nicht nur das Forschungsprojekt klar verdeutlicht. Auch auf europäischer Ebene wird das gerade wieder diskutiert
Birgit Stark: Meinungsmacht wird aus wissenschaftlicher Perspektive als die Fähigkeit definiert, in der politischen Öffentlichkeit Einfluss auf die individuelle und öffentliche Meinungsbildung zu nehmen. Wir haben nun in unserem Projekt versucht, in einer Art Baukastensystem nach verschiedenen Analyseebenen zu differenzieren: nach Angebot, Nutzung und Wirkung. Über diese Module soll der konkrete Einfluss auf Meinungsmacht gemessen werden. Damit lösen wir uns von dem Modell der reinen Anbieterkontrolle.
Beim bisherigen Medienkonzentrationsrecht steht vor allem das Fernsehen im Fokus. Warum ist das nicht mehr zeitgemäß?
Diese Fernseh-Zentriertheit ist Anlass genug, die Mechanismen des Medienkonzentrationsrechts in Frage zu stellen.
In den Handlungsempfehlungen „Monitoring von Meinungsmacht“ fordert das Autorenteam einen medienpolitischen Paradigmenwechsel. Wie sieht der aus?
Birgit Stark: Es ist an der Zeit, dass wir unsere Denkweise grundlegend verändern. Wir müssen weg von der fernsehzentrierten Konzentrationskontrolle. Stattdessen möchten wir ein kontinuierliches Meinungsmacht-Monitoring aufbauen und mögliche Gefährdungspotenziale auf verschiedenen Ebenen messen.
Ziel ist, so genannte Störpotenziale zu identifizieren, wie ich es gerade im BLM-Rechtssymposium erstmals von der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) gehört habe. Falls es zu einer konkreten Gefährdung kommt, kann eingegriffen und nach Lösungswegen gesucht werden. Empirisch belegt, lassen sich auf diese Weise Handlungsempfehlungen für die Medienpolitik ableiten.
Was könnten diese Störpotenziale sein?
Birgit Stark: Ein Beispiel hat KEK-Vorsitzender Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz genannt: Wenn die algorithmischen Mechanismen stark polarisieren, müsste man mit den Plattformbetreibern diskutieren, inwieweit technische Plattformarchitekturen verändert werden können oder ob die Content-Moderation effektiver gestaltet werden kann.
Ein weiteres Beispiel: Wenn Menschen ein sehr kleines Medienrepertoire haben und sich z.B. ausschließlich über Soziale Medien informieren, könnten bei dieser Art von Nutzungsverhalten leichter Echokammereffekte entstehen, die Meinungsbildungsprozesse beeinflussen.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Birgit Stark von der Uni Mainz stellte beim BLM-Rechtssymposium im April 2024 den neuen Ansatz zur Vielfaltsicherung vor (Foto: Stefan Heigl/BLM)
Eine der zentralen Aufgaben der Medienanstalten ist es, Meinungs- und Medienvielfalt zu sichern. Wie wird das künftig gewährleistet werden können?
Thorsten Schmiege: Die spannende Frage wird mit Blick auf den möglichen Missbrauch von Meinungsmacht künftig sein, ob die Algorithmen entscheidend sind oder vielleicht auch die Künstliche Intelligenz (KI). Denn KI kann Entscheidungen treffen, für die früher eine Redaktion verantwortlich war. Für die Vielfalts-Regulierung bedeutet das:
Eigentlich muss vor dem Einsatz einer KI geprüft werden, wie sich das auf die Vielfalt auswirkt. Kann ich Vielfaltsmechanismen gewährleisten oder begebe ich mich in die Hand eines selbstlernenden KI-Programmes? Allein der Umstand, dass ein Player wie Google mehr als 90 Prozent Marktanteil hat, ist nicht mehr ausschlaggebend. Die entscheidende Frage wird sein, ob Marktteilnehmer ihre Macht zu einer Gefährdung ausnutzen.
Birgit Stark: Der Suchmaschinenmarkt ist ein sehr gutes Beispiel. Die Marktmacht einzelner Player lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wir müssen weiterdenken und prüfen, inwieweit dieser Player die Vielfalt bei Suchanfragen einschränken kann. Die Empfehlungssysteme müssen also so laufen, dass für die Nutzerinnen und Nutzer Auswahloptionen und Transparenz bestehen. So kann ein Grundverständnis aufgebaut werden, wie die Suchmaschine funktioniert, was sie mir bietet und warum sie mir das bietet.
Denn wie Studien zeigen, ist nicht allein die algorithmische Kuratierung ausschlaggebend, sondern auch die Entscheidungen der Anwender bei der Informationssuche, insbesondere bei der Formulierung von Suchanfragen.
Inwiefern kann die vorgeschlagene Gefährdungskontrolle das bisherige deutsche Medienkonzentrationsrecht ersetzen?
Thorsten Schmiege: Die Regulierungslogik im bisherigen Medienkonzentrationsrecht ist sehr einfach: Erst erfolgt die Marktanteilsmessung. Bei Überschreitung bestimmter Grenzen liegt eine Gefährdung vor, die Maßnahmen zum Gegensteuern auslöst. Von dieser Logik sollten wir uns lösen und das Thema Meinungsbildung wesentlich differenzierter anschauen.
Dafür brauchen wir zunächst ein Monitoring, um die Auswirkungen von Meinungsmacht auf die Meinungsbildung zu verstehen. Darauf aufbauend, müssen wir Mechanismen finden, um Gefährdungen entgegenzuwirken.
In welchem Rhythmus könnte denn so ein Meinungsmacht-Monitor veröffentlicht werden und wer soll die Erstellung übernehmen?
Birgit Stark: Ein einjähriger Rhythmus wäre idealtypisch für das Monitoring, allerdings wäre dies mit hohen Kosten und einem hohen Ressourcenaufwand verbunden. Zur Erstellung des Meinungsmacht-Monitors gilt es deshalb, Synergien zu nutzen. So haben wir das in den gerade veröffentlichten Handlungsempfehlungen „Monitoring von Meinungsmacht: Ein neuer Ansatz zur Sicherung vielfältiger Meinungsbildung im Plattformzeitalter“ auch formuliert (Foto oben; bidt impuls).
Es finden vergleichbare Untersuchungen statt, an die man andocken kann. Bestes Beispiel: der Medienvielfaltsmonitor der Medienanstalten. Es gibt zudem universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen, die beim Aufbau des Monitors unterstützen könnten. Die Grundidee des Baukastensystems erlaubt es, das Monitoring sukzessive aufzubauen: Ich starte z.B. mit dem Nutzungsmodul und baue danach das Inhaltemodul auf. So können vorhandene Ressourcen Schritt für Schritt koordiniert und gebündelt werden.
Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu fachspezifischen Themen im Blog der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Die MEDIENTAGE MÜNCHEN sind eine Marke der Medien.Bayern GmbH – einer Tochtergesellschaft der BLM.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.