Die Extremsituation Corona hat den Medienwandel beschleunigt. Bei der Bereitschaft, für guten Journalismus zu bezahlen, hat sich etwas getan. Hochwertige Informationen – vorzugsweise aus der Region - dürfen Geld kosten. Doch sollten sich Paid-Content-Modelle der Publisher mehr an Nutzer*innen orientieren?
Zuletzt bestätigte die "E-Paper-Studie 2020" des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der ZMG Zeitungsmarktforschung im Spätsommer den Trend, dass die digitale Zeitung immer beliebter wird. Er war vor allem während der Lockdown-Phase im Frühjahr zu Tage getreten, als sich verunsicherte Bürger*innen über das Corona-Virus informieren wollten.
Doch das ist nur ein Anfang. Da sich die Einnahmen aus Werbung und Vertrieb in der Regel rückläufig entwickeln, kommt das digitale „Content-for-free-Modell“ immer häufiger auf den Prüfstand. Wie Kunden zum Bezahlen bringen? Ob Zeitung oder Zeitschrift – für die Verlagsbranche stellt sich diese Frage immer drängender.
Dr. Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln, plädierte im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN digital deshalb für eine anbieterübergreifende Abonnement-Plattform, um die Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus zu fördern. Die Plattform-Ökonomie von Netflix oder Spotify könnte hierfür die Blaupause liefern. „Der Vorteil wäre, dass in der digitalen Welt die beliebige Erweiterung von Content-Bündeln keine zusätzlichen Kosten verursacht wie etwa bei Printprodukten“, argumentierte Wellbrock. Gleichzeitig könne die Zahlungsbereitschaft durch immer mehr und neue Inhalte befeuert werden.
Für Wellbrock kommen Drittanbieter wie der schwedische Online-Kiosk Readly in Frage, der bereits in mehreren Ländern agiert, bislang aber noch keine großen Reichweiten aufbauen konnte. Als Konkurrenz dazu sieht der Medienwissenschaftler große Technologiegiganten wie Google oder Apple bereits in den Startlöchern.
„Am attraktivsten finde ich das Szenario eines gesamtgesellschaftlichen Angebotes einer öffentlich-rechtlichen Plattform. Diese könnte sich am Prinzip des Presse-Grosso orientieren und über einen regulativen Rahmen auch kleineren Anbietern einen besseren Zugang zum Markt ermöglichen“, erklärte Wellbrock.
Noch kämpfen die Anbieter. Jan-Sebastian Blender, der den Bereich Content bei Readly für den deutschsprachigen Raum, Italien und die Niederlande leitet, berichtete von den hartnäckigen Vorbehalten der Verlage gegen sein Modell. „Die meisten befürchten Kannibalisierungseffekte, dabei sind diese gering, da wir andere digitalere Zielgruppen ansprechen als der Verlag über seine eigenen Online-Angebote erreicht“, sagte Blender.
Dabei könnten die Verlage über zusätzliche Umsätze und detaillierte Daten profitieren, die Readly zum Nutzerverhalten liefere. „Ob Verweildauer, welche Seiten der einzelne Nutzer liest oder welcher Content gerade für ihn relevant ist, das messen wir eins zu eins und stellen es den Verlagen zur Verfügung“, warb Blender für das Readly-Geschäftsmodell.
Katarzyna Mol-Wolf, geschäftsführende Gesellschafterin des Verlags Inspiring Network und Editorial Director der Zeitschrift Emotion, kennt das Readly-Modell, hält aber an ihrem eigenen Kiosk-Angebot Pocketstory fest. „Für uns ist das mit unserem hochpreisigen Content eine Frage des Umfelds. Wir verdienen auch mehr und können selbst über die Daten verfügen“, gab die Verlagsgründerin unumwunden zu.
Mol-Wolf hat aber auch an eine anbieterübergreifende Plattform vor Augen und wünscht sich hierfür eine Lösung mit Empfehlungs-Software sowie dem Angebot einzelner Artikel für Long-Reads: „Dies bietet den Kunden die Möglichkeit, neue Autoren und Marken kennenzulernen.“
An eine gemeinsame Lösung der Verlage glaubt die Unternehmerin Mol-Wolf indes nicht. Dafür sei der Kampf untereinander zu groß, weshalb sie bereits die großen Technologieunternehmen als mögliche Profiteure betrachte.
Christian-Mathias Wellbrock kann die Konkurrenzängste gerade bei regionalen Blättern oder Special-Interest-Titeln nicht nachvollziehen, „da hier kaum Verdrängungswettbewerb stattfindet“. Vielmehr böte eine verlagsübergreifende Plattform auch die Chance, junge Zielgruppen anzusprechen, die dem Print-Sektor zunehmend verloren gingen. „Aus unseren Studien wissen wir, dass Jüngere eine größere Zahlungsbereitschaft als die Älteren haben und zudem die Standards von Spotify oder Netflix bereits gewohnt sind“, betonte der Medienwissenschaftler.
Dieses Argument unterstrich auch die Emotion-Verlegerin Mol-Wolf: „Ich glaube stark an eine Plattform, die entbündelt und Community schafft.“ Deshalb starte sie mit ihrem Verlag das Projekt „Emotion for me“, ein speziell auf Frauen ausgerichtetes digitales Abo-Angebot zum Thema „Inner Growth“.
Jan-Sebastian Blender indes traut Readly zu, ein „Netflix der Verlage“ zu werden: „Das Potenzial ist da, der Magazinmarkt sieht bei den Digitalangeboten die Notwendigkeit einer Verbesserung der Usability, die Nutzer schätzen die Convenience, von uns durch den Content-Dschungel geleitet zu werden, und wir bieten mit einer monatlichen Kündigung die größtmögliche Flexibilität.“
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