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Publisher und KI: "Geschäftsmodelle ganz neu denken"

Geschrieben von Petra Schwegler | 21. Juni 2023

KI-Anwendungen wie ChatGTP haben das Potenzial, die Medienlandschaft noch einmal komplett zu verändern. Diese Prognose gab Ladina Heimgartner in ihrer Keynote zum European Publishing Congress ab. Nicht nur die Ringier-Managerin zeigte sich in Wien optimistisch: Allgemein verströmte die Verlagsbranche bei der Konferenz Aufbruchstimmung in einer Zeit massiver Umbrüche. Ein Überblick.

 

Print ist schon lange nicht mehr nur Print. Aus zwei „disruptiven Umbrüchen“, wie die Schweizerin Ladina Heimgartner (Foto oben; Quelle: Medienfachverlag Oberauer/APA-Fotoservice/Schedl) , Head of Global Media von Ringier und CEO der Blick-Gruppe, den Siegeszug des weltweiten Internets und das Aufkommen von Smartphones nannte, habe die Branche viel gelernt und viel gemacht.

Viel diskutierte KI-Anwendungen wie ChatGTP von OpenAI haben aus ihrer Sicht zwar das Potenzial, die Medienlandschaft „noch einmal komplett zu verändern“. Und ebenso wie das Internet und das Smartphone wird auch diese Entwicklungsstufe die Branche zunächst stark verunsichern. Doch Heimgartner hob die Chancen aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit hervor: „Ich bin davon überzeugt, dass wir es diesmal schaffen.“ 

 

Neue Themen, neue Mitbewerber

Zentrales Thema des European Publishing Congress‘ in Wien waren die Herausforderungen, die sich durch KI-Technologien für den Journalismus und das Geschäftsmodell der Medienhäuser ergeben. "Wir haben es mit einer tektonischen Verschiebung zu tun", sagte Heimgartner in ihrer Keynote.

Viele Häuser sehen sich demnach auch mit neuen Mitbewerbern konfrontiert. "Wir müssen damit rechnen, dass die Markteintrittshürde sinkt", so die Topmanagerin aus der Schweiz. Zudem könnten sich bestehende Angebote nicht davor schützen, von KI-Mechanismen erfasst zu werden. Sie appellierte an ihre Kolleg:innen, sich selbstbewusst mit der generativen Künstlichen Intelligenz auseinanderzusetzen. Heimgartner: "Geschäftsmodelle müssen ganz neu gedacht werden." 

In der Diskussion um KI in den Medien sprach sich die Schweizerin für Gelassenheit sowie Offenheit aus; man müsse sich der eigenen Stärken versichern. "Menschen suchen Menschen", sagte sie. "Wir erzählen Geschichten - und das kann niemand so gut wie wir."

Am Ende gewinne der, der die User am besten kenne. KI mache deutlich, dass Marken für Vertrauen stehen müssen. Ihre Antwort auf ChatGPT-erzeugten Content? „Wir müssen besser sein“, forderte Ladina Heimgartner die Publisher auf und riet zu einer guten Fehlerkultur und zu einem massiven Überdenken der hausinternen Prozesse. 

Das Spiel ist nun jetzt mal so, dass wir diesen Mitspieler haben – und nun geht es darum, dass wir mit ihm umgehen und Chancen ergreifen.

Ladina Heimgartner, Ringier

 

 
In der Praxis ist bereits viel KI im Einsatz
  • Ein Beispiel, wie KI in Unternehmen implementiert wird, präsentierte das Haus Axel Springer. Generative AI, in der internen Kommunikation eingesetzt, erobert dort nach und nach das Unternehmen. Der Use Case in Kooperation mit Microsoft verdeutlicht, wie mit ChatGPT Abteilungs-spezifische Chatbots wirken können.
    Für Samir Fadlallah, CIO bei Springer, sind derlei Anwendungen keine Geldfrage: „Man muss es nicht alleine machen“, forderte der Manager zu Kooperationen auf. Doch Publisher sollten jetzt daran arbeiten, Generative AI in den Prozess der Inhalteproduktion einzubauen. Fakt ist aber auch: Gerade Springer nutzt die Chancen der Technik und baut vor allem im Regionalen Stellen ab. Jobs, die eine KI erledigen kann, werden künftig auch von der KI übernommen. 
  • Im Team von BurdaForward dient die kluge Datenanalyse auf KI-Basis dazu, im Schnitt 45.000 Artikel und 3000 Videos pro Monat konstant zu optimieren für mehr zielgerichtete Ansprache von Usern und Werbeumfeldern. Bei der österreichischen Nachrichtenagentur APA ist man sich sicher, dass KI nicht den Journalismus macht – aber dass sie hilft, die Arbeit besser zu machen.
  • Heiko Weigelt präsentierte in Wien für Funke, wie die KI bald personalisierte E-Paper erstellen könnte – als „natürlicher Nachfolger“ der gedruckten Zeitung. Auf dem Weg zum neuen Produkt brauche man Metadaten – „damit können automatisch Pakete für die jeweilige Stimmungslage der User geschnürt werden, ergänzt um Recommendation und automatisiertes Layout“. Weigelt zufolge ist der Funke-Inhaltepool HIVE der Nukleus für derlei Pläne. Wichtig: Jeder Funke-Artikel wird in verschiedenen Fassungen von vornherein gerendert und kann an den Ausspielweg mühelos angepasst werden. 
  • Massive KI-Unterstützung erfährt beispielsweise die Börsen-Zeitung dank ihrer Zusammenarbeit mit Sprylab, der Firma hinter Purple, einer KI-getriebenen Publishing Suite. Dabei ist die Generative AI unter anderem im Content Management System eingebaut. So lassen sich darüber Inhalte erstellen ebenso wie Exzerpte umfassender Schriftstücke, Umformatierungen. Daneben sind A/B Tests möglich, Bilder und Social Posts werden aus dem System heraus generiert, die SEO-Optimierung ist integriert und Texte können umgeschrieben werden. Daneben kann über Purple die Themensuche im Netz laufen. 

Zu spüren war beim Fachkongress in Wien, dass in vielen Häusern neue Technologien mit großer Sorgfalt angewandt werden. Verena Krawarik verwies darauf, wie wichtig im Umgang mit KI Kennzeichnung und Transparenz sind und sein werden; bei APA verankert im hausinternen Statut. Automatisiert erstellte Analysen seien im Ticker der österreichischen Nachrichtenagentur klar gekennzeichnet. „Die AI wird uns nicht auffressen“, sagte die Leiterin des APA-Media-Labs, das am Aufbau eines APA Trusted AI Portfolio arbeitet. Ihr Learning aus der ersten Phase der Prompts: „Man muss der Maschine schon sehr genau sagen, was man haben will.“

 

Was bedeutet KI für Fachmedien? 

Zunächst einmal stimmte Beispiel Ramón Kadel, CvD beim handwerk magazin aus dem Münchner Holzmann Verlag, den Forderungen nach Transparenz zu: „Es gilt, KI-generierte Texte klar zu kennzeichnen.“ Sein Haus arbeitet seit einigen Jahren im Leser:innen-Servicebereich mit Chatbots – mit guten Erfahrungen.

Wie lässt sich nun aber mit ChatGPT Geld verdienen? Für einen Fachverlag bieten sich aus Kadels Sicht Vorlagen für Prompt-Eingaben in Handwerksbetrieben etwa bei Rechnungen an, Schablonen für Programmiercodes oder für die Marketingautomation in Betrieben („Schreibe Werbebrief für Leasingangebot“), Muster für Bots, die Schlagwörter automatisch zuordnen können. Ebenfalls wichtig dürften für den Verlag Fachliteratur werden und ein Tool, „um Kunden die Arbeit abzunehmen“. Nun sei das Haus in einer Experimentierphase. 

Ebenso der BR; der öffentlich-rechtliche Münchner Sender nutzt Automatisation dazu, Inhalte zu personalisieren – zugeschnitten auf den Einzelnen, zugeschnitten auf die Regionen. „KI-Projekte sind gut geeignet, um die Digitalisierung im Haus im größeren Stil voranzutreiben“, betonte Cécile Schneider von BR Next beim European Publishing Congress. Das Wichtigste im Ki-Projekt sei aber der menschliche Faktor – neue Workflows erschaffen, Silos einreißen und übergreifend zusammenarbeiten, das eigene Können hervorheben.

 

Der Faktor Mensch 

KI im redaktionellen Rundum-Einsatz?

Davor wurde in Wien immer wieder gewarnt. Dass gerade im Bereich Social Media viel Menschliches und kluge Zusammenarbeit von Teams vonnöten ist, machte Mattia Bütikofer von 20 Minuten aus der Schweiz beim European Publisher Congress deutlich. Wer sich um TikTok, LinkedIn und Co. kümmere, müsse von Anfang an in den Redaktions- und Entscheidungsprozess einbezogen werden.

Wenn Videos über 30 Minuten im Querformat gedreht würden, sei es im Nachgang schwer, den schicken und funktionierenden Hochkant-Clip zu erschaffen, verdeutlichte Bütikofer. Die Macht der User-Ansprache hob der Schweizer hervor: Wer Nutzer:innen begeistert, sie an sich bindet, der kann sie auch (etwas schwieriger) dazu bringen, auf die hauseigenen Onlineangebote zu kommen.

Mattia Bütikofer (Foto: Medienfachverlag Oberauer/APA-Fotoservice/Schedl)

 

Auch für die "handgemachte" Zeitung soll es weiterhin einen Platz geben, wie Anja Burri aus dem Team der 2002 gegründeten NZZ am Sonntag berichtete. Das Blatt soll gestern wie heute vom Gründungsgedanken profitieren: von bunteren Geschichten, bei denen immer der Anlass der Berichterstattung kritisch hinterfragt werde. Da alle Zeitungen am Sonntag an Auflage verloren haben, musste die NZZ am Sonntag ihr Konzept überdenken und sich fragen, was Leser:innen heutzutage brauchen, die sich unter der Woche digital informieren. Burri: „Nach den News unter der Woche bieten wir das Lean-back am Wochenende“, eine Zeitung, „die von Menschen kuratiert wurde“.

Übrigens – mit Video an Bord können Printmarken auch von Programmatic Advertising profitieren. Die Rheinische Post etwa partnert bei Bewegtbild mit dem Videomarktplatz glomex. Dabei werden Videoinhalte prominent auf der Website der Rheinischen platziert. Das RP-Online-Team vermarktet nun diese Reichweiten selbst, ebenso wie glomex. So sind die Clips zum Umsatzfaktor geworden. Man sei kein reines Zeitungshaus mehr, „wir sind ein Medienhaus“, hieß es beim Kongress in Österreich.

 

Was macht KI mit Medienjobs? 

Andreas Arntzen, in Wien von kress pro als Medienmanager des Jahres 2022 ausgezeichneter CEO des Wort & Bild Verlags aus Baierbrunn bei München, appellierte an die Offenheit der Branche: „Wir müssen eine Kultur schaffen, die Veränderungen offen aufnimmt.“

So wurden im Haus hinter Gesundheitsmagazinen wie Apotheken Umschau und Diabetes Ratgeber die Top 30 des Managements mit Zugängen zu ChatGTP pro ausgestattet: „Ich bin überzeugt, dass man alle Dinge erst einmal ausprobieren muss, bevor man darüber spricht“, betonte der CEO.

Für Arntzen ist das Arbeiten mit KI eine Frage der Firmenkultur. „Man muss dafür Sorge tragen, dass die Menschen neugierig bleiben und die Leidenschaft haben, Neuland zu betreten", so der Manager in Wien. Ein Auswahlkriterium für ihn: "Ich brauche Mitarbeiter, die Lust darauf haben zu experimentieren.“ Auch baue er darauf, die Belegschaft intern für KI zu qualifizieren. „Berufsbilder werden sich ändern", räumte der Wort&Bild-Chef in Wien ein. "Ist das schlimm? Nein!“

 

Zwischen Riesenchance und Fluch ...

Christoph Mayer, Partner der auf Print spezialisierten Unternehmensberatung Schickler, nannte KI beim Fachkongress „die größte Chance, die es jemals in den Medien gegeben hat.“ Tilman Aretz, Chefredakteur von ntv.de und Geschäftsführer der Nachrichtenmanufaktur, fügte hinzu: „Der Journalismus wird besser werden.“ Für sein Team sei KI ein Kollege, „mit dem wir arbeiten“, ein Auge mehr zur Kontrolle von Inhalten. 

Zwischen „der größten Chance, die es je für die Medienbranche gab“ und „Fluch“ ist alles möglich mit KI. Das war in Wien der Tenor der Diskussion zur Frage: Was bedeutet KI für die Gesellschaft und welche Verantwortung tragen Medien dabei?

 

Annette Milz im Gespräch mit Bettina Billerbeck und Clemens Pig (Foto: Medienfachverlag Oberauer/APA-Fotoservice/Schedl)

 

Clemens Pig, APA-Chef, Christoph Mayer von Schickler, Bettina Billerbeck, Geschäftsführerin im Verlag hinter Madame, Tilman Aretz, ntv.de und Annette Milz, medium magazin, waren sich einig, dass Medien die besondere Verantwortung haben, mit KI sorgfältig umzugehen: „Es muss uns jetzt als Qualitätsmedien und -Nachrichtenagenturen endgültig gelingen, die neuen Technologien für uns qualitätsfördernd auszulegen.“

Pig plädierte für einen „Faktenraum“, den die klassischen Medien gemeinsam befüllen und einen Gegenpol zu den digitalen Plattformen mit „fragwürdigen“ Inhalten aus USA und China schaffen. Derzeit stünde die Branche an der Schwelle, an der KI-Generiertes vom KI-Check in der Waage gehalten werde – "an der Schwelle zwischen dem Küchengruß und der Vorspeise". Pig verdeutlichte: „Wir sind noch lange nicht beim Hauptgericht!“

 

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