Medientage München - Blog

Content muss man sichtbar machen

Geschrieben von Susanne Herrmann | 10. September 2021

Streaming ist unglaublich populär – aber so langsam wird es unübersichtlich. Nicht nur die Analysten von Deloitte stellten fest: Immer mehr Zuschauer:innen wünschen sich Orientierung. Ein Superaggregator muss her, der von den Abo-Diensten bis zu den linearen Lieblingssendern alles übersichtlich zusammenfasst. Das bietet seit Ende Juli in Deutschland ScreenHits TV; hierzulande sind zum Starrt Joyn (ProSiebenSat.1) und die SVoD-Anbieter Amazon Prime Video, Disney+, Netflix und Starzplay gebündelt; das Angebot unterscheidet sich in den einzelnen Ländern und soll weiter wachsen.
Für den hiesigen Markt ist Vice President Corporate Development Ramy Nasser verantwortlich. Im Interview mit dem Blog der Medientage München verrät er, wie sein Aggregator funktioniert und was Zuschauer:innen und Programmanbieter davon haben.

 

Herr Nasser, Sie wollten mit ScreenHits TV im Frühjahr starten, Ende Juli ging es jetzt wirklich los. Woran lag die Verzögerung? 

Die Verzögerungen sind bei digitalen Plattformen, die in einen neuen Markt eintreten, ja nicht unüblich. Wir wollten Erfahrungen aus den anderen Märkten gleich zum Eintritt in den neuen Markt richtig übertragen – weil wir zum Beispiel aus den USA und UK mehr über die Zielgruppen gelernt haben und neue Features und die Mobile App zum Markteintritt direkt bereitstellen wollten.

Dazu kommt, dass die Plattform sehr komplex ist und es aufgrund der technischen Anforderungen schnell zu drei Monaten Verzug kommen kann.

 

Also kurz: lieber später und richtig als pünktlich und unfertig? 

Genau!

 

Aus Ihren Erfahrungen wissen Sie dann vermutlich, was ein guter Aggregator können muss: Was wäre das? 

Aus unserer Perspektive muss er diejenigen Premium-Streaming-Services auffindbar machen, die eine Relevanz besitzen. Die großen Anbieter, aber eben auch die Streamer, die in ihrer Region, ihrem Segment und ihrem Genre besonders hervorstechen.

Was wir nicht zwingend auffindbar machen, ist der Streamingdienst Nummer 100-plus, weil wir uns auf eine maximale Anzahl beschränken. Die Limitierung auf die Premiumdienste macht das einfacher, und gepaart mit Algorithmen und Social-Media-Faktoren macht das den guten Mix aus, um den Content, der Relevanz für Sie als User:in hat, auffindbar zu machen.

 

Wo liegt denn diese Maximalgrenze an Diensten?

Bei 50. Das heißt nicht, dass wir zwingend 50 haben müssen, aber hier machen wir einen klaren Schnitt, weil wir uns auf die Anzahl beschränken, von der wir glauben, dass sie maximal relevant ist. Diese maximal 50 Channels umfassen sowohl abofinanzierte SVoD-Anbieter als auch werbefinanzierte AVoDs und lineare Kanäle.

 

Was unterscheidet ScreenHits TV von Plattform- und Programmanbietern wie Telekommunikationsfirmen oder Pay-TV-Unternehmen?

Wir unterscheiden uns dahingehend, dass es keine langen Vertragslaufzeiten gepaart mit hohen monatlichen Grundgebühren gibt. Wir weisen einzig eine sehr geringe monatliche Gebühr von 99 Cent für Premiumfunktionalitäten aus.

Für ScreenHits TV braucht es keine Hardware (Settop Box, Satellit, Kabelnetz), wir sind damit ein reines OTT-Produkt, das auch über Ländergrenzen hinweg konsistent entwickelt wurde. Und zuletzt: Wir wollen kundenzentriert agieren, arbeiten also nicht nur mit fünf oder sechs großen Content-Anbietern zusammen, sondern geben auch lokalen Streamern oder Premium-Genre-Anbietern eine Chance, wenn sie guten Content haben, der gefragt ist. Wir bevorzugen also keine Content-Partner, nur weil sie vielleicht größer als andere sind.

 

Es gibt als neben der kostenlosen eine kostenpflichtige Version von ScreenHits TV. Was bekommen die Zuschauer:innen für 99 Cent im Monat? 

Wir werden in den Apps das Thema Premium-Feature adressieren. Zum Beispiel "TV Friends" für Apple-Mobilgeräte: Das ermöglicht es unseren Subscribern, die Empfehlungen und Sehgewohnheiten mit Freund:innen aus dem eignen Netzwerk zu teilen, über ihre gewohnten Social-Media-Kanäle. Dann wird es die Funktion "Watch together“ und Rabatte auf Streaming-Abos geben. Bei Kinder-Content werden Safety Pins vorinstalliert.

Und all das bringt ein bisschen Aufwand unsererseits mit sich, das kostet die Kund:innen dann 99 Cent. Die reine Desktopversion kommt ohne monatliche Gebühr, hier können die Zuschauer:innen ihre Streaming-Services organisieren und im TV-Guide anschauen.

 

Direkt auf dem TV-Gerät gibt es die App noch nicht, man braucht einen Streaming-Stick wie von Amazon, ein Mobilgerät oder den Computer. Geschaut wird aber gern auf dem großen Bildschirm. Wird das frühe Nutzer:innen nicht verschrecken?

Wir haben die Casting-Funktionalität, wo ich auf dem Mobilgerät suchen kann, um auf dem großen Bildschirm dann zu konsumieren. Nichtsdestotrotz gehen wir natürlich Kooperationen mit TV-Herstellern ein. Anfang Oktober starten wir zum Beispiel eine Kooperation mit Metz TV aus Bayern, und zwar für ganz Europa. Und das ist erst der Anfang.

Wir werden noch in der zweiten Jahreshälfte bei dem einen oder anderen großen Connected-TV-Hersteller zu sehen sein. Aber dadurch, dass wir ein reines OTT-Produkt sind, haben wir je nach Nutzergewohnheit ein Element eingebaut, um andere Sehgewohnheiten zu adressieren, unabhängig von der Marke des Fernsehgeräteherstellers.

 

Partnerschaften sind das A und O in Ihrem Geschäftsfeld. Sowohl im Bereich Technik als auch Inhalte. Wie sorgen Sie dafür, dass keiner Ihrer Partner bevorzugt oder benachteiligt wird?

Wir legen großen Wert darauf, dass wir Partner nicht bevorzugen. Was Content angeht, glauben wir einfach, dass guter Content sein Publikum findet; man muss ihn nur sichtbar machen. Zudem "retargeten" wir verlorengegangene Abonnent:innen, das heißt: Wir erinnern Konsument:innen auch an vielleicht vergessene Inhalte, die er oder sie einmal abonniert hatte, wenn eine abgelaufene Serie oder beispielsweise ein Sportevent neu aufgesetzt wird.

Auf Basis unserer Algorithmen und der Empfehlungen von Freund:innen bekommen Nutzer:innen relevante Inhalte angezeigt, weil wir gut erahnen können, was für sie relevant ist. Das aber gepaart mit Inhalten, die im Trend liegen, und in Kooperation mit den Content-Partnern: Die kennen natürlich ihre Highlight-Formate und wir legen Wert darauf, dass unsere Partner ihre populären Inhalte prominenter ausgespielt bekommen als Formate, die zum Beispiel schon länger zurückliegen.

Es ist also ein Mix aus verschiedenen Elementen. Nicht nach dem Motto, wer der erste Partner ist, bekommt der Vorzug. Wir wissen aber auch, dass große Anbieter oft populäreren Content haben als Marktteilnehmer, die ganz neu mit ihrem Streaming-Angebot auf den Markt gehen. Das liegt in der Natur der Sache.

 

Wie finanziert sich ScreenHits TV? 

Wir haben verschiedenen Geschäftsmodelle: Grundsätzlich bewegen wir uns auf der Seite der Streamer. Wachsen Streamer durch neue Abonnements oder steigende Werbefinanzierung, partizipieren wir, zum Beispiel, wenn die großen Kunden über unsere Plattform neue Nutzer:innen finden oder wir verlorengegangene Abonnent:innen retargeten und zurückbringen. Das ist deshalb attraktiv, weil ScreenHits TV ein flexible Userbase bedient. Wir bringen Partnern neue Kund:innen und partizipieren.

Das Zweite sind die monatlichen Abonnements: Wir sind kein weiterer Abo-Streaming-Dienst (SVoD), sondern wir haben eine geringe technische Zugangsgebühr von 99 Cent. Und zuletzt bündeln wir Inhalte und kommen mit Angeboten zu Streamings-Bundles auf den Markt.

Es wird auch weitere Screens geben, auf denen wir zu sehen sein werden und die ScreenHits TV in der Reichweite attraktiv machen.

 

Wie sehen die strategischen Pläne für ScreenHits TV aus: Wie viele potenzielle Nutzer:innen wollen Sie wann erreichen? Welche Partner kommen in der nächsten Zeit dazu? 

Beim Ausblick orientiere ich mich gern an den großen Streamern, die sich ein Stück weit bedeckt mit Zahlen halten (lacht).

Aber ja, wir zielen auf mehrere Millionen Nutzer innerhalb der nächsten fünf Jahre. Wir haben den Plan, in den nächsten 2 Jahren in 23 Märkten aktiv zu sein. Im Raum DACH gilt das für dieses Jahr, auch andere Länder in Europa wie Italien oder Spanien kommen noch 2021 dazu.

Strategisch setzen wir auf vielseitige Angebote. So gehen wir davon aus, dass ein Wachstum der Nutzerzahlen der Streamer, auch dank ScreenHits TV, auch uns zugutekommt, aber wir glauben außerdem daran, dass es jenseits der klassischen Distributionskanäle bald noch weitere Kanäle und Screens geben wird. Und hier wäre ScreenHits TV quasi der zentrale Hub für Dienste und Unternehmen, die dann nicht zwingend aufwendig mit verschiedenen Partnern individuelle Deals verhandeln müssen, sondern mit uns eine bequeme Plattform haben, einen Hub für Entertainment.

Streaming ist der größte Wachstumsmarkt im Entertainment derzeit, und da wollen wir eine schöne Anlaufstelle sein.

So präsentiert sich der "Superaggregator" ScreenHitsTV. (Screenshot)

 

Zur Person:

Ramy Nasser zählt zu den Referenten der Medientage München 2021. Er ist seit Ende 2020 bei ScreenHits TV und kümmert sich von München aus um den Aufbau von Vertrieb und Partnerschaften in Europa. Bis Ende 2018 arbeitete Nasser als Director International Business Development bei ProSiebenSat.1, wo er unter anderem die European Media Alliance mit Mediaset, TF1, Channel 4 und weiteren europäischen Broadcastern mit aufgebaut hat. ScreenHits TV ist derzeit im Browser verfügbar und in Kürze über iOS (Mobile und Tablet) und CTVs wie Metz Connected TV sowie Amazon Fire TV Stick.

Hinter ScreenHits TV steht die 2012 gegründete britische Firma ScreenHits, die bisher ausschließlich als B-to-B-Anbieter in Erscheinung trat und Kunden wie Turner, IMG, Sony Pictures oder BBC Worldwide mit technischen Lösungen zur Content-Monetarisierung versorgte.

 

Mit einem ausführlichen Programm in Zusammenarbeit mit unseren Partnern MEKmedia und der Deutschen TV-Plattform wird das MEDIENTAGE Special Connect! The Future of TV Ende Oktober Teil der MEDIENTAGE MÜNCHEN sein. Dort wird dann auch zum zweiten Mal der Connect! The Smart TV Award verliehen.


Die MEDIENTAGE MÜNCHEN finden dieses Jahr vom 25. bis 29. Oktober statt. Sie stehen unter dem Motto 
New Perspectives. Dabei blicken wir auf die Zeit nach der Corona Pandemie und zeigen neue Perspektiven und Geschäftsmodelle auf.

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