Medientage München - Blog

So ticken Fernsehleute heute

Geschrieben von Petra Schwegler | 19. Mai 2022

Das Management der SevenOne Entertainment Group hat das Programm ihrer Sender kürzlich in Hamburg vor der Presse präsentiert. Mit interessanten Einblicken in den Maschinenraum eines Bewegtbildkonzerns. Hier die wichtigsten Erkenntnisse.

Wenn die TV-Konzerne ihre Programmstrategien der Öffentlichkeit präsentieren, dann wird das meist wie großes Kino inszeniert. Aufwändige Programmclips, die bekanntesten Aushängeschilder mit von der Partie, die Chefriege gesammelt vor Ort.

Dennoch hat sich, wie aktuell bei einem Pressetermin der ProSiebenSat.1-Entertainment-Sparte vor Programm- und Fachpresse, im Vergleich zu den Jahren vor dem Streaming-Boom einiges  im Genre Fernsehen verändert. 

 

Streaming-Welt wird Impulsgeber

Hannes Hiller zeigt sich begeistert von „Bridgerton“. Der schwülstig-romantische Netflix-Hit von Produzentin Shonda Rhimes hat den Senior Vice President Development & Content Strategy Entertainment von ProSieben und Sat.1 gefesselt und inspiriert. Die Folge: Mit „Love is King“ kommt die neue Datingshow aus dem Hause ProSiebenSat.1 im pompösen Romantiklook à la Bridgerton daher.

Die Teilnehmer:innen werden in der von ITV Studios Germany produzierten Reihe auf royalen Look und Benimm trainiert. Oder wie Hannes Hiller sagt: „In der Datingshow ‚Love is King‘ dreht sich für Singles auf Partnersuche die Zeit zurück. Digital Natives gehen auf eine romantische Zeitreise, um ihre:n Partner:in zu finden. Das wird sehr märchenhaft.“

 

Windowing spielt eine große Rolle

Wer jetzt denkt, bei ProSiebenSat.1 gelte noch „TV first“, der muss sich komplett neu orientieren. Stichwort: „Windowing“. Die orchestrierte Mehrfachverwendung von Inhalten über mehrere Trägermedien gilt längst im Unterföhringer Bewegtbild-Konzern.

Im Fall von „Love is King“ macht zuerst das Netz das Rennen: „Ballabende, pompöse Gewänder, respektvolle Umgangsformen und Kommunikationsmöglichkeiten wie einst bei Hofe“, wie es in der Vorankündigung heißt, sind ab Herbst zunächst exklusiv bei der ProSiebenSat.1-Streaming-Destination Joyn zu sehen. Und erst danach bei ProSieben.

Frauen an die Macht!

Vor einem Jahr übernahm ProSieben-Senderchef Daniel Rosemann zusätzlich auch Sat.1. Nach einem halben Jahr Erfahrung im Doppelamt verkündete er: "Sat.1 ist eine starke, selbstbewusste Frau aus Deutschland, die manchmal vom Alltag gestresst ist, aber grundsätzlich das Leben liebt."  

Ein weiteres halbes Jahr später gibt er weitere Details darüber preis, was die Botschafterin dieses neuen Selbstverständnisses, Birgit Schrowange (Foto oben), künftig beitragen wird. Nach einem verzögerten Start aufgrund von Corona dreht sie laut Rosemann nun täglich, um mit den zwei geplanten Formaten „Birgits starke Frauen“ in der Primetime sowie „Wir werden mehr“ am Sonntagvorabend bei Sat.1 zu starten.

Daneben spielt die langjährige RTL-Moderatorin den Sommer über eine große Rolle beim „Bällchensender“: Vier Wochen lang präsentiert Birgit Schrowange zur Primetime „Unser Mallorca“, eine Reisereportage über die beliebte Ferieninsel, auf der sie selbst einige Monate pro Jahr verbringt.

Senderchef Rosemann hofft, dass bei den 40- bis 64-jährigen Frauen die Dinge weiterhin wirken, die sein Team neu aufsetzt. Verfechterinnen einer weiblicheren Sichtweise im TV-Markt dürfte es freuen.

 

(Noch) mehr Inhalte mit Tiefgang

ProSieben hat bereits seinen Reporter Thilo Mischke, der in der rechten Szene recherchiert oder Verschwörungstheorien auf den Grund geht. Daneben legen Joko & Klaas immer wieder mit überraschenden Formaten den Finger in gesellschaftliche Wunden.

Nun kommt bei Sat.1 der beliebte „QuizonkelJörg Pilawa an Bord, der zunächst einmal im Sommer in fünf Folgen jeweils fünf Prominente „Zurück in die Schule“ schickt. Sie stellen sich in der neuen Show einer realen Grundschulprüfung. Daneben verrät Pilawa, dass die Rückkehr zu Sat.1 nach einer langen, rein öffentlich-rechtlichen Phase „Gründe“ hat: Herzensthemen mit Tiefgang und Botschaft könne er nun auch mal schnell umsetzen. Themen wie die Notlage der Tafeln oder die Bedeutung des Ehrenamtes sollen bei Sat.1 eine Plattform bekommen.

Daneben arbeitet das Team um Chefredakteur Sven Pietsch daran, dass Nachrichten für die ProSiebenSat.1-Sender ab Januar 2023 aus München kommen. Verzögerungen am Neubau durch Lieferengpässe sind zu managen, das Recruiting für die geplante, rund 70 Personen starke neue News-Redaktion läuft.

 

Retro – aber richtig

Daniel Rosemann ist wichtig, dass nicht alles im TV wieder hervorgekramt werden sollte. „Kult geht noch einmal. Wenn also Retro Kult sein sollte, dann könnte das funktionieren“, meint der Fernsehmacher aus Unterföhring.

So erklärt sich dann wohl das geplante Revival der einst von Stefan Raab ausgeheckten und zelebrierten „Wok WM“ im Winter 2022/23 als „TV total Wok WM“. Das Live-Event im großen Stil wird ebenso wie „TV total“ von Sebastian Pufpaff präsentiert. Senderchef Rosemann und sein Team suchen derzeit nach prominenten Rutsch-Willigen.

 

Pandemie und Fiction-Nachfrage prägen TV

Eigenproduziertes statt Blockbuster, die Zeit der großen Fiction im TV neigt sich in Teilen dem Ende zu. Aus verschiedenen Gründen.

"Die Anzahl großer Kinotitel aus Hollywood wird immer weniger, durch die Pandemie sind zudem viele Projekte liegen geblieben. Da wir Filme meist etwa zwei bis drei Jahre nach Kinostart fürs Free-TV bekommen, können wir aufgrund der Pandemie schon absehen: Es wird in der nächsten Zeit keine für uns befriedigende Versorgung mit neuen Blockbustern geben", begründet Daniel Rosemann unter anderem die Entscheidung, warum sich ProSieben am Sonntagabend vom Blockbuster trennt.

Allein auf Hollywoodware kann sich das Fernsehen bei den Reichweiten ohnehin nicht mehr verlassen. Zumal US-Filme und -Serien den Kern des expansiven Streaming-Angebots ausmachen und Nachschub wie Publikum zu sich holt. Da muss und kann TV nicht mehr mithalten.

Zudem hält sich das Team Rosemann auch bei deutscher Fiction zurück; große Stoffe zu entwickeln und mit Erfolg an die Zuschauenden zu bringen, macht unter anderem gerade RTL zu schaffen.

 

Fazit:
Es hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert in den Strategien der TV-Macher:innen, wie am Beispiel ProSieben und Sat.1 zu erkennen ist. Geprägt ist das neue Denken von veränderten Vorlieben des Publikums hin zum gestreamten Inhalt, von Folgen der Corona-Pandemie und auch von anderen Prioritäten im eigenen Haus. Diese heißen im konkreten Fall Joyn.

Content-Strategien, New TV, Streaming, OTT, Smart TV Apps, Plattformen und Devices, New TV, Connected TV, Storytelling und Distribution, Addressable TV oder auch Interactive Experiences und Social TV stehen auf dem Programm des MEDIENTAGE Specials Connect! The Future of TV. Es findet in diesem Jahr bereits zum siebten Mal statt und widmet sich am 31. Mai vor Ort in München der Welt des vernetzten Fernsehens (in Kooperation mit MEKmedia).

Hier geht es zum Programm und zum  Ticketshop.

In diesem Rahmen wird darüber hinaus zum dritten Mal der Connect! The Smart TV Award verliehen. Er zeichnet besondere Innovationen, Apps und Services rund um das vernetzte Fernsehen aus. Die MEDIENTAGE MÜNCHEN verleihen den Award gemeinsam mit der Deutschen TV-Plattform, unterstützt vom MedienNetzwerk Bayern. Als Verbandspartner ist VAUNET mit an Bord. 

 

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