Die Mediengruppe RTL hat mit dem Programmausblick 2020/21 eine Content-Offensive angekündigt. Und will parallel ihr Streaming-Angebot TVNOW zum Reichweitenbringer aufbauen. Rückenwind kam ausgerechnet mit der Corona-Krise. Was RTL und TVNOW aus dieser Zeit mitnehmen und wie die Inhaltestrategie für die Streaming-Plattform aussieht, darüber spricht Henning Tewes, Co-Geschäftsleiter TVNOW & COO Programme Affairs & Multichannel bei der Mediengruppe RTL, im Blog der Medientage München.
Herr Tewes, während der ersten Phase der Corona-Pandemie legten Sender und Streaming-Portale massiv an Reichweite zu, in den Sommermonaten schien sich die Nachfrage wieder einzupendeln. Wie wirkten sich diese Entwicklungen bei den RTL-Sendern und bei TVNOW aus? Welche Lehren aus dieser Zeit nehmen Sie mit?
Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, welche unglaubliche Relevanz Bewegtbild hat, das haben wir auf allen Kanälen gemerkt. Die journalistische Gesamtreichweite der Mediengruppe RTL lag im März – auch dank zahlreicher Spezialausgaben zum Thema Corona – durchschnittlich bei 29,84 Millionen Menschen pro Tag, ein neues Alltime-High. Allein bei TVNOW haben die Abrufe von „RTL aktuell“ und ntv um bis zu 70 Prozent zugenommen.
Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, welche unglaubliche Relevanz Bewegtbild hat.
Henning Tewes, MG RTL
Das zeigt, dass die Menschen auf bekannte, verlässliche und lokale News-Angebote vertrauen, wenn es wirklich wichtig wird. Im Unterhaltungsbereich sah es nicht anders aus. "Let’s Dance" hatte die erfolgreichste Staffel seit 2014, "DSDS" das erfolgreichste Finale seit 2015 – beide Formate hatten auch bei TVNOW sehr gute Abrufe. Im Zusammenspiel der Informations- und Unterhaltungssendungen unserer linearen Sender und der TVNOW-Originals wie „Temptation Island“ konnten wir so bei TVNOW im März mit 5,95 Millionen Unique Usern einen neuen Rekord aufstellen.
Dass wir in allen Bereichen steigende Zahlen haben, zeigt, dass unsere Strategie, Streaming und Broadcasting Hand in Hand anzugehen, aufgeht. Und es macht deutlich, dass es seitens der Zuschauer inzwischen eine große Bereitschaft gibt, für gute Inhalte zu bezahlen.
Nicht zuletzt deshalb investieren wir über die Mediengruppe RTL eine Milliarde Euro in Content im Jahr, bezogen auf die „Content Alliance“ sogar zwei Milliarden – und wir sprechen hier von Investitionen in einen deutschsprachigen Markt, nicht in ein weltweites Produkt.
Können Sie Zuwächse aus der Zeit in Stammseher überführen?
Ja, durchaus. Bei TVNOW haben beispielsweise 55 Prozent der User, die in der Zeit des Lockdowns ein Probeabo abgeschlossen haben, dieses Abo auch verlängert.
Und bei ntv hat die Zahl der Seher, die täglich mindestens eine halbe Stunde schauen, im Vergleich zum Januar 2020 um 20 Prozent zugenommen – um nur einige Zahlen zu nennen.
Die Werbekunden waren trotz der guten Reichweiten zurückhaltender als die Zuschauer. Wie ist die Mediengruppe RTL damit umgegangen, wie haben Sie Werbekunden überzeugt?
In den letzten Monaten waren vor allem zwei Effekte zu beobachten: Die Mediennutzung ist auf allen Kanälen gestiegen, da ein größeres Bedürfnis nach Informationen und Unterhaltung besteht. Gleichzeitig sind Vertrauen und ein neues Wir-Gefühl bedeutsamer geworden. Es gibt eine Reihe von Kunden, die genau auf dieses Wir- bzw. Gemeinsamkeits-Gefühl setzen und entsprechende Motive für ihre Kommunikation einsetzen.
Die Kollegen von der Ad Alliance sind dabei sehr kreativ mit der Situation umgegangen und haben verschiedene Maßnahmen kreiert, mit denen Kunden kurzfristig auf die jeweilige Situation reagieren und mit ihren Botschaften rund 80 Millionen Menschen erreichen können – entweder im TV, via In-Stream oder In-Page, in Print sowie im Audio-Bereich und über Social Media.
Ende Juli kündigte die RTL-Familie an, wie das Programm der kommenden Saison aussehen wird. Kurz gesagt: RTL ist Heimat von Musik-, Promi- und Liveshows. VOX widmet sich dem echten Leben mit Tipps und Dokus. TVNOW lockt mit einer Late-Night-Show von Stefan Raab, Serien und Reality-Formaten. Wie sieht die Strategie bei der Verteilung der Inhalte auf die verschiedenen Abspielstationen aus, vor allem mit Blick auf TVNOW?
Die Strategie ist, auf allen Plattformen der Mediengruppe RTL die attraktivsten Inhalte mit den größten Talenten Deutschlands anzubieten. Von dem Zusammenspiel profitieren alle.
Chris Tall hat bei RTL unter anderem seine Show „Darf er das?“ und bei Audio NOW seinen Podcast „08/17“ mit Özcan Cosar, der auf TVNOW auch als Video-Podcast zu sehen ist. „Prince Charming“ lief im letzten Herbst auf TVNOW. Nach dem großen Erfolg bei uns und auf vielfachen Wunsch der Zuschauer ist es im Frühjahr dann auch bei VOX zu sehen gewesen. Und im Rahmen unserer Fiction-Offensive werden Serien wie „Tonis Welt“ oder „Lucie“ sieben Tage vor der TV-Ausstrahlung, die Event-Serie „Unter Freuden stirbt man nicht“ aber mit deutlich größerem zeitlichen Abstand auf TVNOW zu sehen sein.
Sprich: An der Positionierung der Sender ändert sich nichts, aber wir – und unsere Stars – haben durch das Zusammenspiel noch mehr Möglichkeiten und die Zuschauer ein noch größeres Angebot, auf das sie zugreifen können. Die TVNOW-Premium-User aber eben meist zuerst, um – neben den zahlreichen Originals, die wir inzwischen anbieten – als zahlende Kunden einen Vorteil zu genießen.
Und es gibt auch zahlreiche TVNOW-Originals wie unsere Young-Adult-Serien „Verbotene Liebe – Next Generation“ und „Sunny – Wer bist Du wirklich?“, Factual-Formate wie „Just Tattoo of us“ oder die neue Late-Night-Show von Stefan Raab, die ausschließlich auf TVNOW zu sehen sein werden. So werden wir in der nächsten Season fast wöchentlich Neustarts bei unserem Streaming-Angebot haben.
Wie grenzen Sie die Zielgruppen auf den Plattformen im Jahr 2020 voneinander ab?
TVNOW hat ein deutlich jüngeres Publikum als RTL und VOX, dementsprechend werden unsere Originals auch ausgesucht und produziert. Das kann dann schon mal dazu führen, dass ein Format im TV nicht die gewünschten Quoten erzielt, für uns aber ein großer Erfolg ist, wie zum Beispiel unsere Love Reality „Are you the one?“.
In anderen Fällen, zum Beispiel bei „Prince Charming“, „Temptation Island“ oder „Laura und der Wendler – Jetzt wird geheiratet“, funktionieren die Formate auf allen Kanälen und können durch die Ausspielung ein noch größeres Publikum erreichen.
Immer mehr Zuschauer wissen dabei zu schätzen, dass sie die Programme bei TVNOW jederzeit und überall abrufen können. Das ist ja der klare Vorteil von Streaming.
Welche Ziele haben Sie mittelfristig mit TVNOW?
Wir wollen der „Mainstreamer“ werden – und sind da bereits auf einem sehr guten Weg. Unsere User können schon jetzt auf 47.000 Programmstunden verschiedener Genres zugreifen.
In der neuen Season wird unser Angebot mit der Fiction-Offensive, unserem umfangreichen Spielfilmpaket, dem Family- und Kids-Bereich, Fußball und noch mehr Factual- und Reality-Formaten aber nochmal deutlich breiter. Der Fokus liegt dabei weiterhin ganz klar auf lokalen Inhalten für ein großes Publikum.
Streaming bedeutet Unterhaltung, Fernsehen Information: Ist diese Zweiteilung heute so noch haltbar?
Bei uns gibt es diese Zweiteilung nicht. Die Informationssendungen von RTL und ntv sind auch bei TVNOW verfügbar.
Das war gerade in der Startphase von Corona ein klarer Vorteil gegenüber den globalen Streamern. Wir konnten sowohl den Wunsch nach Information als auch den nach Eskapismus abdecken. Das wird bei uns auch in Zukunft so sein.
Werfen wir einen Blick in die Glaskugel: Erleben wir bald, dass Plattformen wie TVNOW unsere klassischen Sender überflüssig machen werden?
Nein. Bei uns in der Mediengruppe gehen Streaming und Broadcasting wie gesagt Hand in Hand - und wir können auch in allen Bereichen schöne Erfolge erzielen.
Henning Tewes ist seit Jahresbeginn 2020 als Co-Geschäftsleiter für das Inhalteangebot der Plattform TVNOW verantwortlich. Zusätzlich zu seinen Aufgaben als COO Programme Affairs & Multichannel bei der Mediengruppe RTL, wo er seit Mai 2019 den Einkauf und das Produktionsgeschäft führt.
Vertreter der Mediengruppe RTL werden im Rahmen der 34. Medientage München (24. bis 30. Oktober) mit anderen Branchenkennern über Trends und Herausforderungen der Medienbranche sprechen - erstmals auf der digitalen Bühne im virtuellen Raum.
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