Medientage München - Blog

Streaming und der Wandel vor dem Bildschirm

Geschrieben von Petra Schwegler | 17. Mai 2024

Ein gesättigter Streaming-Markt konsolidiert sich - und das Publikum profitiert davon? Durchaus möglich. Denn in deutschen Wohnzimmern sorgt die Fülle an Inhalten und Plattformen für Überforderung. Daneben schmälern hohe Lebenskosten das Medienbudget und erhöhen die Bereitschaft, für weniger Abo-Gebühr Werbung zu akzeptieren. Die Entwicklungen hin zu mehr Bewegtbild aus einer Hand, das gern auch werbefinanziert sein darf, untermauert ein Annalect-Report mit aktuellen Umfrageergebnissen.

 

Gleich zwei relevante Trends beim Konsum von Bewegtbildinhalten verfestigen sich derzeit: Zum einen fühlen sich immer mehr Menschen angesichts der steigenden Angebotsvielfalt im Bereich Streaming und Video on Demand (VoD) überfordert. Zum anderen steigt die Bereitschaft, "Werbung gegen Preis“ zu akzeptieren.

Das geht aus dem "Video on Demand Tracking 2023"-Report hervor, in dem die zur Omnicom Media Group Germany gehörenden Spezialisten der Annalect die Menschen nach ihrem idealen Bewegtbildangebot, ihrer Ausgabebereitschaft und auch nach der Akzeptanz von Werbung befragt hat.

 

Chancen für "Super-Streamer" und Aggregator-Plattformen

Sieht man sich die Ergebnisse des Annalect-Reports im Detail an, wird schnell deutlich, dass der Zeitpunkt für Plattformanbietende und Infrastrukturbetreiber günstig ist, um mit Wegfall des Nebenkosten-Privilegs im Juli 2024 neue Kund:innen zu gewinnen. Rund zwölf Millionen Miet-Haushalte in Deutschland sind dann nicht mehr auf eine feste Bindung ans Kabel-TV angewiesen, sondern können selbst über die Art ihres Fernsehempfangs entscheiden.

Ihre gebündelten Offerten aus einer Hand ("Super-Aggregator“) treffen beim Publikum auf wachsenden Unmut über den Dschungel im VoD- und Streaming-Markt, in dem sich dem Report zufolge "mittlerweile rund 35 Anbieter von Video-Portalen, VoD-Streaming-Plattformen, Mediatheken, Live-TV und Pay-TV tummeln“.

Annalect, Spezialist für technologie- und datengetriebenes Marketing, hat ermittelt:

  • 60 Prozent der Deutschen fühlen sich durch die Angebotsvielfalt im Video on Demand (VoD)- und Streaming-Markt mit Netflix, Prime Video, Disney+, Magenta TV, Dazn, Waipu TV bis hin zu Joyn, RTL+ Premium & Co überfordert. Sie hätten demnach lieber „nur einen Anbieter, der sämtliche Inhalte abdeckt“, heißt es weiter. Das entspreche einem Anstieg von elf Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahreswert.
  • Rund 39 Prozent der Befragten geben demnach an, inzwischen keinen Überblick mehr über die vielen Anbieter bzw. den Überblick, welche Inhalte man bei welchem Anbieter findet, verloren zu haben.
  • Für 34 Prozent gibt es darüber hinaus zu wenig neue, qualitativ hochwertige Inhalte.
  • Ebenfalls 34 Prozent fühlen sich durch die kostenfreien Angebote gut versorgt – was das Plus bei Reichweiten der Mediatheken (BVoD) von ARD, ZDF und der privaten Sender bestätigt. Die April-Bilanz aus Köln lautet entsprechend: "Mit 32,31 Millionen Videostarts ist zudem das gesamte Streaming-Angebot von RTL Deutschland bei den 14- bis 29-Jährigen die klare Nummer 1 aller ausgewiesenen Anbieter.“ Die Offerte ist zum Teil werbefinanziert und kostenfrei.
  • Weiter heißt es in dem Annalect-Werk: 52 Prozent der Befragten wünschen sich einen VoD-/Streaming-Dienst, bei dem die Inhalte aller bekannten Anbieter gebündelt sind. Das kommt den Wünschen von ProSiebenSat.1 entgegen, wo das Management darauf hinwirkt, nach österreichischem Vorbild unter dem Dach von Joyn mit allen deutschen Sendern eine Aggregator-Plattform beziehungsweise einen Super-Streamer zu schaffen.
  • 50 Prozent sind der Omnicom-Analyse zudem nicht bereit, sich bei mehreren Anbietern anzumelden, um sehen zu können, was sie persönlich interessiert – „ganz gleich ob kostenpflichtig oder kostenfrei“. In der Vorjahreserhebung aus 2022 habe dieser Wert noch bei 44 Prozent gelegen.
  • Aktuell würden nur laut Report noch 32 Prozent bei entsprechend angemessenen Kosten mehrere Anbieter nutzen – ein Rückgang von zehn Prozentpunkten gegenüber Vorjahr.
  • Im Schnitt sind die Befragten bereit, pro Monat 17 Euro für einen Anbieter zahlen, für mehrere Anbieter liegt die Ausgabebereitschaft bei durchschnittlich 32 Euro.
  • Um die eigenen Ausgaben zu senken, würden die Menschen zunehmend Werbung akzeptieren: Etwa 60 Prozent der Befragten geben an, gegenüber Werbung in VoD-/Streaming-Angeboten generell offen zu sein. Die wachsende Zahl an werbefinanzierten Plattformen (AVoD) und linearen Stream-Kanälen mit Reklame (FAST) spiegelt diese Offenheit auf Anbieterseite.
  • 32 Prozent würden Annalect zufolge lieber Werbung schauen, anstatt für die Inhalte zu bezahlen. Hier offenbare sich ein Dilemma, heißt es in der Auswertung des Reports: „Die Bereitschaft, für einen geringeren Preis eine kleine Menge Werbung zu sehen, ist in den letzten Jahren gesunken (2022: 38 Prozent, 2023: 28 Prozent)“.

Was es bei AVoD und FAST zu beachten gilt

Die Mediagentur warnt: Um die Konsument:innen nicht zu verärgern und neue Nutzer:innen zu gewinnen, brauche es für "Werbung im kostenpflichtigen Abo" also Feingefühl für das richtige Verhältnis zwischen Werbung und Preis - und es brauche "gute" Werbung, die einen Mehrwert liefert.

Für 43 Prozent der Befragten ist "gute Werbung“ demnach kurzweilig, für 40 Prozent unterhaltsam und für 37 Prozent informativ. Darüber hinaus sollte die Werbung zum Inhalt passen (33 Prozent), einzigartig sein (31 Prozent) und sich von anderer Werbung abheben (32 Prozent).

Stephan Bartelmuss, Head of Strategy bei Omnicom Media Group Germany, fasst die Ergebnisse zusammen: "Vermehrtes VOD/Streaming führt zur Nutzung mehrerer Anbieter - ein Anbieter allein wird den heutigen hohen Anforderungen oft nicht mehr gerecht. Es herrscht ein Spannungs-verhältnis zwischen grenzenlosem Nutzungserlebnis und diversifizierenden Angebot. Zunehmend wächst der Wunsch nach einem Anbieter, der alles bietet. Gründe sind vor allem Kostenersparnis, Übersichtlichkeit und Usability.“

Sibylle Lucke, Teamlead Research bei Annalect, sieht den VoD-/Streaming-Markt am Scheideweg angekommen: „Er hat eine Angebotsvielfalt erreicht, die die Menschen sowohl hinsichtlich Inhalten wie auch Anbietern tendenziell überfordert. Wer hier eine Allround-Lösung bietet und das richtige Augenmaß zwischen Preis, Werbung und Inhalten findet, kann den nächsten Meilenstein im VoD-/Streaming-Markt legen.“

Trotz allem würden Marketer im geschilderten Bewegtbild-Umfeld auf eine werbeoffene Zielgruppe treffen; „allerdings muss Werbung auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen und einen Mehrwert liefern“, schränkt die Spezialistin ein.

Annalect hat für den Report über vier Wellen im Jahr 2023 (März, Mai, August, November) auf eine quantitative Befragung bei einer Online-repräsentativen Zielgruppe zwischen 18 und 59 Jahren via Online-Access-Panel gesetzt. Sowohl kostenlose als auch Abo-Anbieter wurden abgefragt, unterteilt in fünf Kategorien (Video-Portale, VOD-/Streaming-Anbieter, Mediatheken, Live-TV-Streaming, Pay-TV). Pro Welle wurden die Aussagen von 4000 Menschen eingeholt, insgesamt kamen so 16.000 Angaben zusammen.

Ergänzt wurde die Befragung um eine qualitative Studie (Online Research Community, 36 Teilnehmende aufgeteilt in drei Teilgruppen zu je zwölf Befragten; daneben drei Fokusgruppen mit je sechs Teilnehmenden aus der Online Research Community).

 

Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 37. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und auch im Blog der Medientage bereit.

Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der Medientage München.