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Warum Streaming-Abonnenten für Werbung nicht verloren sind

Geschrieben von Susanne Herrmann | 01. April 2021

Das US-Büro von Nielsen schockt mit einer Zahl aus dem bezahlten Video-Streaming (SVoD): 10 Prozent der Binge-Watcher schauen gar nicht mehr beim linearen Fernsehen vorbei. Die Ergebnisse der Auswertung zur Serie „Cobra Kai“ ernüchtern, das Marktforschungsinstitut weiß aber Rat: Product Placement wäre eine Möglichkeit. Und dann gibt es ja auch noch Addressable TV. Im Medientage-Blog erfährst du, welche Möglichkeiten Werbungtreibende jetzt anpacken können.

Die Netflix-Serie „Cobra Kai“ ist ein klug gewähltes Fallbeispiel von Nielsen hinsichtlich Zuschauerstruktur und Werbewirkung: Das Format (YouTube Red, 2018), seit Staffel drei ein „Netflix Original“, ist kein Ausnahme-Superhit wie beispielsweise HBOs „Game of Thrones“ (2011-2019), „Das Damengambit“ (Netflix 2020) oder Disneys „Mandalorian“ (2020), aber auch kein Mini-Nischenformat. Staffel drei erreichte dem Abo-Dienst zufolge in den ersten zwei Wochen auf Sendung 41 Millionen Zuschauer weltweit und platzierte sich in 85 von 190 Ländern in den Top Ten. Solide also und damit repräsentativer als manche Erstplatzierte. 73 Millionen Zuschauer:innen kamen laut Netflix mit einer der drei Staffeln von „Cobra Kai“ in Kontakt (Stand: Januar 2021).

Die Serie enthält außerdem praktisch alle Zutaten, die ein Streaming-Erfolg vorweisen muss, der in unterschiedlichen demografischen Gruppen punktet. „Cobra Kai“ ist die Fortsetzung des Kultfilms „Karate Kid“, der in den 1980er-Jahren entstand – dem Jahrzehnt, das dank einiger Streaming-Formate heute als hip gilt und damit ältere wie jüngere Zuschauer:innen ködert. Genau wie die gealterten Helden (erneut gespielt von Ralph Macchio und William Zabka), an die sich die heute über 45-Jährigen noch gut erinnern: Sie erlauben das Schwelgen in Nostalgie und amüsieren damit, wie unterschiedlich erwachsen Erwachsene werden – und wie sie sich ans digitale Zeitalter anpassen (oder eben nicht).

Hier der Trailer zu Staffel 1: 

 

Die neuen jungen Held:innen (Xolo Maridueña, Mary Mouser, Tanner Buchanann) haben, wie viele Jugendliche heute, derweil mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie damals ihre Eltern und Mentoren. Konkurrenzkampf, erste Liebe, Mobbing, Kommunikationsfehler, Pubertät, Gewalt werden in der Serie ironisch, zeitgemäß und kurzweilig dramatisiert. Mit dem Ergebnis, dass „Cobra Kai“ weltweit Millionen Zuschauer erreicht.

Millionen Menschen, von denen manche überhaupt kein lineares Fernsehen mehr schauen. Das US-Büro von Nielsen hat im März 2021 eine Auswertung von Nutzerdaten veröffentlicht, die zeigen, wie sich die Nutzung von Abo-Diensten (SVoD) und klassischem Fernsehen überlappen (Untersuchung zum Start der Staffeln 1 und 2 auf Netflix/August 2020).

Ergebnis: 10,4 Prozent des US-Publikums von „Cobra Kai“ schalteten lineares TV in der untersuchten Woche gar nicht ein. Zwei Drittel schauten immerhin noch gelegentlich, 22,7 Prozent sehr häufig klassisch TV.

Quelle: Nielsen

Dass das lineare Fernsehen nicht nur Sehdauer, sondern tatsächlich signifikant Nutzer:innen an Streaming verliert – und das auch hierzulande –, das untermauert die Studie „CTV: Die Zukunft im Blick“ der Werbeplattform Magnite, durchgeführt von Harris Interactive. 74 Prozent der 2100 Befragten nutzen mindestens einmal pro Woche einen Streaming-Dienst, 44 Prozent täglich. Gut die Hälfte (52 Prozent) der Fernsehzeit entfällt auf Streaming.

 

Zielgruppen, die TV-Spots nie zu sehen bekommen

Es kommt noch schlimmer: 58 Prozent der Probanden der Magnite-Studie würden Streaming wählen, wenn sie sich zwischen Streaming-Dienst und klassischem Fernsehen entscheiden müssten. Wer Sendungen sucht, tut das im Durchschnitt zuerst im linearen Programm (58 Prozent) – aber bereits 42 Prozent steuern für ein passendes Angebot zuerst einen Streaming-Dienst an; je jünger, desto mehr.

Anteil der Zuschauer, die zuerst in Streaming-Kanäle/zuerst ins traditionelle Fernsehprogramm schauen.
Quelle: „CTV: Die Zukunft im Blick“, Magnite

An dieses Publikum – dessen Anteil tendenziell zunimmt – kommen Werbungtreibende nur noch über werbefinanzierte Streamingdienste oder mit Addressable-Kampagnen heran. Oder im Fall von Abo-Streaming: mit Product Placement. Das schließt Nielsen aus seinen Messungen, ergänzt um Daten zu Werbewirkung und Kontaktdauer von Placements in „Cobra Kai“ verglichen mit 30-Sekündern in einem Vier-Wochen-Zeitraum.

Zu den integrierten Marken gehören Mercedes-Benz und die Biermarke Coors. Auch für diesen Aspekt ist die Serie eine gute Wahl für die Nielsen-Auswertung, denn nicht nur treten reichlich Markenprodukte von Sport bis Computer auf, sie fügen sich auch gut in die Geschichte ein.

Das Lieblingsbier der „Cobra Kai“-Hauptrolle Johnny Lawrence (William Zabka) Coors baute in vier Wochen 169 Millionen Kontakte bei über 21-Jährigen auf. Das ehemalige „Karate Kid“ Daniel LaRusso (Ralph Macchio) wiederum verkauft in der Serie heute Luxusautos: Die Marke Mercedes erreichte mehr als 62 Millionen Seher:innen ab 21 Jahren.

 

„Karate Kid“ Daniel LaRusso verkauft heute Autos. Sie spielten schon im Film von 1984 eine wichtige Rolle.

Ein signifikanter Anteil dieser Reichweite hätte mit klassischer Fernsehwerbung nicht erreicht werden können, ermittelte Nielsen: 19 Prozent der 70,6 Millionen Kontaktpersonen waren ausschließlich bei „Cobra Kai“ mit Coors in Kontakt gekommen. 8 Prozent sahen sowohl die Streaming-Serie als auch die lineare TV-Werbung, 73 Prozent nur die Fernsehwerbung. Bei Mercedes warf Nielsen einen Blick auf Erwachsene von 25 bis 54 Jahren mit hohem Einkommen: die „Cobra Kai“-only-Rate lag hier bei 11 Prozent.

Quelle: Nielsen

Das klassische Fernsehen hat die Masse zwar noch deutlich auf seiner Seite. Werte zwischen 11 und 19 Prozent allerdings zu ignorieren kann sich kaum eine Marke leisten, vor allem, wenn sich die Transformation weiter beschleunigt. Sie genießen dafür den Vorteil, dass im werbefreien Umfeld der bezahlten Dienste Marken (noch) eine Alleinstellung haben und – wenn das Product Placement gemeinsam mit Sereinschöpfer:innen entwickelt wurde – nicht als Fremdkörper daherkommen.

 

Umfeldfaktoren beeinflussen Werbeakzeptanz

Jenseits der Abo-Dienste bietet das werbefinanzierte Streaming (AVoD) Kontaktmöglichkeiten für Marken. Die Befragten der Magnite-Studie erklärten überwiegend, sie würde Werbung im Streaming akzeptieren, wenn sie dafür weniger (36 Prozent) oder keine Gebühren (41 Prozent) zahlen müssten.

Hier hat vor allem personalisierte Werbung via Connected TV (CTV) gute Voraussetzungen: 65 Prozent erklärten, sie wollen Werbung sehen, die zu ihren Interessen und Hobbys passt, und für 62 Prozent ist Werbung dann akzeptabel, wenn sie gut zum Umfeld passt.

 

Welche Werbung für die Befragten akzeptabel ist. Quelle: „CTV: Die Zukunft im Blick“, Magnite

Das Publikum ist für die Werbungtreibenden also noch lange nicht verloren, selbst wenn es traditionellen Kanälen nach und nach den Rücken kehrt.

 

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