Die global aktiven, digitalen Plattformen ziehen immer mehr Spendings ab: Die Machtverhältnisse im Werbemarkt sind verschoben. Was in der Folge bedeutet, dass sich die klassischen Medien als Gegenspieler zum Social-Media-Feuerwerk der US-Giganten immer weniger durch Werbung refinanzieren können. Können Media-Initiativen, die Gelder gezielt zu Qualitätsmedien lotsen, für eine Umkehr sorgen? Sollten Player in Deutschland und Europa gemeinsam ein Gegengewicht zum Werbemonopol von Google, Meta und Co. schaffen? Fragen zu den neuen Realitäten im Werbemarkt, die im Rahmen der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert wurden.
Düstere Prognosen und die Warnung, das freie Internet sei längst abgeschafft worden, gab Dr. Martin Andree im Juni bei der Würzburger Konferenz Transforming Media aus. Der Autor des Buchs "Big Tech muss weg!“ rechnete in seiner Keynote vor: Allein schon an den Werbespendings erkenne man das Gewicht von Google, Facebook, Insta, TikTok und Co.; mit Werbung im Digitalen sei 2023 mehr erlöst worden als mit allen klassischen Medien zusammen. In allen Märkten ähnlich sei das Kräfteverhältnis zwischen Big Tech und Medien; 80 bis 90 Prozent aller Spendings würden auf die Digitalen vereint, der Rest reiche nicht aus, um eine demokratisch relevante Medienlandschaft zu finanzieren, so der Kölner Medienprofessor.
Und nun, ein halbes Jahr später, mit dem nächsten US-Präsident Donald Trump und seinem neuen Verbündeten, X-Eigner Elon Musk, vor Augen – was hat sich getan?
Werbungtreibende verlagern ihre Mediabudgets nach wie vor verstärkt auf internationale, digitale Plattformen. Trotz aller Kritik an ihrer Übermacht wachsen Google, Meta und Amazon weiter und beherrschen den Werbemarkt. Die Refinanzierung von klassischen Medien gerät damit zunehmend unter Druck und die Marktmacht der großen Online-Konzerne steigt – eine ungesunde Entwicklung und Gefahr für Meinungsvielfalt und Demokratie.
Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN hatte sich eine Expert:innen-Runde (Foto unten: Medien.Bayern GmbH) mit der Frage auseinandergesetzt, warum die Kanäle der großen Online-Konzerne für Werbungtreibende so spannend sind und wie sich nationale und europäische Vermarkter für den Kampf mit den Giganten rüsten können.
Liegt es vor allem daran, wie der Impulsvortrag von Privatdozent Dr. habil. Tino Meitz dazulegen versuchte, dass die Branche hierzulande keinen Mut zur Änderung der Verhältnisse habe? Dass der Ruf nach mehr Haltung und einer stärkeren Unterstützung traditioneller Medienanbieter überstrapaziert wird? Und dass Unternehmen vor allem ihren Shareholdern und damit dem finanziellen Erfolg verpflichtet sind?
Auf den großen US-Plattformen befänden sich eben die Nutzer:innen, versuchte Klaus Böhm, Partner bei Highberg (ehemals Schickler Unternehmensberatung) die Entwicklung zu erklären: „Money follows eyeballs, und inzwischen stimmt die Nutzungsrealität mit den Flüssen der Buchungen überein.“ Der Markt benötige eine konvergente, also plattformübergreifende Währung: „Werbebündnisse sind überlebenswichtig,“ folgerte Böhm. Sonst führten diejenigen das große Wort, die durch ihre Werbekampagnen so genannte Leads, also Interessenten, generierten. Und das seien natürlich in erster Linie die großen digitalen Plattformen.
Doch wo liegen die Hürden?
Stefanie Jäckel, Chief Strategy Officer der RTL-Vermarktungseinheit Ad Alliance, machte bei den #MTM24 vor allem behördliche Beschränkungen verantwortlich: „Wir versuchen natürlich, mit Zähnen und Klauen unser Geschäft zu verteidigen. Und schließen dazu Allianzen.“
Wer allein im Markt unterwegs sei, habe es schwer. Doch oft werde eine Konsolidierung der Angebote vom hiesigen Kartellamt untersagt. Das sei eine unglückliche Verzerrung, denn die digitalen Plattformen würden nicht diesen Regeln unterliegen. Außerdem hätten Amazon & Co eine perfekte User Experience für Werbekunden. Um diesen Erwartungen auch im europäischen Raum gerecht zu werden, müssten Kräfte gebündelt und Kosten geteilt werden.
Zudem beklagte Dr. Andrea Malgara, Managing Partner der Mediaagentur Mediaplus, die mangelnde Kommunikationskultur in sozialen Online-Netzwerken: „Das Angebot von RTLZwei mag man finden, wie man will. Aber es unterliegt medienrechtlichen Regeln und bietet Marken damit Sicherheit und eine gewisse Qualität.“ Bei YouTube aber würden beispielsweise rechtsextreme Akteure keinerlei Kontrolle unterliegen. Dennoch würden solche Kanäle weiter gebucht und die Plattformen somit weiter wachsen. Diese Entwicklung prognostizierte Malgara auch für das kommende Jahr.
Die Verantwortung der Werbungtreibenden und Mediaagenturen in diesen Fragen haben Expert:innen bei den #MTM24 diskutiert. Zur Einstimmung erläuterte Holger Thalheimer, (Foto unten: Medien.Bayern GmbH) Chief People & Culture Officer bei der Omnicom Media Group Germany, als Co-Founder die Ziele der neuen Initiative 18 für „freie, sichere und nachhaltige Medien“. Thalheimer: „Wir alle können als Branche mit unseren Investitionen auch dazu beitragen, dass Medienvielfalt gestärkt, Desinformation reduziert und damit demokratische Grundstrukturen geschützt werden."
Dass sowohl Werbungtreibende als auch Agenturen eine Verantwortung haben, darüber herrschte in der Runde große Einigkeit. „Wir müssen uns über die Wertschöpfungskette der Media Gedanken machen“, bekräftigte Prof. Dr. Lisa-Charlotte Wolter. Die Studiengangsleitung Online Marketing bei der IU International University of Applied Sciences unterstützt die Agenturen Mediaplus und IPG, die gerade mit dem „Responsible Media Index“ (RMI) ebenfalls eine Nachhaltigkeitsinitiative gestartet haben, um zu einer „gemeinsam genutzten, rechtssicheren Währung für Medien“ im Sinne der „Gesundheit des deutschen Medienökosystems“ beizutragen.
Auch die GroupM, Deutschlands größte Mediaagentur, engagiert sich für Demokratie und Medienvielfalt. Sie hat dazu die „Back-to-News“-Initiative ausgerollt: Um Werbekunden die Möglichkeit zu bieten, ihre Mediainvests in glaubwürdige Qualitätsmedien zu lenken, hat die weltgrößte Mediaagentur eigens einen Marktplatz für als „hochwertig“ eingestufte Online-Nachrichtenseiten entwickelt, auf dem Werbekunden buchen können.
Auf Basis von elf Kriterien – beispielsweise in Bezug auf faktenbasierte Quellen, einen ethischen Kodex oder Brand-Safety-Standards – wird ein Punkte-Rating „qualitätsvoller“ Online-Angebote erstellt, die leichter (also bevorzugt) gebucht werden können. „Dabei geht es uns vor allem darum, dass wir gemeinsam verantwortungsvolle Entscheidungen treffen können“, erklärte Nadja Schick, Managing Partner Sustainability bei GroupM Germany.
Dagegen bezeichnete es Tobias Conrad als problematisch, wenn einzelne Mediaagenturen oder von ihnen initiierte Konsortien sich anmaßen würden, zwischen ,gutem‘ und ,schlechtem‘ Journalismus zu unterscheiden und zwischen ,hochwertigen‘ und ,minderwertigen‘ redaktionellen Produkten. Conrad ist Geschäftsführer des Crossmedia-Vermarkters Brand Community Network (BCN), einem Gemeinschaftsunternehmen zur Werbevermarktung von Hubert Burda Media, der Funke Mediengruppe und der Mediengruppe Klambt. Er vertrat die Ansicht, Qualitätsmedien seien – vereinfacht gesagt – alle Medien, die dem Presserecht unterliegen und sich dem Pressekodex verpflichten würden. „Wir sind für unsere Inhalte verantwortlich. Die Plattformen sind das nicht. Wir müssen die Plattformen dringend in die Verantwortung für ihre Inhalte bringen“, forderte Conrad.
Dr. Christian Hahn, Vice President Marketing Communications & Media bei der Deutschen Telekom, begrüßte zwar die oben genannten Initiativen. Jede sei per se gut und alle seien sinnvoll. Dennoch lautete sein Appell: „Wir dürfen uns nicht in Verbandsideen verlieren und ein neues KPI-Gerüst aufbauen. Es geht darum, die Menschen zu erreichen und ihr Bewusstsein zu schärfen.“ Das Bewusstsein für Demokratie, Haltung oder Medienvielfalt dürfe nicht bei Expert:innen enden, sondern müsse in die Gesellschaft getragen werden.
Wie steht es um die Bemühungen um mehr Ökologie in den Medien? „Das Ende der grünen Welle ist noch nicht in Sicht“, begann Catherin Anne Hiller, Geschäftsführerin der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) und Leiterin Strategic Marketing der Funke Mediengruppe, ihren Impulsvortrag zum zweiten Teil der Diskussion, bei dem es um „Nachhaltigkeit“ ging.
Zwar stagniere das „grüne“ Bewusstsein und Handeln der Menschen, dennoch wünschten sich 52 Prozent der Bürger:innen transparente Kommunikation zur Nachhaltigkeit von Medien. 33 Prozent – so eine weitere Zahl aus Deutschlands größter Markt-Media-Studie – kaufen Marken, deren Anbieter sich gesellschaftlich engagieren.
Ina von Holly (Foto: Medien.Bayern GmbH) ergänzte, dass trotz strengerer Regularien wie der Green Claims Directive der EU auch in der Werbung die „grüne Welle“ erst starte. Die geschäftsführende Gesellschafterin der Kommunikationsagentur We Do communication und Vorstandsmitglied für Nachhaltigkeit beim Gesamtverband Kommunikationsagenturen e.V. (GWA), betonte bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN: „Der konsequente Weg der EU bringt noch einmal eine enorme Dynamik und neue Kreativität in den Markt. Es wird Zeit, dass alle sich den neuen Anforderungen und Herausforderungen der Transformationen stellen und aktiv werden – am Ende profitieren Marken und die Menschen von einem höheren Vertrauen.“
Recht konkret wurde bei den #MTM24 über die Werbe-Entwicklungen im TV- und Videomarkt diskutiert. Kommt mit werbefinanziertem Streaming – als AVoD oder lineare FAST-Kanäle – zumindest zusätzliches Werbegeld in die Kassen der Gattung Bewegtbild?
Expert:innen zeigten sich skeptisch gegenüber möglichen Wachstumschancen. „Die Menschen schauen nicht doppelt so viel TV, die Nutzungszeit bleibt konstant“, konstatierte Katharina Baumann, Geschäftsführerin bei der Mediaagentur Pilot. Die Reichweiten seien aber weiterhin für die Werbekunden relevant, und zwar für alle damit verbundenen Connected-TV-Angebote. Insgesamt ergäben sich durch die zusätzlichen Angebote keine neuen Werbegelder, sondern die Budgets würden eher umverteilt – raus aus dem linearen und rein in das digitale TV.
Den Trend zu non-linearen Angeboten bestätigte Jörg Meyer. Der Chief Commercial Officer der Bewegtbildplattform Zattoo, die ihr Angebot an FAST-Channels sukzessive ausbaut, berichtete über eine starke Nachfrage nach Connected TV: „Die Nachfrage nach Werbeplätzen ist größer als das Angebot. Wir erzielen Tausendkontaktpreise von mehr als 20 Euro.“ Werbekunden müssten dabei nicht einzelne Programme und Umfelder buchen, sondern Zattoo stelle ihnen Zielgruppen, so genannte Audience Segments, zur Verfügung.
„Wer beispielsweise „Heimwerker“ erreichen will, erreicht diese bei uns unabhängig vom Umfeld.“ Dieses exakte Targeting sei ein großer Vorteil. „Wir können viel mehr als das lineare TV und an Akzeptanz mangelt es nicht“, berichtete Meyer. Etwas gedämpfter schilderte in der Runde GfK-Forscher Christoph Freier die Zukunft und pflichtete der Pilot-Managerin Baumann bei: „Die Werbegelder werden nicht eins-zu-eins in die neuen Kanäle und Angebote fließen, auch wenn sich die Nutzung dahin verschiebt.
Optimismus dagegen bei Expert:innen, die sich um Sales und Werbung im Umfeld Audio kümmern und sich zur Zukunft der Audio-Werbung im House of Communication austauschten. „Audio befindet sich in einer goldenen Gegenwart. Das gilt es zu monetarisieren", betonte RMS-Geschäftsführer Stefan Mölling mit Blick auf die Omnipräsenz von Hörbarem dank Smartphone.
Doch mit steigender Reichweite steigt zugleich die Verantwortung, für qualitative Inhalte und für Brand Safety, also Markensicherheit, zu sorgen. Hier komme allen Seiten die Aufgabe zu, sich stärker zu professionalisieren, hieß es aus der Runde, an der auch Tina Jürgens, (Foto oben: Medien.Bayern GmbH) Co-CEO der Zebralution-Gruppe, und Isabell Santa Olalla, Senior Account Manager bei der Agentur 480Hz, teilnahmen.
Die Zusammenfassungen wichtiger Panel-Diskussionen sowie Bildmaterial der 38. MEDIENTAGE MÜNCHEN stehen in der Mediathek der Medientage-Homepage und im MTM-Blog bereit. Dort kann auch der wöchentliche Blog-Newsletter abonniert werden.
Die Medienthemen können auch gehört werden: im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.